Rede zum Dialogforum „Religion und Integration“ (München, 13.10.2025)

Sehr geehrter Herr Minister Hermann, geschätzte Teilnehmer dieses Forums!

Mein Name ist Serafim Joantă und ich vertrete hier die rund 300.000 rumänisch-orthodoxen Christen in Bayern. In unserem Freistaat haben wir 49 Pfarreien, drei Filialgemeinden, zwei Klöster, an denen insgesamt 74 Geistliche dienen: Priester, Diakone, Mönche und Schwestern. Die meisten unserer Gläubigen besitzen einen rumänischen Pass, nicht wenige haben die deutsche Staatsbürgerschaft. Viele orthodoxe Rumänen sind mit Deutschen – Katholiken oder evangelischen Christen – verheiratet. Mischehen sind für uns das beste Beispiel für gelebte Ökumene. Wir danken Gott, dass wir in diesem Land mit einem fleißigen und disziplinierten Volk leben, das Fremden gegenüber aufgeschlossen ist und die Identität jedes Einzelnen respektiert.

In einer demokratischen Gesellschaft haben die Menschen nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Ich glaube, dass die erste Pflicht, die natürlichste Pflicht derjenigen, die nach Deutschland gekommen sind, um hier ein besseres Leben zu führen, darin besteht, die Gesetze des Landes zu respektieren, in dem wir freiwillig leben. Dazu gehört auch, uns in die neue Gesellschaft zu integrieren, ohne unsere eigene Identität zu verlieren.

Integration hebt die persönliche Identität nicht auf, sondern bereichert sie. Niemand verlangt von uns, unsere eigene Identität aufzugeben, die aus Sprache, Glauben, Kultur, Traditionen und volksspezifischen Bräuchen besteht. Aber wir können und sollen uns nicht in uns selbst zurückziehen, ethnische Ghettos bilden und Gemeinschaft und natürliche Kommunikation mit anderen verweigern, außer um den Preis der persönlichen Selbstaufgabe.

Ich spreche immer von einer „offenen Identität“, die durch das, was sie von anderen empfängt, bereichert wird. Jeder Mensch und jedes Volk hat seine eigene Identität. Es gibt keine zwei identischen Menschen, keine zwei identischen Völker. Doch kein Mensch und kein Volk lebt isoliert, sondern gemeinsam mit anderen. Der Mensch ist ein soziales Wesen und kann sich nur in der Gemeinschaft mit seinen Mitmenschen verwirklichen. So hat Gott uns geschaffen, um zusammenzuleben und auch aufeinander bezogen zu sein, denn kein Mensch ist sich selbst genug. Wir sind alle Brüder und Schwerstern als Kinder desselben Gottes und brauchen unsere Mitmenschen. Die goldene Regel des Zusammenlebens ist Liebe, Unterstützung und gegenseitige Hilfe, unabhängig von Rasse, Nation oder Glauben. So bereichern wir uns gegenseitig.

Der Mensch ist ein religiöses Wesen par excellence: „Du hast uns für dich geschaffen, Herr, und ruhelos ist meine Seele, bis sie Ruhe findet in dir“, sagt der heilige Augustinus († 430). Eine allgemeingültige Wahrheit! Nur die Religion, die eine persönliche Verbindung mit Gott, unserem Schöpfer, und mit unseren Mitmenschen bedeutet, spendet unserer Seele inneren Frieden und jene Kraft, die mit dem Leben  verbundenen Schwierigkeiten zu bewältigen und zu überstehen, wo immer wir leben. Religiöser Fundamentalismus oder die Verwandlung von Religion in eine Kriegswaffe gegen andere bedeutet die Leugnung der Religion selbst, die Leugnung Gottes, der uns frei geschaffen hat und die Freiheit eines jeden respektiert.

Die Rumänische Orthodoxe Kirche ist eine der aktivsten Kirchen innerhalb des Ökumenischen Rates der Kirchen mit Sitz in Genf. 1999 lud die Rumänische Orthodoxe Kirche den Heiligen Vater Papst Johannes Paul II. zu einem Besuch in Rumänien ein. Es war der erste Besuch eines Pontifex in einem Land mit mehrheitlich orthodoxer Bevölkerung. Wir führen auch Dialoge auf panorthodoxer Ebene mit allen großen Kirchen sowie bilaterale Dialoge. Ich selbst bin Ko-Vorsitzender des bilateralen theologischen Dialogs zwischen der Rumänischen Orthodoxen Kirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland/EKD, der seit 1979 regelmäßig stattfindet.

Unsere Metropolie mit Sitz in Nürnberg ist auf landesweiter Ebene aktives Mitglied der ACK, wie auch die Gemeinden auf lokaler Ebene Mitglieder der ACK sind. Im Dialog geht es um das Wesen des Menschen. Alle Probleme, die zwischen Menschen entstehen, in der Familie, in der Gesellschaft oder in religiöser Hinsicht, werden nur durch Dialog gelöst. Es gibt eine Kultur des Dialogs, zu der jeder Mensch, alle Nationen und Völker und alle Religionen aufgerufen sind.

Abschließend bitte ich um Gottes Segen für uns, damit wir einen konstruktiven Dialog für uns selbst und für die Gesellschaft, in der wir leben, führen können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

München, 13. Oktober 2025

Metropolit Serafim von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa