Pastoralbrief zum Weihnachten, 2021

Machen wir aus unserem Herzen ein Obdach  für das Christuskind!

„Was werden wir Dir bringen, Christus? Denn Du bist auf Erden geboren – als Mensch für uns. Alle von Dir erschaffenen Geschöpfe bringen Dir Lobpreis dar: die Engel den Lobgesang, die Weisen ihre Gaben, die Erde die Höhle, wir Menschen aber die Gottesmutter. Gott unser Herr, Der Du von Ewigkeit her bist, erbarme Dich über uns!“

(Aus den Gesängen der Vesper zum Christfest)

 Hochwürdige und hochehrwürdige Väter, geliebte Gläubige,

 der heilige Johannes von Damaskus, der im 8. Jh. in Syrien lebte und ein großer Theologe und Verfasser kirchlicher Hymnen war, die wir bis heute in unseren liturgischen Büchern haben, sagt, dass die Menschwerdung des Gottessohnes bzw. Seine Geburt „das einzige (jemals) Neue unter Sonne” sei, also das größte Ereignis überhaupt, dessen die Menschheit je im Laufe ihrer Existenz teilhaftig wurde. Kein Ereignis in der Geschichte der Menschheit ist diesem Kommen Gottes in die Welt durch Seine Menschwerdung „aus dem Heiligen Geist und der Jungfrau Maria” vergleichbar, wie wir es in jeder Göttlichen Liturgie sprechen und bekennen. Gott, der „Schöpfer des Himmels und der Erde, der sichtbaren und der unsichtbaren Welt”, der in Seinem Sein unendliche Gott, der von keinem Gedanken und keinem Wort und keinem Geschöpf erfasst werden kann, nicht einmal von den Engeln – dieser Gott erniedrigt Sich selbst, Er wird klein und gering und wird Selbst Mensch, um die Menschen aus der Knechtschaft der Sünde und des Todes zu erlösen. Der Herrscher des Himmels und der Erde wird als Mensch geboren, aber nicht in einem Palast, nicht einmal in einem bescheidenen Haus, sondern einem Stall in der Gegend von Bethlehem. Die Engel kommen aus dem Himmel herab und singen über dem Stall: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens” (Lukas 2, 14); und den Hirten in der Gegend, die bei diesem Anblick erschraken, ruft ein Engel zu: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr” (Lukas 2, 10-11)  

Diese Freude über die Geburt des Herrn verkünden wir in den kirchlichen Hymnen und Gesängen, wie auch mit unseren traditionellen rumänischen Weihnachtsliedern, den „Colinde”. Vom Hochfest des Einzugs der Gottesmutter im Tempel an, dem 21. November, werden im Gottesdienst die „Katavasien (hymnische Gesänge) der Geburt des Herrn” gesungen. Die erste dieser Katavasien lautet: „Christus wird geboren, rühmet Ihn! Christus aus dem Himmel – gehet Ihm entgegen! Christus auf Erden, erhebet euch! Singet dem Herrn alle Welt und lobet Ihn alle Völker!” Die überreiche Freude, die wir in diesen Tagen des großen Hochfestes erleben, vertreibt aus unseren Herzen jede Angst und jede Furcht und erfüllt unsere Herzen mit Hoffnung, Ruhe und Frieden.

Das Ereignis der Geburt des Herrn ist ein kosmisches Ereignis; die ganze Schöpfung nimmt daran Anteil, wie der am Anfang erwähnte Hymnus besagt: die Engel jubeln und lobpreisen das Christuskind, die Himmel verkünden die Geburt durch den Stern, der sich gezeigt hat; die Weisen bringen ihre wertvollen Geschenke und Gaben: Gold, Weihrauch und Myrrhe, die Erde bietet Ihm die Höhle für die Geburt und das Menschengeschlecht bringt die Jungfrau Maria hervor als das heiligste und reinste Geschöpf, aus dem der Sohn Gottes als Mensch geboren werden wird.    

Wir Menschen von heute aber – was können wir Gott darbringen? Nichts anderes als unser Herz, damit das Christuskind darin Wohnung nehme! Durch den Mund des weisen Salomon fordert Gott von uns unser Herz: „Gib mir, mein Sohn, dein Herz!” (Sprüche Salomos 23, 26) Denn wenn wir Gott unser Herz geben, dann geben wir Gott alles, wissen wir doch sehr wohl, dass sich in unserem Herzen unser ganzes Sein, alle Menschen und die ganze Schöpfung Gottes konzentrieren! Das Herz ist das große Geheimnis des Menschen, in dem sich Gott selbst verbirgt. Daher legte uns auch der heilige Thaddäus (Tadej, *1914 – † 2003) vom Kloster Vitovnica (Serbien) nahe, „mit dem Herzen zu denken, mit dem Herzen zu sprechen und mit dem Herzen zu arbeiten”. Wir sollten diesen geistlichen Rat keine Sekunde lang vergessen und uns selbst zwingen, dass jeder Gedanke, jedes Wort und jede Tat von Herzen kommen möge und von Herzenswärme geprägt sein solle, denn nur so werden wir immerzu Frieden und Freude im Herzen haben.

Geliebte Gläubige,

die Heilige Synode der Rumänischen Orthodoxen Kirche hat das Jahr 2022 zum „Ehrenjahr des Gebets im Leben der Kirche und des Christen” erklärt. Der Mensch, das höchste Geschöpf Gottes, ist aus Leib und Seele zusammengesetzt und vereint in sich die sichtbare und die unsichtbare Welt, Erde und Himmel. Der Leib hält sein Leben aufrecht durch Speisen und Getränke, die Seele aber durch das Gebet. Und so wie der Leib nicht ohne Speisen und Getränke leben kann, genauso kann auch die Seele nicht ohne Gebet leben. Nun werden Sie sagen: Es gibt so viele Menschen, die ohne zu beten leben – und doch leben sie! In der Tat! Aber welche Art von Leben leben solche Menschen? Sie führen ein rein biologisches Leben, das dem der sprachlosen Lebewesen gleicht. Tiere haben keine vernunftbegabte Seele wie der Mensch; sie werden von Instinkten geleitet und das Leben endet für sie mit dem Tod. Nur der Mensch ist „nach dem Bild und Abbild Gottes“ erschaffen (vgl. Genesis 1, 26), um auf ewig in Gemeinschaft mit Ihm zu leben. Deshalb gibt es auch nur im Menschen jenes Streben nach Gott, jenes Streben nach Selbstüberwindung und danach, sich über die eigene Natur und die Instinkte hinaus zu erheben, um ein immer besserer Mensch zu werden: ein Mensch „gut wie Gott“, wie ein rumänisches Sprichwort einen guten Menschen beschreibt. Und so lebt auch nur in der Seele des Menschen der Wunsch, nicht zu sterben und ewig zu leben. Wenn der Mensch aber diesem Wunsch nicht Rechnung trägt, dann erlebt die Seele einen Abstieg, sie entartet und kann auf eine niedrigere Stufe gelangen als die eines Tieres. Was sind Kriege, Verbrechen, Hass und Spaltung unter den Menschen denn anderes als ein Verfall der menschlichen und seelischen Humanität? Im Psalm heißt es dazu: „Der Mensch kann nicht bleiben in seiner Pracht, sondern muss davon wie das Vieh.“ (Psalm 49, 13)             

Aus der Heiligen Schrift und aus der Tradition der Kirche wissen wir, dass Gott im Herzen des Menschen wohnt. Das Herz ist der heiligste Altar, auf dem der Gläubige Gott täglich das Opfer seines Lebens darbringt, also seine Sünden, seine Schmerzen, sein Leid und sein Versagen; das alles bringt der Gläubige vor Gott im demütigen Gebet, das mit Herzenswärme und Tränen der Reue verrichtet wird. Gott wiederum antwortet uns dadurch, dass Er unsere seelische Last erleichtert, dass Er uns tröstet und uns Geduld und Mut schenkt beim Tragen unseres Kreuzes. Das fromme tägliche Gebet verwandelt außerdem allmählich unser Leben, d.h. es macht uns zu besseren Menschen, sanftmütiger, mitleidsvoller und verständnisvoller gegenüber den Unzulänglichkeiten und Schwächen unserer Nächsten. Unsere Seele seufzt nach Gott und findet erst in Ihm Ruhe, wenn sie betet. „Du hast uns auf dich hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet dir“, lautet ein berühmtes Gebet des seligen Augustinus.    

Geliebte Gläubige,

seien wir uns dessen sicher, dass nichts wichtiger ist in unsere Leben als das zu Hause, unterwegs oder bei der Arbeit jederzeit und überall verrichtete Gebet. Es möge kein Tag vergehen, an dem wir nicht beten: wenigstens morgens und abends, vor und nach dem Essen. Es soll kein Tag vergehen, an dem wir nicht wenigstens ein Kapitel aus dem Neuen Testament und einige Psalmen lesen. Und wer mehr Zeit hat, sollte einen Akathistos-Hymnus oder einen Paraklis zur Heiligen Gottesmutter lesen. Das Lesen der Psalmen, die das Wort Gottes in Gebetsform sind, bringt uns großen Nutzen. Daher sagt auch der heilige Basilius der Große († 379): Es möge die Sonne nie untergehen, bevor du einige Psalmen gelesen hast!        

Das bedeutendste und wichtigste Gebet freilich ist das gemeinsame Gebet in der Kirche, durch die andachtsvolle Teilnahme an der Heiligen und Göttlichen Liturgie. Die Göttliche Liturgie, bei der wir die Kommunion am Leib und Blut Christi empfangen, kann durch nichts anderes ersetzt werden. Der Heiland Jesus Christus hat die Kirche gerade dazu gegründet, dass die, die an Ihn glauben, sich in ihr zum Gebet versammeln können. „Mein Haus soll ein Bethaus heißen“, sagt der Herr (Matthäus 22, 13) Wenn wir zu Hause beten, dann beten wir alleine oder mit der Familie; in der Kirche aber beten wir alle gemeinsam mit der ganzen Kirche, die die gesamte Menschheit und die gesamte Schöpfung umgreift, und haben den Erlöser Christus, die Gottesmutter und alle Heiligen an unserer Seite.

So sollen wir uns darum bemühen, an keinem Sonntag bei der Göttlichen Liturgie zu fehlen. Und wenn wir in der Kirche stehen, dann sollen wir uns ganz durchdringen lassen vom Gebet des Priesters am Heiligen Altar und vom Gesang des Chores. So werden uns die Kirche und ihre Gottesdienste immer vertrauter und lieber.

Zugleich ist es wichtig zu wissen, dass jedes Gebet mit aller Aufmerksamkeit und Konzentration zu verrichten ist, damit der Geist sich nicht anderweitig zerstreut. Wenn wir nicht aufmerksam sind beim Beten, dann kann unser Gebet nicht in unser Herz eindringen und nützt uns nicht. Der größte Feind des Gebets ist die Routine, also ein nur mechanisch und ohne innere Beteiligung des Herzens verrichtetes Gebet.               

Geliebte Gläubige,

Wir leben in schweren Zeiten, die wir nur überstehen können, wenn wir unser Gebet vertiefen und unsere Verbundenheit zur Kirche reichlich vermehren. Wir dürfen sicher sein, dass diese Pandemie, die heute die ganze Welt quält, wie auch die Leiden eines jeden Menschen nicht eine Strafe Gottes sind, sondern eine Folge unserer Sünden. „Gott ist Liebe!“, sagt uns die Heilige Schrift (1. Johannes 4, 8), die Liebe aber verfolgt und straft niemals! Durch Krankheiten und Leid, das Gott um unserer Sünden willen über uns kommen lässt, ruft Er uns zur Buße. Gott will nicht den Tod des Sünders, sondern dass jeder von seinem falschen Weg umkehre und lebe (vgl. Hesekiel 33, 11)! Wenn wir aber nicht von unseren Sünden ablassen, werden wir untergehen. Unser Leben ist in Gottes Hand. Daher ermutigt uns auch die Kirche in jedem Gottesdienst, „unser ganzes Leben Christus dem Herrn zu übergeben“ und uns vor nichts mehr zu fürchten: weder vor Krankheit, noch vor dem Tod! Gleichzeitig sollen wir in diesen Zeiten der Pandemie alles tun, was in unserer Macht steht: Wir sollen uns bemühen, uns nicht selbst oder andere anzustecken, indem wir die Regeln einhalten, die uns vorgegeben sind, und auf den Rat der Ärzte hören.

Ich wünsche Ihnen allen, den Dienern des Altars, Eltern und Kindern, jungen und alten Menschen

Frohe Weihnachten! und

Ad multos annos! Auf viele Jahre!

Euer Euch allezeit Gutes wünschender und immerzu für alle betender

Metropolit Serafim