Der Ruf zur Buße – Weihnachten 2005

„Tut Buße, denn das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen” (Mt. 3,2)

Wohlehrwürdige Väter und geliebte Gläubige,

Wir danken Gott dem Allgütigen, dass es Ihm gefallen hat, dass wir wieder in Frieden und Gesundheit die hochheiligen Festtage der Geburt unseres Herrn und Gottes und Erlösers Jesus Christus feiern dürfen. Wir danken Gott für alles, was Er uns zum Leben in dem Jahr, das wir in einigen Tagen beschließen, geschenkt hat, jedem einzelnen von uns und der Welt insgesamt.

Wir wissen alle, dass dieses Jahr ein Jahr großer Prüfungen für die ganze Menschheit war. Wir denken mit Schmerz an das Erdbeben in Asien am Ende des letzten Jahres, bei dem hunderttausende Menschen ihr Leben verloren; wir denken an die Wirbelstürme in Amerika, die beispiellosen Überschwemmungen in unserem Land, die zerstörerischen Waldbrände in Spanien und Portugal, das Erdbeben in Pakistan, das Kriegsgeschehen in verschiedenen Teilen der Welt und die große Anzahl der Terroranschläge, die so vielen unserer unschuldigen Nächsten den Tod brachten. Auch wenn die meisten Menschen sich kein geistliches Urteil darüber bilden können, so können wir Christen nicht umhin, darin auch einen Tadel Gottes oder einen Ruf der Welt zur Buße zu sehen. Wahr ist gleichzeitig, dass die Naturkatastrophen dieses Jahres das Mitgefühl und die Solidarität von Millionen von Menschen weltweit für die so Betroffenen ausgelöst haben. Das ist zweifellos ein wundervolles und Hoffnung schenkendes Zeichen dafür, dass die Menschen ihre Humanität nicht völlig verloren haben, sondern sich noch zur Hilfe für ihre Mitmenschen in Not zu mobilisieren wissen.

Denken wir nur an die Sensibilität unserer orthodoxen Mitchristen in Rumänien, die auf die Aufforderung unseres Patriarchen Teoctist seit Anfang dieses Jahres in wenigen Monaten über 500.000 Euro für die Opfer der Überschwemmungen in Asien gesammelt haben. Danach folgten die Überschwemmungen in unserem eigenen Land, die unsere ganze Kirche zur Hilfe für die Opfer der Wassermassen mobilisierten und zur Sammlung von über zwei Millionen Euro geführt haben, ganz abgesehen von den Sachspenden. Auch unsere Metropolie hat fast 30.000 Euro für die Überschwemmungsopfer gesammelt. Dies alles sind erfreuliche Werke der Nächstenliebe, für die wir Gott Dank schulden und den Menschen, die auf den Ruf der Kirche geantwortet haben.

Gewiss haben die Werke der christlichen Nächstenliebe als Ausdruck eines lebendigen und in der Liebe wirkenden Glaubens eine fortdauernde Gültigkeit, denn „Arme habt ihr allezeit bei euch”, wie der Erlöser sagt (Mt. 26, 11). Gegenüber unseren in Not oder Leid befindlichen Nächsten haben wir immer die Pflicht, ihnen beizustehen mit ermutigenden Worten und Gebeten, aber auch mit Werken, die konkret aus dem Glauben erwachsen. Denn der Glaube ohne Werke ist tot (vgl. Jak. 2,17).

Geliebte Gläubige,

Bei seiner Vorbereitung der Verkündigung des Herrn Jesus Christus hat der Vorläufer des Herrn, Johannes der Täufer, seine Predigt am Jordan mit der Aufforderung zur Buße begonnen: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!” Die Volksmengen, die seine Stimme hörten, bekannten ihre Sünden und bekamen die Taufe gespendet, das Zeichen ihrer Umkehr zu Gott. Unser Erlöser Jesus Christus beginnt Seine messianische Predigt mit demselben Ruf zur Buße: „Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist nahe. Tut Buße und glaubt an das Evangelium” (Mk 1,15).

In der Sprache der Bibel und der Kirche heißt Buße zu Gott umzukehren, zurück von den Wegen des Sündenfalls, auf die dich die Sünde geworfen hat. Denn durch die Sünde irrt der Mensch ab von den Wegen Gottes und begibt sich auf falsche Wege, oft ohne sich dessen bewusst zu sein, weil sein Gewissen nicht mehr in der Lage ist, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Oder wenn er sich dessen bewusst wird, dass er auf einem falschen Weg ist, dann lähmt die Gewöhnung an die Sünde oft seinen Willen derart, dass er nicht auf den Weg Gottes zurückkehren kann. Denken wir daran, dass heute die meisten Christen nur noch dem Namen nach Christen sind, weil sie keine persönliche Beziehung zu Gott im Gebet mehr haben, und gleichgültig sind gegenüber den Geboten Gottes und Seiner Kirche, die sie nur zu Ostern aufsuchen und wenn ihnen etwas Übles widerfährt. Diese leben praktisch wie Ungläubige oder religiös Gleichgültige. Sünden wie das Zusammenleben ohne kirchliche Trauung, der Ehebruch, Empfängnisverhütung oder sogar Abtreibung, Alkoholmissbrauch und Rauchen erscheinen ihnen „normal”. Ja mehr noch: heute leben die meisten Menschen, ohne sich noch irgendeine moralische Norm aufzuerlegen, also ohne Gewissensbisse zu empfinden.

Zu diesem beispiellosen moralischen Verfall ist es gekommen, weil die Prinzipien, die die modernen Gesellschaften leiten, zum Großteil antichristlich sind und somit inhuman. Für die Wirtschaft der Länder im Prozess der Globalisierung steht nicht mehr der Mensch als nach dem Ebenbild Gottes geschaffenes Geschöpf im Mittelpunkt, sondern die Produktion und der Gewinn. In erster Linie zählt der Profit. Um des Profits willen wird alles geschaffen, was auf die wachsenden Ansprüche der Menschen antwortet. So entsteht eine wahrhafte „Kultur der Sünde” (Vater Sofronie). Denn der Mensch lebt so nicht mehr nach den moralischen Prinzipien des Christentums und gibt seinem Egoismus und den sinnlichen Freuden hemmungslos nach, die ihn allmählich zum geistlichen Tod führen. Der Glaube wird so mehr und mehr ins Private verdrängt und verliert seine die Gesellschaft transformierende Kraft. Doch ohne Religion verlieren die Menschen die stärkste moralische Unterstützung ihres Lebens und verfallen leicht in Depressionen, Krankheiten und allerlei Unzufriedenheiten. Auch wird keine Regierung ohne religiöse Verwurzelung die großen sozialen Probleme in der Welt von heute lösen können.

Geliebte Gläubige,

Die Rettung der Welt aus der Krise, in der sie sich befindet, ist nur durch die Buße möglich, d.h. durch die Umkehr zu Gott, der „nicht den Tod des Sünders will, sondern dessen Umkehr, damit er lebt”. Doch weil die Menschen nicht aus freien Stücken umkehren wollen, erlaubt sich Gott, eine Menge von Versuchungen über sie kommen zu lassen, um durch sie zu Ihm umzukehren. Wir wissen alle, dass wir Gott leicht vergessen, wenn es uns gut geht. In Leid und Unglück aber suchen wir Gott, und sei es nur, um Ihn um Hilfe zu bitten. Doch die Buße, die Gott von uns haben will, besteht aus mehr, als Ihn um Hilfe zu bitten. Sie bedeutet, die eigenen Sünden zu erkennen, sie zu beichten vor dem eigenen Beichtvater, die Wiedereingliederung in die Gemeinde, zu der wir gehören, die regelmäßige Teilnahme an der Göttlichen Liturgie, das tägliche Gebet, das von der Kirche vorgesehene Fasten und gute Werke, die aus der Liebe zu Gott und dem Nächsten resultieren. Johannes der Täufer sagte zu denen, die zu ihm kamen und ihn um Vergebung ihrer Sünden baten: „Bringt rechtschaffene Frucht der Buße! Denkt nur nicht, dass ihr bei euch sagen könntet: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott vermag dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken” (Mt. 3, 8-9). Uns heutigen Christen würde Johannes der Täufer sagen: Täuscht euch nicht in dem Irrglauben, es reichte, getauft zu sein, sondern erfüllt die euch bei der Taufe gegebenen Verheißungen, sagt euch los vom Satan und all seinen Werken und vereinigt euch mit Christus, indem ihr Seine Gebote erfüllt, die euch gegeben sind, um sie zu leben. Sonst „ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; denn jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen” (Mt. 3,10).

Die Buße beginnt also mit dem Bekenntnis der Sünden im Beichtstuhl. Leider wird heute die Beichte immer weniger praktiziert. Die Evangelische Kirche hat sie fast vollständig verloren, die Katholische Kirche empfiehlt sie mit Nachdruck, vor allem der Papst, bei uns Orthodoxen aber, wo die Beichte an die Kommunion gebunden ist, beichten die meisten nur noch einmal im Jahr, zum Heiligen Osterfest. Tatsächlich ist die Buße nicht an bestimmte Feiertage oder Fastenzeiten gebunden. Sie ist nur an die Sünde gebunden. Sofort wenn wir eine Sünde begangen haben, vor allem eine Todsünde, eine schwere Sünde, müssen wir zu unserem Beichtvater gehen und beichten. Die wahre Beichte geschieht in der Zerknirschung des eigenen Herzens um der begangenen Sünde oder Sünden willen und im festen Willen vor Gott, diese Sünde nicht zu wiederholen, „weil wir lieber sterben, würden als diese Sünde zu wiederholen”, wie es im Gebet vor dem Sakrament der Beichte heißt.

Wir müssen gleichzeitig für die Beichte genügend Zeit finden, damit uns unser Beichtvater möglichst gut für den geistlichen Kampf rüsten kann, den jeder von uns mit den bösen Geistern führt, die uns zur Sünde verlocken. Gerade deshalb darf die Beichte nicht auf Ostern aufgeschoben werden, wenn der Priester nicht mehr genügend Zeit hat zur Beratung.

Wenn wir ernsthaft und mit wirklichem Bedauern unsere begangenen Sünden beichten, dann werden wir durch das Gebet und die Absolution, die uns vom Priester zugesprochen wird, mit einem befreiten Gewissen den Beichtstuhl verlassen und fest entschlossen sein, unser Leben nach den Geboten des Evangeliums zu ändern.

Als geistlicher Vater der Priester und Gläubigen unserer Metropolie empfehle ich euch allen nachdrücklich, so oft als möglich in den Beichtstuhl zu kommen, weil „wir alle auf viele Weise sündigen” (Jak 3, 2) und alle der Vergebung und des Segens Gottes bedürfen. Dabei gilt die Zusage: „Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir aber unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit” (1. Joh. 1,8-9).

Geliebte Gläubige,

Zum Abschluss unserer Pastorale möchten wir Euch informieren, dass im nächsten Jahr dank der Gnade Gottes zwei große Ereignisse anstehen, über die sich unsere Metropolie ganz besonders freut und auf die wir uns jetzt schon vorbereiten.

Zum einen wird am Sonntag, 7. Mai, eine Göttliche Liturgie aus unserer Metropolitankathedrale direkt im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) übertragen; zum anderen wird unsere Kathedrale am Sonntag, 14. Mai 2006, geweiht. Gott der Herr hat uns geholfen, dass wir uns dem Abschluss der Arbeiten zur Restaurierung der Kirche und ihrer Ausgestaltung nach den Vorgaben unserer orthodoxen Ikonographie nähern, wie auch dem Abschluss der Sanierung des gesamten Gebäudekomplexes, eines historischen Baudenkmals, das die Büros unseres Bischofsamtes, das Kloster zu den heiligen Brancoveanu-Märtyrern, die Ikonen-Malschule, ein Gästehaus wie auch den neuen Versammlungssaal umfassen wird. Die Weihe wird Seine Seligkeit, Patriarch Teoctist, vornehmen, zusammen mit allen acht rumänischen Bischöfen aus Amerika, Mittel- und Westeuropa, die sich vom 8. bis 14. Mai in Europa aufhalten werden zu ihrem dritten Jahrestreffen nach den Treffen in Paris (2004) und Detroit (2005). Alle Priester und Gläubigen sind herzlich eingeladen, an diesem großen Ereignis teilzunehmen, damit wir unserer gemeinsamen Freude Ausdruck verleihen, die Gott uns durch unsere Kirche und das Kloster in Nürnberg geschenkt hat. Allen, die über viele Jahre diese großen Projekte gefördert haben, danken wir „wieder und wieder” und bitten Gott darum, dass Er es ihnen im Überfluss im Diesseits und Jenseits vergelten möge.

In dem Wunsch, dass Ihr alle die heiligen Feiertage in Frieden und Gesundheit verbringen mögt, segne ich Euch im Namen des in der Höhle zu Bethlehem geborenen Herrn und richte an Euch unseren traditionellen Gruß:

Gesegnete Feiertage! und

Auf viele Jahre!

Euer allezeit zu Gott betender und Euch alles Gute wünschender

† Metropolit Serafim