Was hat die rumänische Orthodoxie Europa heute zu bieten? (München, 22.11.2018)

  Wort gehalten an der internationalen Tagung „Orthodoxe Theologie im europäischen Kontext. Der Beitrag der rumänischen Orthodoxie zur christlichen Identität Europas”, organisiert bei der Ausbildungseinrichtung (Institut) für Orthodoxe Theologie der Universität München.

 Zunächst möchte ich den engagierten Professoren des Instituts für Orthodoxe Theologie der Ludwig-Maximilians-Universität München für die Initiative zu dieser der rumänischen Orthodoxie gewidmeten Konferenz und Begegnung im Jahr des hundertjährigen Jubiläums der Großen Vereinigung unseres Landes (1918-2018) herzlich danken. Die Existenz einer Ausbildungseinrichtung für Orthodoxe Theologie an der staatlichen Universität München, die das komplette Studium der orthodoxen Theologie anbietet und den ernsthaften, wissenschaftlichen Dialog mit den anderen theologischen Traditionen des Westens pflegt, ist von großer Bedeutung für alle orthodoxen Kirchen in Deutschland und für die spirituelle Begleitung und die Integration der stetig in den letzten Jahren steigernden Zahl der orthodoxen Christen im gesamten deutschsprachigen Raum. Möge unser barmherziger Gott seinen reichen Segen über die Gründer, die Mitarbeiter und alle Unterstützer dieser theologischen Institution hier in München senden.

Auch wenn wir in einem historischen Kontext leben, in dem die Begriffe der „Nation“ oder des „Nationalstaats“ nicht im entferntesten die gleiche Relevanz besitzen wie vor hundert Jahren, so können wir doch unsere Wurzeln nicht vergessen, aus denen wir unseren Lebenssaft und auch die belebende Kraft des Glaubens ziehen. Jedes Volk hat eine eigene Geschichte und eine eigene Identität. Die Identität eines Volkes ist das Resultat einer Vielzahl von Faktoren; geographischer, geschichtlicher, linguistischer, kultureller und spiritueller Faktoren. Unser Geburtsort, der historische Kontext und die geschichtliche Entwicklung, die Sprache, die Kultur, der Glaube, die Traditionen etc. haben ein unauslöschliches Siegel in das Wesen eines jeden Volkes sowie jeder Person, die diesem Volk angehört, eingeprägt.

Die Identität eines Volkes hat sich immer auch durch Einflüsse von anderen benachbarten oder entfernteren Völkern herausgebildet. Normalerweise ist eine Identität offen. Sie wird immerzu bereichert durch spezifische Aspekte anderer, wobei sie dabei jedoch sie selbst bleibt, denn diese Bereicherung von außen geschieht nicht durch einfaches Kopieren, sondern durch eine organische Aneignung.

Heute, in der Epoche der Globalisierung, besteht die Gefahr des Verlusts der Identität, besonders bei Migranten, die kein Bewusstsein einer eigenen Identität haben und alles tun, um sich in ihrem neuen Lebenskontext zu assimilieren. Solche machen keinen Unterschied zwischen Integration und Assimilierung. Dabei kann man sich sehr gut in eine neue Gesellschaft integrieren, ohne auf die eigene Identität zu verzichten. Ja mehr noch: man kann seine eigene Identität mit all dem bereichern, was der neue Lebenskontext bietet, so wie man selbst durch seine eigene Identität die Identität der Anderen bereichert, die dafür offen sind. Diejenigen, die allzu leicht ihre eigene Identität aufgeben, erleiden existenzielle Traumata, weil sie sich bewusst von ihren Wurzeln abgeschnitten haben, und wiederum formt sich eine neue Identität nicht leicht. Natürlich stellt sich das Problem der Identität der Nachfahren der Emigrierten auf andere Weise. Diese empfangen eine neue Identität mit Elementen beider Seiten: der Eltern und Vorfahren und des Volkes jenes Landes, in dem sie geboren wurden.

Das Spezifikum der rumänischen Identität

Das rumänische Volk entspringt dem Gemisch zweier Völker: der Daker und der Römer. Seine Sprache ist zu 80 Prozent lateinischen Ursprungs. Hinzu kommen Worte slawischer, vor allem in der kirchlichen Sprache, aber auch griechischer, französischer, italienischer und anderer Herkunft. Mit dem Prozess der Nationsbildung vom 2. bis zum 7. Jahrhundert nahmen die Rumänen auch den christlichen Glauben an, der von Missionaren verkündigt wurde, die von südenlich der Donau gekommen waren. Sie blieben stets in der Einflusssphäre von Byzanz und haben in allem die orthodoxe Tradition übernommen. Und als das Byzantinische Reich unterging, ging die Tradition der byzantinischen Herrscher als Beschützer der Orthodoxie auf die rumänischen Fürsten der Moldau und der Walachei über, die unabhängige Fürstentümer waren. So wurden diese beiden rumänischen Fürstentümer von dem größten rumänischen Historiker Nicolae Iorga als „Byzanz nach Byzanz“ bezeichnet.

Die Orthodoxie hat das Wesen der Rumänen modelliert und profund deren Kultur und ganze Geschichte geprägt. Das Christentum hat die Identität der Völker, die es angenommen haben, niemals zerstört, sondern mit den Werten des Evangeliums bereichert. Auch wenn die Orthodoxie an sich bei allen Völkern, die sie angenommen haben, die gleiche ist, so hat doch jedes Volk seine spezifischen Eigenheiten im religiösen Leben und der eigenen orthodoxen Glaubenspraxis gemäß seiner geistigen Eigenart und Wesensart. Die griechische Orthodoxie glänzt durch die Brillanz ihrer theologischen Sprache und Ausdruckskraft, die slawische Orthodoxie durch die Tiefe ihrer Mystik und die rumänische Orthodoxie durch ihre Ausgewogenheit zwischen beiden Polen. Vater Professor Dumitru Stăniloae, von dem an diesen beiden Tagen viel die Rede sein wird, sagte: „Die rumänische orthodoxe Spiritualität hebt sich dadurch hervor, dass sie alle Werte der Orthodoxie in einem besonderen Gleichgewicht umfasst und dadurch die Wesenszüge der Orthodoxie in noch stärkerem Ausmaß unterstreicht als andere. Sie hat die Luzidität der Latinität und das Gespür für das Mysterium, wie es den Völkern des Ostens eigen ist, den besonderen Wert der Person und die Notwendigkeit des Dienens, das stille Gebet und ein sensibles Herz für den Nächsten, die Orientierung auf Gott hin und die Sorge um den Menschen.“

Der christliche Glaube hat bei allen Völkern, die ihn angenommen haben, die nationale Kultur und das Volksethos geprägt. Die Rumänen machen hier keine Ausnahme, ganz im Gegenteil, haben sie doch den christlichen Glauben im Rahmen ihrer Herausbildung und Entwicklung als Volk empfangen und übernommen. So hat „die Kirche […] die Sprache erschaffen“, sagte der größte rumänischer Dichter Mihai Eminescu. Und nach Nicolae Iorga wurde die rumänische Kultur „im Pronaos der Kirche geboren“. Über Jahrhunderte galt das Axiom: „Die Schule war die Kirche und die Kirche war die Schule“. Alle großen Errungenschaften des rumänischen Volkes tragen das Siegel des Christentums. Und die Kirche identifizierte sich im Laufe der Geschichte immer mit dem Schicksal des Volkes und stand ihm in all seinen schweren Momenten immer bei, als es darum ging, die Existenz des Volkes und seinen Glauben zu verteidigen. So konnte Mihai Eminescu sagen: „Die Kirche ist die Mutter des rumänischen Volkes.“

Ein friedliebendes und gastfreundliches Volk

Die Rumänen haben niemals in ihrer Geschichte Kriege zur Vernichtung anderer Völker geführt, sondern ausschließlich zur Verteidigung oder zur Befreiung von Fremdherrschaft. Neben ihrem starken Glauben sind die Rumänen berühmt für ihre sprichwörtliche Gastfreundschaft. Der Rumäne ist seinem Wesen nach immer empfänglich für Fremde; das ist eine profunde Tugend nach dem Evangelium. So konnten sich im Mittelalter vor allem in der Moldau und in der Walachei (Țara Românească) sehr viele Fremde ansiedeln, vor allem Roma und Juden. Bei den Rumänen gibt es einen regelrechten Kult gegenüber Fremden, der immer in der „guten Stube“ empfangen wird (dem besten Raum des Hauses, der für Gäste reserviert ist). Bis heute sind Fremde, die Rumänien besuchen und einige Tage bei Freunden oder Bekannten verbringen, beeindruckt von dem warmherzigen Empfang, der ihnen bereitet wird. Der Rumäne gibt für Gäste das Beste, was er hat. Im Mittelalter haben viele Patriarchen von Konstantinopel oder Jerusalem, die von ihrem Thron vertrieben wurden, Monate oder sogar Jahre in den rumänischen Fürstentümern im Exil verbracht.

Auch erfreuten sich die heiligen Stätten von Jerusalem und vom Sinai, die Klöster des Heiligen Bergs Athos und die Patriarchate von Antiochien und Georgien massiver finanzieller Unterstützung seitens der rumänischen Fürsten, ob direkt aus den Kassen der Schatzkanzler oder durch den sogenannten „mânăstiri închinate“ („gewidmete Klöster“). Das Phänomen dieser „den heiligen Stätten unterstellten Klöster“ ist einzigartig in der ganzen Orthodoxie. Dabei handelt es sich nicht um eine jurisdiktionelle Unterstellung, sondern darum, dass diese Klöster, die häufig immensen Grundbesitz besaßen, direkt von den Heiligen Stätten verwaltet wurden, denen sie von den Fürsten „gewidmet“ waren. Ihre Einkünfte kamen den entsprechenden heiligen Stätten zu. Vor der Säkularisierung des Klosterbesitzes 1864 gehörte mehr als ein Viertel des Grundes und Bodens der beiden rumänischen Fürstentümer diesen besonderen Klöstern!

Ein volksnahes Christentum

Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass das rumänische Christentum ein volksnahes Christentum ist, das tief im Bewusstsein des Volkes verwurzelt ist, selbst wenn dieser christliche Glaube nicht immer so praktiziert wird, wie es sich gehört. Die Volkslieder und -balladen sind tief durchdrungen vom mystischen Gespür des Glaubens, das Mensch und Natur, Leben und Tod gleichermaßen umfasst. Die rumänische Folklore wie auch die zahlreichen und bei den Gläubigen besonders beliebten Weihnachtslieder – die „Colinde“ – präsentieren Gott als den Menschen sehr nahe, der mit dem heiligen Petrus auf Erden wandelt, die Menschen in ihren Häusern besucht und jene belohnt, die ihren Nächsten Gutes tun, und jene bestraft, die Böses tun.

Bei den Rumänen ist die Taufe der Kinder ein Allgemeingut; es ist unvorstellbar, dass ein Kind ungetauft bleibt, so wie es auch unvorstellbar ist, dass eine Beerdigung ohne Mitwirkung eines Priesters erfolgt. Dies war auch in der Zeit des atheistischen Kommunismus nicht anders, als Parteimitgliedern, Funktionären und Staatsbeamten die öffentliche Manifestation ihres Glaubens untersagt war. Selbst jene ließen ihre Kinder heimlich taufen.

Bei allen Volkszählungen in Rumänien nach der Wende (1992, 2002 und 2011) haben sich über 99 Prozent der Staatsbürger Rumäniens (das sind fast 22 Millionen) als gläubig erklärt. Hier ist auch zu sagen, dass die Bevölkerung Rumäniens ethnisch gesehen aus 90 % Rumänen, 5 % Ungarn, 3 % Roma, 0,3 % Deutschen und 0,2 % Türken besteht. Und von allen rumänischen Staatsbürgern sind 86,7 % orthodoxe Christen.

Ein Mönchtum in Osmose mit dem Volk

Auch das rumänische Mönchtum, das in der ganzen Geschichte des rumänischen Volkes gegenwärtig war und bei den Gläubigen sehr beliebt ist, hat ebenfalls eine besondere Nuance gegenüber dem orthodoxen Mönchtum im Allgemeinen. Der französische Autor Olivier Clément schreibt dazu: „In Rumänien haben wir es ganz offensichtlich mit einer monastischen Zivilisation zu tun. Hier ist aber nicht die Rede von einem Mönchtum, das sich als eigenständiger Lebensstil herausgebildet hätte, wie es in Kappadozien, auf dem Berg Olymp, in Asien oder auf dem Berg Athos der Fall war, sondern von einem Mönchtum, das wie ein Gärstoff zu verstehen ist, der in einer Osmose mit einem ganzen Volk lebt und die ganze Kultur inspiriert.“ In der kommunistischen Zeit wurde das rumänische Mönchtum schwer geprüft. 1959 wurden rund 5000 Mönche und Nonnen aus ihren Klöstern vertrieben. Und doch hat das rumänische Mönchtum die kommunistische Zeit im Vergleich mit allen anderen kommunistischen Ländern nicht nur am besten überlebt, sondern hat sogar viele große Geistliche hervorgebracht, die im ganzen Land bekannt waren, die mit ihrem heiligen Leben und ihrer geistlichen Wegbegleitung zahlloser Gläubiger im Sakrament der Beichte den bedeutendsten Widerstand gegenüber dem atheistischen System darstellten. Zum Ende der kommunistischen Diktatur 1989 hatte Rumänien immer noch 114 Klöster und fast 1500 Mönche und Nonnen.

Nach dem Fall des Kommunismus im Dezember 1989 erfuhr das rumänische Mönchtum einen unerwarteten Aufschwung. Alle alten Klöster und Skiten, die im Laufe der Zeit oder von der kommunistischen Staatsmacht zerstört oder geschlossen worden waren, wurden wiedereröffnet beziehungsweise wiederaufgebaut. Daneben wurden zahlreiche Klöster neu gegründet, so dass es heute in Rumänien wieder über 650 Klöster und Skiten und etwa 7500 Mönche und Nonnen gibt. Vor allem in den 90-er Jahren und zu Beginn der 2000-er Jahre wurden wir Zeugen einer wahren Explosion des Mönchtums. Seit mehr als zehn Jahren gibt es aber leider immer weniger junge Menschen, die sich für das monastische Leben entscheiden. Der materialistische und säkularistische Zeitgeist der modernen Gesellschaft und vor allem das Phänomen der Auswanderung bedrohen die Zukunft des rumänischen Mönchtums. Denn es haben seit der Wende 1989 über fünf Millionen Rumänen das Land verlassen, die überwältigende Mehrheit davon waren junge Menschen.

Neben ihrer grundlegenden Berufung zur Heiligung der Menschen und der Welt durch Gebet und Askese entfalten die Mönche aus vielen Klöstern auch ein bemerkenswertes missionarisches und karitatives Wirken. So wird in Klöstern gepredigt, vor allem in der Göttlichen Liturgie, aber es werden auch Kinder- und Jugendfreizeiten organisiert. Bekanntere Geistliche aus manchen Klöstern werden auch von Schulen und Universitäten zu Vorträgen vor Schülern und Studenten eingeladen. Manche Klöster haben Altenheime oder Sozialeinrichtungen für Waisenkinder oder Kinder mit familiären Problemen eröffnet. Die Gläubigen suchen zu zehntausenden die Klöster auf, um dort gemeinsam mit den Mönchen zu beten, um ihre Sünden im Sakrament der Beichte zu bekennen und um Fürbitte zu bitten für ihre vielfältigen Leiden und Nöte. Während ihres Aufenthalts im Kloster nehmen die Gläubigen am gemeinsamen Leben der Klostergemeinschaft teil.

Eine ökumenische Orthodoxie

Die größte Gabe, die die rumänische Orthodoxie Europa schenkt, ist ohne Zweifel deren ökumenische Offenheit. Wie wir schon aufgezeigt haben, sind die Rumänen ein seinem Wesen nach tolerantes und anderen gegenüber offenes Volk, ob Christen oder Nichtchristen. Seit Jahrhunderten und bis heute haben die Rumänen in Siebenbürgen, aber auch in der Moldau, in Muntenien und in der Dobrudscha immer in größter Harmonie mit anderen dort ansässigen Konfessionen und sogar Religionen zusammengelebt. Besonders das friedliche und gute Zusammenleben mit dem Islam in der Dobrudscha kann heute zum Modell werden für ganz Europa. Nur in Zeiten von Fremdherrschaft in bestimmten Momenten der Geschichte kam es zu Störungen des religiösen Friedens. Das rumänische Volk hat jedoch einen Sinnspruch von Generation zu Generationen bewahrt, der besagt: „Der Boden unseres Landes ist groß genug und alle haben dort Platz zum Leben, jeder nach seinem Gesetz.“ In diesem Zusammenhang bedeutet „Gesetz“ die religiöse Zugehörigkeit, denn im Laufe der Geschichte wurde die konfessionelle Zugehörigkeit mit der ethnischen Zugehörigkeit identifiziert. Die Orthodoxen hatten das „rumänische Gesetz“, die Evangelischen das „sächsische Gesetz“, Katholiken und Reformierten das „ungarische Gesetz“ und so weiter. Gewiss haben die drei großen Konfessionen in Siebenbürgen – die orthodoxe, die evangelische und die katholische – nicht isoliert gelebt, sondern miteinander, was auch einen ständigen Austausch bedeutete. Evangelische und katholische Christen haben sich vom warmherzigen und mystischen orthodoxen Geist beeinflussen lassen, während die Orthodoxen etwas von deren Disziplin übernommen haben. Auch haben die Orthodoxen von den Protestanten die Notwendigkeit der Übersetzung der Heiligen Schrift und der Liturgie in die Volkssprache gelernt. So wurde das Neue Testament bereits 1648 vollständig in die rumänische Sprache übersetzt und veröffentlicht, die ganze Heilige Schrift wurde dann 1688 in Rumänisch veröffentlicht. Dies führte auch dazu, dass die vom Volk gesprochene Sprache allmählich die slawische Sprache als liturgische Sprache der Kirche verdrängt hat. Gleichzeitig ist es so, dass Griechen und Russen bis heute keine geläufige Sprache in ihrem Gottesdienst verwenden.

Im Sinne dieses Geistes der ökumenischen Öffnung konnte sich die rumänische orthodoxe Kirche in der Zeit der kommunistischen Diktatur mehr als andere orthodoxe Kirchen, die durch dasselbe atheistische Regime unterdrückt waren, der Hilfe der Kirchen aus der freien Welt erfreuen. Unsere Kirche konnte zahlreiche Studenten zu Doktoratsstudien ins Ausland schicken, die nach ihrer Rückkehr meistens Universitätsdozenten wurden. So wurden an den Theologischen Fakultäten noch in kommunistischer Zeit neue Lehrstühle für „Missionswissenschaft und Ökumene“ geschaffen.

Vater Professor Dumitru Stăniloae hat durch seine beiden als Lehrbücher für die Theologischen Fakultäten konzipierten Hauptwerke – die ins Deutsche übersetzte dreibändige „Orthodoxe Dogmatik“ und „Orthodoxe Spiritualität“ – versucht, den scholastischen Geist zu überwinden, der typisch war für die theologischen Lehrbücher jener Zeit, um eine neue Theologie im Geist der Väter zu präsentieren. Vater Stăniloae hat auch an zahlreichen ökumenischen Begegnungen und theologischen Dialogen teilgenommen, besonders zwischen der rumänischen orthodoxen Kirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Die rumänische orthodoxe Kirche hat eine lange ökumenische Tradition und ist in allen theologischen Dialogen auf panorthodoxer und bilateraler Ebene engagiert. 1931 hat sie die Gültigkeit anglikanischer Priesterweihen anerkannt, 1987 die Übereinstimmung im Glauben mit der Altkatholischen Kirche. Leider haben die späteren Entwicklungen in diesen Kirchen, die sich durch sie von der Tradition der ungeteilten Kirche des ersten Jahrtausends entfernt haben, dazu geführt, dass diese Übereinkommen nicht mehr angewandt werden. Auch hat die rumänische orthodoxe Kirche als eine der ersten orthodoxen Lokalkirchen die Ergebnisse der Dialog-Kommission zwischen den orthodoxen und den altorientalischen Kirchen zur Einheit im Glauben anerkannt.

Im Rahmen des Ökumenischen Weltkirchenrats (ÖRK) und der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) war und ist die rumänische orthodoxe Kirche sehr aktiv. Am Ökumenischen Institut von Bossey wirkte übrigens zwischen 1980 und 1988 der jetzige Patriarch Rumäniens, Seine Seligkeit Vater Daniel, als Dozent. Und seit 2011 ist Vater Professor Ioan Sauca Direktor dieses Instituts. Auch Vater Professor Viorel Ioniță wirkte als Direktor der Kommission „Kirchen im Dialog“ (1994-2011) und Generalsekretär ad interim der Konferenz Europäischer Kirchen (Januar 2010 – November 2011).

Die ökumenische Offenheit und rumänische Gastfreundschaft zeigten sich auch durch die Einladung des Rumänischen Patriarchats an die Gemeinschaft San Egidio aus Rom zur Durchführung des Meetings „Menschen und Religionen – Kulturen im Dialog“ 1998 in Bukarest. An diesem Treffen haben einige Tausend Mitglieder und Vertreter aller christlichen Konfessionen und der großen Religionen der Welt teilgenommen. Im nächsten Jahr hat die Heilige Synode der rumänischen orthodoxen Kirche Seine Heiligkeit Papst Johannes Paul II. zu einem Besuch nach Rumänien eingeladen, der vom rumänischen Volk im Mai 1999 mit besonderer Herzlichkeit empfangen wurde. Dies war der erste Besuch eines römischen Pontifex in einem mehrheitlich orthodoxen Land.

Die Anwesenheit von Millionen orthodoxer Christen in Westeuropa, davon allein mehr als drei Millionen Rumänen, darf als ein wahrer Segen für das abendländische Christentum verstanden werden. Wir glauben, dass Europa nur durch die Rückbesinnung auf seine christlichen Wurzeln und eine Kultur der Gemeinschaft – der communio –, die sich aus beiden Lungenflügeln, dem abendländischen und dem morgenländischen Christentum, speist, eine gedeihliche Zukunft haben kann. Diese beiden Lungenflügel sind Symbole des Verstandes und des Herzens. Hunderte von orthodoxen Pfarrgemeinden, die in West-, Mittel- und Nordeuropa verstreut sind – allein die Rumänen haben rund 800 Pfarreien – sind dazu berufen, die fundamentalen Werte der orthodoxen Spiritualität ans Licht zu bringen: das mystische Gebet, die Askese, den Kampf gegen die Sünde und die Leidenschaften, die den Menschen von Gott entfremden und degradieren. Das Herzensgebet ist ein wirksames Gegenmittel zu einer geistigen und emotionalen Kultur, die das Herz als Mitte des Menschen, in der sich die ganze Menschheit und die ganze Schöpfung rekapitulieren, vergisst. Das Herzensgebet ist gleichzeitig das beste Mittel gegen Depressionen, gegen Einsamkeit und Traurigkeit, woran der moderne Mensch so sehr leidet. Die Askese wiederum (und vor allem das Fasten) ist die einzige Alternative zur Konsumgesellschaft, welche die Probleme des Menschen noch unendlich steigert. Der in Italien lebende orthodoxe Priester und Schriftsteller Vladimir Zelinskij schreibt zu Recht: „Entfernt das Kreuz (also die Askese) aus dem Evangelium und ihr werdet ein Evangelium für ehrwürdige Konsumenten erhalten!“

Was uns Orthodoxe betrifft, so können wir wiederum von den Christen des Westens lernen, die zentrale Bedeutung des Wortes Gottes im liturgischen und persönlichen Leben, die Einfachheit des evangeliumsgemäßen Lebens sowie das sozial-karitative Engagement wiederzuentdecken und eine größere Genauigkeit im theologischen Diskurs an den Tag zu legen.

Nur miteinander können wir ein gemeinsames Europa in der Vielfalt der lokalen christlichen Traditionen bauen, das gleichzeitig offen ist für alle anderen religiösen Traditionen.

 

Metropolit Serafim von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa