„Dies ist der Tag, den der Herr macht; lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein“ (Wien, 11.06.2022)

Predigt gehalten von Metropoliten Serafim zur Weihe des Heiligen Altartisches der Kirche der Pfarrgemeinde „Herabkunft des Heiligen Geistes“ , Wien, 11. Juni 2022

Eure  Eminenz, Eure Exzellenzen, wohlehrwürdige und hochwürdige Väter, verehrte Gäste aus der Ökumene, sehr geehrte Vertreter der Behörden und des öffentlichen Lebens, geliebte Gläubige!

Wir teilen alle mit dem hochwürdigen Vater Emanuel Nuțu und den Gläubigen der rumänischen orthodoxen Pfarrgemeinde „Herabkunft des Heiligen Geistes” aus Wien die große Freude darüber, dass es mit großer Anstrengung aller Beteiligten gelungen ist, diese wunderschöne Kirche zu errichten, deren Heiligen Altar wir eben durch unser gemeinsames Gebet geweiht haben. Der Altar ist der heiligste Ort einer Kirche, das „Allerheiligste”. Wie allgemein bekannt, hat die Orthodoxie ein profundes Gespür und einen besonderen Sinn für das Mysterium des Glaubens und das Heilige, wie es in der Architektur der Kirche, in den Ikonen und Fresken, im Ritual der Gottesdienste und der Vokalmusik in der Kirche auch  gegenwärtig ist. Alles in einer Kirche ist voller Symbolik und verweist uns auf eine höhere, ja die höchste Wirklichkeit: die Wirklichkeit der himmlischen Welt. 

In Bälde wird diese Kirche mit dem Schmuck der Malerei bekleidet werden, sowohl innen, als auch außen, und zwar nach dem Vorbild der Kirchen aus der Bukowina; dieses Gotteshaus wird dann strahlen wie eine Braut. Die Kirche ist in der Tat die Braut Christi. „Wenn wir in der Kirche Deiner Herrlichkeit stehen, scheinen wir im Himmelreich zu sein, o Gottesgebärerin”, besagt ein kirchlicher Hymnus.  

Eine orthodoxe Kirche ist im Allgemeinen aus drei Teilen zusammengesetzt: dem Pronaos, dem Naos und dem Altar; dies symbolisiert die drei Personen der Heiligen Trinität. Der Pronaos symbolisiert den Heiligen Geist, unter dessen innerem Antrieb wir zur Kirche kommen, um uns mit Christus im Sakrament der Eucharistie zu vereinen. Aus dem Pronaos kommen wir in den Naos, das Kirchenschiff, das Symbol des Sohnes; und vom Naos gelangen wir zum Heiligen Altar, dem Symbol des Vaters. Es ist ein geheimnisvoller Aufstieg: der Heilige Geist führt uns zum Sohn, und der Sohn zeigt uns den Weg zum Vater. Wenn der Sohn Gottes sich der Welt in Seiner Menschwerdung offenbart hat und der Heilige Geist durch Sein Herabkommen an Pfingsten in Form der Feuerzungen, so bleibt Gott der Vater verhüllt im  Geheimnis, das der Heilige Altar, das „Allerheiligste”, darstellt. Zum Heiligen Altar blicken wir mit den Augen des Herzens mit heiligem Zittern, denn auf dem Tisch des Altars wird das unblutige Opfer des Erlösers Christus dargebracht, von ihm empfangen wir die Heilige Kommunion, um in uns das Leben zu haben.       

Die Gebetsstätte der christlichen Kirche wurde im Alten Testament präfiguriert von der „Stiftshütte“ (dem „Zelt der Offenbarung“), in dem sich die Israeliten nach dem Auszug aus der Knechtschaft in Ägypten auf ihrem 40 Jahre dauernden Pilgerzug zum Heiligen Land zum Gebet versammelten. Auch das Offenbarungszelt hatte ein „Allerheiligstes“: Dort wurden das Manna, die von Gott empfangene Nahrung für das Volk in der Wüste, die Gesetzestafeln mit den Zehn Geboten, die Mose am Berg Sinai empfangen hatte, und der grünende Stab Aarons, der seine wahre Priesterschaft erwiesen hatte (vgl. Numeri 17,16-27), aufbewahrt. In das Allerheiligste trat nur einmal im Jahr der Hohepriester ein (vgl. Hebräer 16,7). 

Auf dem Tisch des Heiligen Altars einer orthodoxen Kirche befinden sich immer: das Antimensium, auf dem das Opfer des Leibes und Blutes des Herrn dargebracht wird als das wahre Manna, das uns, wenn wir es empfangen, das ewige Leben schenkt; außerdem das Heilige Evangelium und das Heilige Altarkreuz. Nur geweihte Diener des Altars betreten den Heiligen Altarraum. Am Tag der Weihe einer Kirche indes treten alle Gläubigen in den Altarraum ein und küssen das Heilige Evangelium, das Heilige Altarkreuz und den Heiligen Altartisch und der Hierarch segnet sie alle.   

Wie gesagt kreieren die Architektur einer Kirche sowie die Ikonen und Fresken, die sie schmücken, das Ritual der Gottesdienste und der vokale liturgische Gesang eine mystische Atmosphäre des Gebets. In einer Kirche ruft uns alles zum Gebet, zur Verinnerlichung, zur Betrachtung der Geheimnisse Gottes und inspiriert uns dazu, „nach dem zu trachten, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist“ (Kolosser 3,2), damit wir immer mehr zu geistlichen Menschen werden, zu Menschen, die erfüllt sind vom Heiligen Geist. Ohne enge Verbindung zur Kirche, ohne Gebet und Selbstbeherrschung im Blick auf die körperlichen Freuden wird unsere Seele leidenschaftlich erfüllt von den Dingen dieser Welt, sie wird fleischlich und unsensibel für die göttlichen Geheimnisse, die uns umgeben. Der selige Augustinus sagte: Wer nicht geistlich ist bis in seinen Leib, der ist fleischlich bis in seine Seele. Die Sintflut kam über die Welt, als die Menschen Gott vergessen haben und nur noch nach dem Fleische lebten, statt sich auch um die geistlichen Dinge zu kümmern. So sprach auch der Herr: „Mein Geist soll nicht immerdar im Menschen walten, denn er ist Fleisch.“ (Genesis 6,3)   

Die Kirche bedeutet für uns als Christen das Leben selbst! Nirgendwo auf der Welt fühlt sich unsere Seele besser, behüteter und von der Gegenwart Gottes mehr umhüllt als in der Kirche. Nur in der Kirche und im Gebet erfahren wir Trost in allem Schmerz und Leid, das sich in unserem alltäglichen Leben immer wieder einstellt und häufig sogar ansammelt. Nur in der Kirche lernen wir, Gott zu lieben und uns gegenseitig zu lieben, denn nur die Kirche sozialisiert uns wirklich und macht uns sensibel für die Sorgen, Nöte und Bedürfnisse unserer Nächsten. Eine Gesellschaft ohne Religion und ohne Kirche ist der Auflösung und dem Untergang geweiht.   

So lege ich Ihnen ans Herz, die Kirche zu lieben und mit herzinniger Freude und der notwendigen Aufmerksamkeit in der Kirche zu beten, damit alles Beten und Singen Ihnen zu Herzen gehen und Sie mit dem Heiligen Geist erfüllen möge.   

Abschließend möchte ich den Gläubigen der Pfarrgemeinde „Herabkunft des Heiligen Geistes und Zum Heiligen Stefan dem Großen” mit  ihrem Geistlichen Vater Emanuel Ștefan Nuțu an der Spitze meinen herzlichen Dank aussprechen für alle persönlichen Opfer, die Sie zum Bau dieser Kirche erbracht haben. Diese Kirche ist ein Symbol des Glaubens und der Würde unseres Volkes auf österreichischem Boden, wo im Laufe der Zeit eine ganze Heerschar von Rumänen studiert und gearbeitet haben.  

Wir danken auch den Behörde der Stadt Wien, die mit großem Wohlwollen unseren Antrag für den Bau einer repräsentativen Kirche aufgenommen haben, die auch das spirituelle und kulturelle Patrimonium der österreichischen Hauptstadt bereichern wird. 

Wir danken gleichzeitig der Katholischen Kirche und Seiner Eminenz Christoph Kardinal Schönborn für die moralische und auch materielle Unterstützung für die rumänischen orthodoxen Gemeinden in Österreich. 

Nicht zuletzt danken wir all unseren Priestern aus Österreich, die gewaltige Anstrengungen unternehmen zur geistlichen Betreuung unserer Gläubigen und um für ihre Gemeinden jeweils ein eigenes Gotteshaus zu bekommen. 

Möge unser aller Opfer bei Gott gnädig angesehen werden! Und mögen wir alle unseren himmlischen Lohn dafür von Ihm empfangen! 

† Metropolit Serafim