Wilhelm Löhe als Kirchenvater

Interview mit S. E. Metropolit Dr. Serafim Joantă von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa

Bild: Metropolit Dr. Serafim Joanta (links) unterstrich bei der Verleihung der Löhe­Medaille durch Rektor Hermann Schoenauer die Bedeutung Wilhelm Löhes.

Einer der beiden Träger der diesjähri­gen Löhe-Medaille ist Metropolit Dr. Serafim Joantă. In seiner Dankesrede beim Jahresempfang in Nürnberg sag­te er, Wilhelm Löhe sei für ihn „wie ein Kirchenvater“. In einem Interview er­läuterte er nun diese Aussage.

Was ist ein „Kirchenvater“ im Sinne der Orthodoxen Kirche?

Ein „Kirchenvater“ oder „heiliger Vater“ ist eine besonders herausragende Persönlich­keit der Kirche, sei es auf dem Gebiet der Theologie – also der Erklärung des Glaubens oder seiner Verteidigung gegenüber Irr­lehrern -, sei es auf dem Gebiet der Fröm­migkeit oder des besonders authentischen Lebens des Glaubens, sei es auf dem Gebiet der Liturgie, der Katechese oder der Diako­nie. Einige Kirchenväter haben sich in allen diesen Bereichen besonders hervorgetan. Der heilige Basilius der Große zum Beispiel war im vierten Jahrhundert Bischof in Cäsarea Kappadozien in der heutigen Türkei. Er hat in seinen Predigten und Schriften die Gottheit des Heiligen Geistes verteidigt, die von dem Häretiker Macedonius infrage gestellt worden war. Der heilige Basilius hat mehrere Klöster gegründet und die ersten Regeln des Mönchslebens geschrieben, nach denen das orthodoxe Mönchtum bis heute lebt. Er hat auch die nach ihm be­nannte „Liturgie des heiligen Basilius des Großen“ begründet, die in der Orthodoxen Kirche bis heute gefeiert wird. Und er hat die erste christliche Sozialstation ins Leben gerufen, die später nach ihm „Vasiliada“ genannt werden wird und aus einer Leprasta­tion und Heimen für Waisenkinder und alte Menschen bestand. Der heilige Basilius ist gewissermaßen der Vorläufer aller christ­lichen Sozialeinrichtungen. Er selbst küm­merte sich um Leprakranke.

 

Alle Kirchenväter führten persönlich ein beispielhaftes Leben mit großer Ausstrah­lung auf die Gläubigen. Sie wurden schon zu Lebzeiten als geistliche Väter anerkannt, die ihr Leben für ihren Glauben an Christus und die Erlösung ihrer Nächsten geben. Die Erinnerung an diese heiligen Väter wird bis heute von Generation zu Generation weiter­gegeben und gepflegt durch die lebendige Tradition der Kirche. Die Kirchenväter sind normativ für die Theologie, die Spiritualität, das liturgische Leben und das sozial-diakonische Engagement der Orthodoxen Kirche.

Warum ist Wilhelm Löhe für Sie wie ein Kirchenvater?

In erster Linie wegen seines immer in Ver­bindung mit dem Altar, also mit der Liturgie der Kirche, gelebten Glaubens. Wilhelm Löhe hat die alte Liturgie seiner Kirche wieder hergestellt und sich darum be­müht, die Gläubigen durch eine besondere schöne Liturgie mit feierlichen Gesängen, Predigt und Einzelbeichte anzusprechen. Er ist überzeugt davon, dass das liturgische Gebet der Gemeinde im Gottesdienst die erlösende Gnade vermittelt und auch die Kraft schenkt, nach den Geboten des Herrn zu leben. Ohne fortlaufende Verbindung zur Liturgie der Kirche verblüht das christliche Leben und kann sogar pervertieren.

Zum zweiten wegen seines beispielhaften Dienstes in der Diakonie für den Nächsten. Die Gründung der Diakonie Neuendettelsau und die Entwicklung der Diakonie bis heute im Geiste ihres Gründers ist ein Zeichen der göttlichen Vorsehung.

Außerdem wegen seiner persönlichen Le­bensführung und seinem Familienleben. Er blieb in recht jungen Jahren Witwer mit vier Kindern und hat nicht mehr geheiratet. Sein Leben gründete sich auf die Prinzipien der biblisch-christlichen Moral, die er sein ganzes Leben lang auch den Gläubigen zu vermitteln versuchte, die er als Pfarrer betreute, auch wenn er von der Leitung seiner eigenen Kirche nicht immer verstanden und manchmal sogar boykottiert wurde. Das ist nichts Besonderes: so erging es vielen Kir­chenvätern in der Kirchengeschichte, die für ihren Glauben oder ihre Kompromisslo­sigkeit bei der Verteidigung der Werte der christlichen Moral verfolgt wurden. Denken wir nur an den heiligen Johannes Chrysostomos (+ 407), der öffentlich gegen die Un­moral der Kaiserin Eudoxia aufgetreten ist. Die Überzeugung Löhes, dass „alle Diakonie vom Altar ausgeht“, ist von universeller Bedeutung. Anders verliert die Diakonie ihre Bedeutung und ihre geistliche Kraft. Schon für diese Aussage gebührt Wilhelm Löhe die Aufnahme in den Kreis der Kirchenväter. Ich wäre überaus glücklich, wenn ich wüsste, dass auch die evangelischen Christen ihn als einen Vater im Glauben würdigen und ihn ehren und seiner Lehre und seinem Leben folgen.

Welche Bedeutung hat die Wilhelm-Löhe-Medaille für Sie?

Für mich ist es eine besondere Ehre, die Wilhelm-Löhe-Medaille verliehen bekom­men zu haben. Ich fühle mich Wilhelm Löhe geistlich eng verbunden, vor allem seit ich seine Lebensgeschichte gelesen habe. Er hat, wie gesagt, ein strenges gottgefälliges Leben geführt, gegründet auf dem „Sak­rament des Altars“, auf einem lebendigen Glauben daran, dass das Brot und der Wein, die den Gläubigen gereicht werden, Leib und Blut Christi sind, sowie auf dem „Sakra­ment des Bruders“, wie es der heilige Johan­nes Chrysostomos nennt, also dem Dienst am Nächsten.

Wilhelm Löhe hat die Christusgläubigen an den Christus auf dem Altar der Kirche und gleichzeitig an den Christus, der in jedem Nächsten von uns leidet, gebunden. Mit der Verleihung dieser Medaille fühle ich mich noch mehr verpflichtet, niemals das „Sakra­ment des Altars“ vom „Sakrament des Bru­ders“ zu trennen, denn Christus kann nicht zerteilt werden. Er ist nur der ganze Chris­tus, wenn beide Sakramente vereint sind!