Dankansprache zur Verleihung des „Abt Emmanuel Heufelder Preises” (Abtei Niederaltaich, 9. August 2021)

Wort gehalten von Metropolit Serafim zur Preisverleihung des „Abt-Emmanuel-Heufelder-Preises“ der Benediktinerabtei Niederaltaich, am 9. August 2021

Hochehrwürdiger Vater Abt, ehrwürdige Patres, liebe Brüder und Schwestern in Christus,

Zu Beginn möchte ich meine Dankbarkeit für die Verleihung des „Abt Emmanuel Heufelder Preises” zum Ausdruck bringen, die sowohl eine besondere Ehre für mich persönlich, als auch für die mir von Gott als Bischof anvertraute Metropolie darstellt. In unserer Metropolie ist die ökumenische Offenheit eine pastorale Notwendigkeit. Unter unseren Gläubigen ist die Zahl der ethnisch und konfessionellen Mischehen sehr groß. Bis vor kurzem gab es deutlich mehr Mischehen als ausschließlich rumänische orthodoxe Ehepaare. Erst seit 2014 hat sich das geändert. Damals hat eine massive Auswanderungswelle von Rumänen nach Deutschland eingesetzt. Seither hat sich dieses Verhältnis geändert. Doch auch jetzt ist die Zahl der Mischehen immer noch hoch und zweifellos wird in Zukunft noch zunehmen. Die Kommunion an den Heiligen Sakramenten der nicht-orthodoxen Ehepartner ist für uns wie auch für die Römisch Katholische Kirche ein Problem, das nach einer pankonziliaren Lösung verlangt.

Was mich betrifft, so erlebe ich für mich das ökumenische Engagement wie eine Glaubens- und Gewissenpflicht. Schon während meines Studiums am Institut St. Serge von 1982 bis 1989 in Paris hatte ich die Gelegenheit, Mönche aus verschiedenen katholischen Klöstern unter anderem aus Bellfontaine, En Calcat, Saint Wandrille, Saint Bernard-sur-Loire und Pierre-Qui-Vire kennenzulernen und bleibende Freundschaften zu schließen. 1992 habe ich – schon als Weihbischof des Erzbistums von Sibiu/Hermannstadt – eine Pilgerreise mit sechs Benediktiner- und Zisterzienseräbten aus Frankreich zu den Moldauklöstern unternommen. Diese Wallfahrt hatte ein besonderes Echo sowie in Rumänien als auch in Frankreich.

Seit 1994, seit ich in Deutschland bin, hat sich mein ökumenisches Engagement noch vertieft und verbreitert. Nachdem unsere Metropolie eine Neugründung war und anfangs keinen eigenen Sitz hatte, wurden wir sieben Jahre in herzlicher  Gastfreundschaft am Ostkirchlichen Institut von dem 2015 verstorbenen Vater Albert Rauch und Vater Nikolaus Wyrwoll aufgenommen. Hier konnten wir in einer ganz besonderen ökumenischen Atmosphäre des Respekts, der gegenseitigen Wertschätzung  und seelischer  Verbundenheit leben. Hier habe ich auch häufig an der katholischen Heiligen Messe teilgenommen, die von den beiden Begründern des Instituts zelebriert wurde, aber auch an ökumenischen Veranstaltungen und Konferenzen, die das Institut organisiert hat. Hier konnte ich auch die Fokolar-Bewegung kennenzulernen, die 1940 von Chiara Lubich gegründet wurde und auf der ganzen Welt verbreitet ist. 1986 hat der Bischof von Aachen Klaus Hemmerle, der ein großer Sypathisant dieser Bewegung war, vorgeschlagen, dass Bischöfe verschiedener Konfessionen, die diesem Werk nahestehen, eine Gruppe bilden und sich einmal im Jahr treffen sollten. Seit 1994 gehöre auch ich zu dieser Gruppe. Bei diesen Treffen habe ich auch Chiara Lubich persönlich kennengelernt, eine wirklich charismatische Person, außerdem zahlreiche Bischöfe aus der ganzen Welt, die meine Lebenserfahrung bereichert haben und mein Herz geöffnet haben für das Mysterium des „Anderen”. Genauso nehme ich seit 1994 an den internationalen, interkonfessionellen und interreligiösen Begegnungen unter dem Motto „Menschen und Religionen, Kulturen im Dialog” teil, die von der Gemeinschaft San Egidio aus Rom organisiert werden und die den „Geist von Assisi” aufgreifen von jener ersten Begegnung der Religionen dort 1986 auf Initiative von Papst Johannes Paul II. Im September 1994 hatte ich nach dem Jahrestreffen wiederum in Assisi die Gelegenheit, vom Heiligen Vater zu einer Privataudienz in Castel Gandolfo empfangen zu werden, wo wir über einen möglichen Besuch Seiner Heiligkeit in Rumänien gesprochen haben. Dieser sollte dann 1999 stattfinden. Diesem Besuch des Heiligen Vaters, dem ersten in einem mehrheitlich orthodoxen Land, ging auch ein solches von der Gemeinschaft San Egidio in Bukarest organisiertes Treffen voraus, zu dem das Rumänische Patriarchat und der Präsident Rumäniens eingeladen hatten. Dieses Treffen diente auch der Vorbereitung auf den Papstbesuch. Tausende von Vertretern der verschiedenen christlichen Konfessionen und der großen Religionen der Welt nahmen an diesem Treffen teil.

Neben diesen großen jährlichen internationalen Treffen, die von der Fokular-Bewegung und der Gemeinschaft San Egidio organisiert werden, bin ich häufig eingeladen zu katholischen oder evangelischen Kirchentagen sowie zu verschiedenen lokalen ökumenischen Versammlungen. Häufig wurde ich darum gebeten, zu einem Thema der orthodoxen Spiritualität zu sprechen. So habe ich Dutzende von Vorträgen und Referaten vorbereitet und gehalten, die ich jüngst teilweise in einem Band veröffentlicht habe unter dem Titel „Die Orthodoxie zwischen Tradition und Moderne” (Schiller Verlag 2019). Ich war und bin immer wieder froh und dankbar, wenn ich an ökumenischen Begegnungen teilnehmen kann und einen bescheidenen Beitrag zur christlichen Einheit leisten kann. Wir sind alle verpflichtet dafür in erster Linie zu beten, aber auch dafür zu handeln. Dabei stellen wir uns gegenseitig unsere jeweiligen Traditionen vor.

Leider verabsolutieren einige ihre eigene Tradition und sehen bei den jeweils Anderen nichts Gutes. Ja mehr noch: manche halten alle anderen für verdammt, die nicht genauso glauben wie sie selbst! Diese instrumentalisieren die Wahrheit, die Gott Selbst ist und die jenseits jeglicher menschicher Definition liegt. Die Dogmen der Kirche dürfen nicht verabsolutiert werden, weil sie dann von Liebe entleert werden und als Waffen instrumentalisiert oder genutzt werden gegenüber jenen, die anders glauben. Doch auf solche Weise werden die Dogmen zu falschen Idolen, wie schon der heilige Gregor von Nyssa gesagt hat! „Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig!, sagt der heilige Apostel Paulus

Jede Form des Fundamentalismus, und der religiöse Fundamentalismus ganz besonders, ist eine Sünde gegen den Heiligen Geist, den Geist der Wahrheit, der Gemeinschaft und der Einheit! Ich bin mir der theologischen Differenzen zwischen den Konfessionen durchaus bewusst, aber diese dürfen nie ein Motiv sein, das uns voneinander trennt. Wir dürfen nie vergessen, dass uns mehr verbindet als trennt. Ich glaube, dass Christus im Herzen jedes frommen Gläubigen gegenwärtig ist, der seine Sünden bekennt und bereut, der sich darum bemüht, Gutes zu tun und niemand verurteilt oder verdammt.

Ich kann Gott, dem Grundgütigen, nicht dankbar genug sein,  der mir mein ganzes Leben lang immer wieder die Gelegenheit geschenkt hat, katholische oder evangelische Christen bei ihnen „zu Hause” kennenzulernen und sie wahrzunehmen, so wie sie sich selbst präsentieren, statt nach den scholastisch gestalteten Manualen der Konfessions- und Bekenntniskunde und deren vergleichender und abgrenzender Theologie. Ich danke Gott dem Herrn dafür, dass Er mir das Herz geöffnet hat, um jeden mit seiner ureigenen Identität ins Herz zu schließen und mich mit allen herzlich verbunden zu fühlen. Jetzt in meinem fortgeschrittenen Alter kann ich Dostojewskij umso besser verstehen, der sagte, „dass wir alle für alle verantwortlich sind”, aber auch die Aussage des orthodoxen Theologen Paul Evdokimov, wonach der Bischof auf horizontaler Ebene der Bischof der ihm anvertrauten Eparchie ist, in der vertikalen Ebene aber Bischof der ganzen Kirche und verantwortlich für alles, was in der gesamten Kirche Jesu Christi geschieht. Daher freue ich mich auch über alles Gute, das Menschen tun. Und Gott sei Dank wird immer noch viel Gutes getan in dieser Welt! – Aber ich fühle mich genauso verantwortlich für alles Böse in der Kirche und auf der Welt. Meine Pflicht ist es, für alle und für alles zu beten und immerzu Gutes zu tun ohne Ansehen der Person.

Der heilige Vater Sofronie Zaharov († 1993), der Gründer des Klosters zum heiligen Johannes dem Täufer von Essex in England hat als Gebetsordnung in seinem Kloster neben der Göttlichen Liturgie das Herzensgebet  eingeführt: „Herr Jesus Christus, du Sohn Gottes, erbarme dich über uns und über Deine ganze Welt”. Dieses Gebet wird täglich zwei Stunden lang am Morgen und am Abend in der Klosterkirche gebetet. Dieses von den besonderen asketischen Bemühungen des monastischen Lebens begleitete Gebet erweitert allmählich das Herz und bringt es dahin, alle Menschen wie als seine eigenen Körperglieder wahrzunehmen. Doch nicht nur das Jesusgebet, sondern jedes mit Innerlichkeit und Schmerz über die eigenen Sünden begangene Gebet verwandelt das Herz des Menschen in ein „mitfühlendes Herz” , wie der  heilige Isaak der  Syrer sagt. Ein solches Herz ist voller Liebe für Menschen und Tiere, Pflanzen und die gesamte Schöpfung Gottes. So stellt der Heilige Geist in unserem Herzen die ontologische Einheit mit der gesamten  Menschheit und der ganzen Schöpfung wieder her! Alles lebt in einem guten, gütigen und demütigen Herzen! Dies ist das Mysterium der Kirche, des mystischen Leibes Christi, der alles in Sich rekapituliert und erneuert. Aber nicht nur in Ihm selbst, sondern auch in allen denen, die sich mit Ihm in den Heiligen Sakramenten der Kirche im Gebet vereinigen. Und im Blick auf die ontologische Einheit des Menschengeschlechts zeitigen das Gebet eines jeden einzelnen, jedes gute Werk sowie jedes gute und aufbauende Wort positive Auswirkungen auf alle Nächsten. Genauso wirkt sich aber auch die Sünde jedes Einzelnen negativ auf alle aus.

Wie wir wissen befindet sich das Mönchtum im Herzen der Kirche.  Als Mönche sind wir die Erstberufenen darin, zum „Licht der Welt”, zum „Salz der Erde” und zur „festen Burg auf hohem Berg” zu werden, die den Menschen den sanften und demütigen, den armen und bis Tode gehorsamen Christus zeigen. Die Menschen erwarten von uns, dass wir unablässig für sie und die Welt beten. Auch wenn wir  abgeschieden leben von der Welt, so tragen wir diese Welt mit all ihren Sünden und Nöten doch in uns. Die größte Sünde freilich ist die Spaltung, die ein Werk par excellence des Teufels ist. Das Wort „Diabolos”  kommt bekanntlich aus dem Griechischen und bedeutet „der Spalter”, d.h . jemand, der Hass, Streit und Unfrieden sät. Es gibt so viel Spaltung in unserer Seele, in der Welt, in den Familien, in der Gesellschaft und in der Kirche! Und von daher kommt so viel Leid. Nur der Heilige Geist, der der Geist der Gemeinschaft und der Einheit ist, kann uns von den Spaltungen heilen und befreien und in uns die von Gott in Seiner Schöpfung angelegte Harmonie wiederherstellen. Dann werden wir von nichts und niemand mehr getrennt sein, weil wir alles in uns tragen. Dazu helfe uns der gute und allmächtige Gott!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und versichere Sie meiner aufrichtigen Liebe und meines demütigen Gebets.

Metropolit Serafim