Weihnachten 2004

 „Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht…“ (Mt. 19,14)

Wohlehrwürdige Väter und geliebte Gläubige,

Gott der Herr hat uns geholfen, ein neuerliches Mal in Frieden und Gesundheit das Große Fest der Geburt des Herrn zu erreichen. Nachdem wir unsere Seele in der vorweihnachtlichen Fastenzeit durch Gebet und Fasten wie durch Beichten und den Empfang der Heiligen Sakramente gereinigt haben, so sind wir heute zur Göttlichen Liturgie in der mit dem traditionellen Christbaum, einer Ikone der Geburt Jesu oder auch einer Krippe geschmückten Kirche zusammengekommen. Die weihnachtlichen liturgischen Gesänge wie auch unsere traditionellen  Weihnachtslieder, die den Rumänen in der Diaspora so sehr ans Herz gewachsen sind, erfüllen unser Herz mit großer Freude und Liebe zu dem Kind Jesus, das in Windeln gewickelt in einer Krippe zu Bethlehem liegt, aber auch zur Mutter Gottes, die den Erlöser der Welt geboren hat, zu Josef, dem Beschützer des Kindes und Seiner Mutter, zu den Hirten und den Weisen, die vor dem Neugeborenen in Ehrerbietung gekniet und Ihm wertvolle Gaben gebracht haben, wie auch zu der ganzen Schöpfung Gottes, die sich heute ihrer Rettung aus der Sünde durch die fleischliche Geburt des Sohnes Gottes freut. Heute freut sich die ganze Schöpfung: Himmel und Erde, Engel und Menschen der Geburt Dessen, der in die Welt zu den Menschen gekommen ist, „damit sie das Leben und volle Genüge haben sollen“ (Joh 10, 10). Weihnachten ist deshalb vor allem die Feier des Lebens, des von Gott durch Seinen Sohn wahrhaft erneuerten Lebens. Dieses von Gott der Welt durch den Erlöser Jesus Christus neu geschenkte Leben bedeutet Gemeinschaft mit Ihm im Glauben und in Liebe. Der Erlöser hat über sich gesagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ und „Wer meine Gebote hält, der liebt mich“ (Joh 14,6; 5,24; 15,9). Wer also an Jesus Christus glaubt und Seine Gebote erfüllt, der lebt sein Leben auf eine wahrhaftige Weise. Ein Leben, das in steter Verbindung mit Gott steht und dem Menschen Freude und ewige Glückseligkeit verspricht.

Geliebte Gläubige,

In dieser Weihnachtspastorale möchte ich Euch eine besondere Pflicht ans Herz legen, die wir gegenüber unseren Kindern haben, eine Pflicht, die nicht nur den Eltern obliegt, sondern auch der Kirchengemeinde, dem Priester und dem Bischof als dem geistlichen Vater aller. Genau deswegen habe ich diese Weihnachtspastorale mit den Worten des Erlösers „Lasst die Kinder zu mir kommen und wehrt ihnen nicht…“ eingeleitet. Ich denke, nichts verschönert, bereichert und erheitert das Leben in der Familie, der Gesellschaft und der Kirche mehr als die Anwesenheit von Kindern. Wo Kinder sind, ist Leben, Freude, reine Liebe, Unschuld und alle Gaben, mit denen der Schöpfer den Menschen am Anfang der Schöpfung ausgestattet hat. Wo keine Kinder sind, da verläuft das Leben ohne Dynamik, ohne Freude und Reinheit. Wir können uns eine Welt ohne Kinder nicht vorstellen, denn es wäre eine traurige, abstoßende Welt, eine Welt, die nur zum Tode führen würde. Deshalb war auch das erste Gebot an die Menschen nach ihrer Erschaffung: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan“ (1. Mos 1,28). Die Fruchtbarkeit und die Vermehrung gehören zur Natur des Menschen, sind seinem Wesen eingeschrieben. Sie gehören nicht zur Moral, die Regeln aufstellt für die Beziehungen zwischen den Menschen. Wer sich also willentlich dem Gebot der Fruchtbarkeit und der Vermehrung widersetzt, der widersetzt sich dem Leben selbst und Gott, der uns das Leben schenkt. Ein solcher Mensch wird seiner Strafe sicher nicht entgehen, weder in dieser Welt, noch in der künftigen, vielleicht sogar in beiden nicht. Leider vergessen heute viele Christen – und zwar mehr als Nichtchristen –, dass der erste Sinn der Ehe die Geburt von Kindern ist, um die Menschheit am Leben zu erhalten. Die niedrigen Kinderzahlen und die Abtreibung sind heute allgemeine Probleme. Bei uns in Rumänien sind seit der Freigabe der Abtreibung 1990 rund 10 Millionen Abtreibungen, also gezielte Tötungen, vorgenommen worden. Denn das Kind hat sein Leben von der Zeugung an von Gott erhalten. Die Gynäkologien an unseren Kliniken sind von Geburtsstätten zu Todesfabriken geworden. Das Verbrechen der Abtreibung, das eng zusammenhängt mit dem moralischen Verfall der Gesellschaft durch Zügellosigkeit, Scheidungen, Ehebruch und Korruption, bedeutet einen wahrhaften Fluch, der auf unserem Volk lastet, das degeneriert und sich allmählich bis zur Auflösung verringert. Diese schweren Sünden, die aus dem Mangel an Glauben und an Gottvertrauen resultieren, ziehen eine Menge an Krankheiten, an Leid und Schwierigkeiten nach sich, die von Gott gegeben sind, um die Menschen zur Umkehr zu bewegen.

Wer Vater Arsenie Boca (1910-1989) gekannt oder in seinen Büchern gelesen hat, der weiß, wie sehr dieser Mönchspriester mit seinem heiligen Leben ein wahrhafter Prophet unserer Tage war; er betont die Heiligkeit der Familie durch die Geburt von Kindern nach dem Willen des Herrn und ihre Erziehung in Glauben und Gottesfurcht. Weil er nicht nur ein seinem heiligen Leben gemäßes geistliches Wissen hatte, sondern auch umfassende Kenntnisse von Biologie und Medizin, lehrt uns Vater Arsenie, dass es sehr wichtig ist, um gesunde und gute Kinder zu haben, dass die Eltern gläubige Menschen ohne Laster sind, dass sie die Fastenzeiten und Feiertage respektieren, um keine Kinder in dieser Zeit zu zeugen, und dass sie die eheliche Enthaltsamkeit für die ganze Dauer der Schwangerschaft und des Stillens bewahren. Besonders die Mutter muss in dieser Zeit jede Aufregung und jeden Ärger vermeiden, sie darf nur gute und positive Gedanken haben, sie soll viel beten und regelmäßig die Sakramente empfangen. So wird das Kind von Anfang an ein gesundes Wesen entwickeln, das keine leidenschaftlichen Neigungen kennt, die dann im Laufe des Lebens ausbrechen. Denn alle Laster und Leidenschaften, die im Laufe des Lebens auftauchen, haben ihre eigentliche Ursache in dem Wesen, das wir von unseren Eltern, Großeltern und sogar Urgroßeltern bekommen haben. Im 5. Buch Mose (Deuteronomium) lesen wir: „Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen, aber Barmherzigkeit an vielen Tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten“ (5. Mose 5, 9-10) Wichtig ist auch, dass die Kinder nach der Taufe und bis zum Alter von sieben oder acht Jahren regelmäßig zur Kirche gebracht werden und jedesmal die Heiligen Sakramente empfangen. Nach diesem Alter werden sie lernen, zu beichten und zu fasten, um möglichst oft die Kommunion zu empfangen. Bekanntlich imitieren die Kinder die Eltern und die Größeren im allgemeinen. Deshalb müssen die Eltern mit ihren Kindern beten und sie allmählich in die Geheimnisse und Sakramente des christlichen Glaubens einweihen. Der heilige Johannes Chrysostomos nennt die Familie „Kirche im Kleinen“, weil wir in der Familie gemeinsam beten: Großeltern, Eltern und Kinder, und wir wachsen gemeinsam im Geiste des Glaubens und der christlichen Tradition. Darum sollte in jedem christlichen Haus ein mit einer Ikone und einer Kerze geschmückter Gebetswinkel als Hausaltar vorhanden sein. Meistens hat die Großmutter oder die Mutter die Rolle des „Priesters“ in der Familie, weil sie von Gott mit mehr Sensibilität für das Heilige ausgestattet wurden. Die Atmosphäre des Friedens und des Verstehens in der Familie ist genauso wichtig für die Erziehung und die Zukunft des Kindes.

Die Kirche ist in gleichem Maße für die religiöse Erziehung des Kindes verantwortlich. Doch sie kann diese Mission nur in Zusammenarbeit mit den Eltern erfüllen. Deshalb haben die ehrwürdigen Priester die Pflicht, in reger Verbindung mit den Eltern zu stehen und regelmäßig Stunden mit Christlicher Unterweisung für alle Kinder aus der Kirchengemeinde zu organisieren. Dieser kirchliche Religionsunterricht kann am Sonntag vor dem Beginn der Göttlichen Liturgie oder auch während ihres ersten Teils gehalten werden; anschließend werden die Kinder in die Kirche gebracht, um am Gottesdienst teilzunehmen und die Heiligen Sakramente zu empfangen. Dabei müssen die Eltern ihre kleinen Kinder beaufsichtigen, um eine Störung der Atmosphäre des Gebets im Gottesdienst zu vermeiden. Aber auch die Gläubigen müssen sich nicht jedes Geräusch zu Herzen nehmen, das Kinder machen. Wenn unser Geist und unser Herz im Gebet versunken sind, dann sind wir ohnehin weniger aufmerksam gegenüber dem, was um uns herum passiert. Wir sollen uns alle freuen, wenn möglichst viele Kinder in der Kirche sind! Denn ohne Kinder haben wir keine Zukunft. Die Eltern wiederum ihrerseits sollen wissen, dass keine Mitgift wichtiger für das Kind ist, als seine religiöse Erziehung und sein Heranwachsen im Geist des Glaubens. Denn durch Glauben und Gebet kommt uns aller Mut und alle Kraft zu, die Versuchungen und Schwierigkeiten des Lebens zu überwinden. Ein Kind, das in der Familie eine gute religiöse Erziehung erfahren hat und sich im Erwachsenenalter in die Kirche und die Gläubigen einreiht, wird ein gelingendes Leben haben, weil es Gott mit sich hat. Und mit Gott können wir nur Sieger sein!

Liebe Gläubige,

ich habe die Zuversicht, dass Ihr diese Unterweisung mit offenem Herzen aufnehmt und versuchen werdet, mehr Zeit für die Unterweisung Eurer Kinder zu finden. Ich weiß, dass es überhaupt nicht leicht ist, die Kinder in Glauben und Gottesfurcht zu erziehen. Oft wollen die Kinder und vor allem die Jugendlichen nicht auf die Eltern hören. Angezogen vom Geist ihrer Umwelt, wollen sie vor allem Freiheit. Aber eine falsch verstandene Freiheit, weil wahre Freiheit aus dem Glauben und aus dem Gebet kommt. Die Freiheit, die uns die Welt bietet, ist vor allem eine Knechtschaft gegenüber der Sünde. In diesen Fällen gibt es keinen anderen Ausweg als den Weg der Kirche, des ungebeugten Glaubens, des Fastens und unermüdlichen Gebets, das Wunder bewirkt. Wichtig ist, dass die Eltern am Gebet für den rechten Weg ihrer Kinder festhalten und nie die Hoffnung verlieren, dass Gott eines Tages das Gebet erhören wird. Gott der Herr hat den seligen Augustinus nach 18 Jahren der Fürbitte seiner Mutter Monica umkehren lassen.

Zum Schluss dieser Pastorale möchte ich Euch alle anleiten, Euren Eifer und Eure Liebe zum Hause Gottes, das die Kirche ist, und ihren Dienern zu steigern, und Euch zu bemühen, die Einheit in der Familie und in der Gemeinde zu wahren durch die Verbindung des Friedens (Eph 4, 3), damit Ihr Euch des Segens Gottes erfreuen könnt. Denn „wo Eintracht ist, dort verheißt der Herr den Segen und Leben bis in Ewigkeit“ (Psalm 132,3/deutsche Zählung: 133,3). Ich umarme Euch alle in väterlicher Liebe und wünsche Euch, dass Ihr die Heiligen Feiertag zu Weihnachten, Neujahr und Epiphanias mit Freude und Gesundheit verbringt.

Gesegnete Feiertage und Auf viele Jahre!

Euer Euch alles Gute wünschender und zu Gott, Dem in der Höhle zu Bethlehem Geborenen, Betender

  S E R A F I M

Erzbischof und Metropolit

Übersetzung: Pfarrer Dr. Jürgen Henkel (Sibiu/Hermannstadt)