Das Bischofsamt und die synodale Struktur der Kirche (Graz, 23.05.2022)

Vortag gehalten von Metropoliten Serafim an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Graz, 23.05.2022

Zunächst möchte ich Herrn Prof. Pablo Argarate herzlich danken für die Einladung, hier an der Universität Graz diesen Vortrag zum Thema Das Bischofsamt und die synodale Struktur der Kirche zu halten. Besonders weil das Prinzip der Synodalität von größter Bedeutung und Aktualität ist. Sowohl für die Orthodoxe Kirche, bei der die Synodalität auf allen Ebenen zu ihrer Struktur gehört, im Moment jedoch aufgrund der Situation in der Ukraine nicht mehr auf panorthdoxer Ebene ausgeübt werden kann, als auch für die Katholische Kirche, die zwar auf manchen Ebenen die Synodalität praktiziert, heute aber insgesamt versucht, diese als fundamentales Führungsprinzip der Kirche wiederzuentdecken.

  1. Die Kirche als „Leib Christi”

Der desakralisierende Zeitgeist der heutigen Welt verführt den modernen Menschen dazu, in der Kirche nur noch eine in ihrer Geschichte verstaubte und altmodische Institution zu sehen, die ihn seiner Freiheit berauben würde. Heute „lebt sogar der religiöse Mensch mehr sozial in der Kirche als religös in der Gesellschaft”, wie ein rumänischer Geistlicher es einmal formuliert hat; er bringt also den Geist dieser Welt in die Kirche statt den Geist Christi in die Gesellschaft zu tragen.

Erlauben Sie mir zunächst, einige Anmerkungen zu machen über die Kirche in ihrer Wesenseigenschaft als Subjekt des Glaubens bzw. des Mysteriums des Glaubens. Die Kirche ist nicht einfach ein Verein, der seine Glaubenswahrheiten und seine Morallehre nach Belieben gemäß dem Zeitgeist verändern kann, sondern eine gott-menschliche (divino-humane) Institution, in der das Humanum berufen ist, sich vom Divinum verwandeln zu lassen. Die Kirche ist ein Geheimnis, an das wir genauso glauben wie wir an Gott-Vater, Sohn und Heiligen Geist und die anderen Geheimnisse des Glaubens glauben. Im Nizäno-Konstantinopolitanischem Glaubensbekenntnis von 381 bekennen wir: „(Ich glaube) an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche” (9. Artikel). Wir glauben also auch an die Kirche und empfangen die Wahrheit (des Glaubens), die uns die Kirche durch die Verkündigung des Evangeliums und des Glaubensschatzes, wie er in der Heiligen Tradition enthalten ist, vermittelt. Und die Wahrheit macht uns frei (vgl. Johannes 8,32). Die Geheimnisse des  Glaubens, die uns die Kirche mitteilt, folgen nicht den Gesetzen der Logik, sondern der Metalogik. Das Geheimnis des Glaubens (Mysterium fidei) kann nicht durch theoretische Diskurse ausgeschöpft werden, denn damit riskieren wir, es aufzulösen. Vor dem Geheimnis des Glaubens verbeugen wir uns tief und beten es an! Die Orthodoxe Kirche hat einen besonderen Sinn und ein tiefes Gespür für das Geheimnis des Glaubens.    

Der Heilige Apostel Paulus sagt von der Kirche, dass sie „der Leib Christi” ist (Kolosser 1,4), die Gläubigen wiederum sind die Glieder jenes Leibes; jedes einzelne hat seine Rolle zu spielen zum Wohle des gesamten Organismus, dessen Haupt Christus selbst ist. Die Kirche ist also ein immens großer Organismus, der die Getauften einschließt, potenziell aber auch die gesamte Menschheit und das gesamte Universum, das in der menschlichen Natur Christi als „Einem aus der Dreiheit” rekapituliert wurde. Durch die Kirche treten wir in das Geheimnis der Trinität ein, in die Gemeinschaft der Personen: des Vaters, des Sohne und des Heiligen Geistes.

Die Kirche spiegelt auf Erden das trinitarische Mysterium wieder in seiner Einheit und Vielfalt: die Enheit dem Wesen nach und die Vielfalt der Personen. Erschaffen nach dem Bild und Abbild Gottes, ist die Menschheit doch eine in der Vielzahl der Personen. Wie auch in Gott selbst rekapituliert jeder Mensch als Person in sich die ganze menschliche Natur. Die Kirchenväter sprechen vom „totalen Adam” oder vom „universalen Menschen”, der von niemand und nichts getrennt ist, weil er alles in sich trägt. Der  Hl. Maximus Confessor spricht sogar vom Menschen als „Makrokosmos” (vgl. Ambigua 71), weil er in sich das ganze Universum und die gesamte Schöpfung rekapituliert.

Durch die Sünde freilich hat die Menschheit ihre Einheit dem Wesen nach verloren; sie zersplitterte sich in eine Vielzahl egoistischer Individuen, die in gegenseitiger Antagonie nebeneinander statt miteinander leben. Der Mensch ist also aus dem Stand der Person auf den Stand eines Individuums auf der niedrigsten Stufe der Existenz gefallen (so Vladimir Lossky).[1]  Die Sünde, die das Werk des Teufels im Menschen ist, bewirkt nichts anderes als die Einheit der Menschen untereinander immer mehr zu spalten und zu zerstören. Das griechische Wort für Teufel „Diabolos” – wörtlich: der „Durcheinanderwirbler” oder „Spalter” – bezeichnet den, der die Einheit zwischen Menschen zerstört, der Feindschaft unter Menschen sät und Menschen spaltet. Die Einheit und Gemeinschaft der Menschen untereinander wurden im Leib Christi erneuert; die Kirche wiederum – die die Verlängerung des Leibes Christi in der Geschichte ist – erneuert unablässig dieses Geheimnis der Einheit und der Gemeinschaft zwischen den Personen, aber nur unter der Bedingung ihrer Mitwirkung durch Glauben und die Erfüllung der Gebote Gottes.      

  1. Das Bischofsamt

Die Kirche konkretisiert sich in der Versammlung der Gläubigen, die mit dem Bischof an der Spitze die Eucharistie als Sakrament des Leibes und Blutes Christi feiert. Die bischöfliche Struktur der Kirche ist indes schon in apostolischer Zeit bezeugt, gab es doch die eucharistische Versammlung niemals ohne das Amt und den Dienst des Vorsitzes bzw. eines Vorstehers. So entstand das „monarchische Bischofsamt”: in einer Stadt leitet ein einziger Bischof eine einzige eucharistische Gemeinschaft. Der Bischof, das Kollegium der Priester und der Diakone sowie die Versammlung der Laien bildeten und formten gemeinsam die Ortskirche. So ist auch als konkrete Applikation des Prinzips der „Territorialität” etwa von der „Kirche von Korinth” als der Kirche Gottes aus Korinth die Rede, wie auch von der „Kirche von Jerusalem” oder der „Kirche von Rom” gesprochen wird.

In der nachapostolischen Epoche hat die Ortskirche nur einen einzigen Bischof, der um sich die Priester (Presbyter) versammelt, deren Amt und Dienst nun von dem des Bischofs verschieden ist. Der Heilige Ignatius von Antiochien († 117) bezeugt in seinen Briefen, dass der Bischof jeder Stadt von einem „Presbyterium” (als Kollegium der Priester) und dem Kollegium der Diakone umgeben ist. Die Bindung zwischen dem Bischof und jedem Priester war in der frühen Zeit der Alten Kirche sehr rigoros. Als dann Pfarreien auf dem Land und Klöster aufkamen, die von Priestern betreut wurden, wurde die Eucharistie „im Namen des Bischofs” zelebriert. Der jeweilige Ortsbischof sandte jedem Priester ein im Rahmen einer eucharistischen Versammlung unter seiner Leitung geweihtes Brotpartikel (fermentum), damit der Priester dieses unter die von ihm in seiner Pfarrei (bzw. dem Kloster) bereitete Eucharistie mische. Auf diese Weise wurde die Einheit der Eucharistie in der vom Bischof geleiteten Ortskirche unterstrichen. Die Eucharistie blieb eine, auch wenn sie an mehreren Orten zelebriert wurde.

Später sandte der Bischof, ebenfalls zum Zweck der Sicherstellung der Einheit, jedem Priester ein „Antimension”, ein von ihm selbst unterschriebenes Altartuch mit einer darin eingenähten Reliquie. Dies ist bis auf den heutigen Tag in der Orthodoxen Kirche übliche Praxis: die Pfarrgemeinde feiert und vollzieht die Echaristie wie alle anderen Heiligen Sakramente im Namen des Bischofs. Das gesamte sakramentale Leben der Kirche, also das ganze Leben des Leibes Christi, wie es von den Klerikern und den Gläubigen gelebt wird, steht somit in einer Einheit, die das bischöfliche Amt (bzw. der bischöfliche Dienst) fortwährend ausdrückt und manifestiert.       

So gibt es aus diesem Grund keine Eucharistie außerhalb der Gemeinschaft mit dem Bischof und der Gemeinschaft, der er vorsteht. Der Hl. Ignatius sagt, dass dort, wo ein Bischof ist, die Kirche ist; er fordert, dass nichts Wichtiges in der Kirche ohne Zustimmung des Bischofs geschehen solle. Hier ist nicht die Rede von einer juridischen Autorität, sondern von einem sakramentalen Problem: der Bischof ist der Vater der Gemeinde; er steht jedem liturgischen Dienst und jedem ekklesialen Akt in seiner Eigenschaft als lebendige Ikone Christi vor.

  1. Die bischöfliche Synodalität

Die Entwicklungen im Rahmen der Geschichte stellen keinen Widerspruch zur Einheit und Einzigartigkeit der Kirche dar. Ausgehend von der politischen Struktur des Römischen Reiches bildete sich die historische Pentarchie heraus, also die fünf Patriarchate: Rom, Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem. Die Existenz mehrerer Diözesen annuliert nicht die Einheit der Kirche, repräsentiert doch jede Diözese für sich die Katholische Kirche auf regionaler Ebene. Andererseits bedeutet die Tatsache, dass mehrere Eparchien eines Territoriums einer Metropolie oder einem Patriarchat eingegliedert und zugeordnet sind, deren Vorsteher nur „primus inter pares” sind, nicht, dass diese sich einfach addieren, um so die eine oder einzige Kirche zu bilden. Die Kirche existiert in ihrer Fülle in jeder Diözese unter der Bedingung, dass der Bischof in Gemeinschaft mit den anderen Bischöfen steht. Wenn ein Bischof die Gemeinschaft mit seinen Brüdern im Episkopat verlässt, stellt er sich außerhalb der Kirche.          

Die sakramentale Gemeinschaft der Bischöfe und die Koordination ihrer Aktivitäten durch eine Form von „Primat” bringt die spezifisch göttliche Natur von Einheit und Vielfalt zum Ausdruck.  

Das Geheimnis der Einheit der Einen Kirche in der Vielfachheit ihrer Orte (als Ortskirchen) findet ihren Ausdruck im Apostolischen Kanon 34 (4. Jh.). Dieser Kanon fordert, dass „die Bischöfe aller Völker sich einen Primas wählen, ohne den sie nichts tun sollen außer was ihre eigenen Pfarreien betrifft, wie auch der Primas nichts tun soll ohne die Zustimmung der anderen”. Nur so wird es Einmütigkeit geben und „Gott wird verherrlicht durch den Sohn im Heiligen Geist”. Die Kollegialität (Synodalität) des Episkopats kennt weder Unterordnung, noch Addition, noch Konfusion. Der Apostolische Kanon 34 hat die Schaffung ekklesialer Strukturen auf allen Ebenen inspiriert: der lokalen Ebene (der  Ortskirche), der regionalen Ebene und der universalen Ebene. So haben sich die verschiedenen Bistümer und Erzbistümer als Suffraganbistümer Metropolien zugeordnet und die Metropolien Patriarchien, wobei die Kollegialität auf allen Ebenen ihren Ausdruck in den jeweiligen Synoden findet.

Nach dem Schisma von 1054, konkreter nach der Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzritter 1204, haben sich die beiden Flügel des Christentums – der östliche und der westliche – unabhängig voneinander in verschiedene Richtungen entwickelt. Der Westen hat die ältere Tradition des römischen Zentralismus akzentuiert: Alle Diözesen und Erzdiözesen waren durch ihre Bischöfe direkt dem Papst unterstellt, während der Osten die Tradition der Synodalität und der „Dezentralisierung” durch das Auftreten neuer Patriarchate und autokephaler Ortskirchen fortsetzte. Heute haben wir 14 autokephale Orthodoxe Kirchen, von denen neun als Patriarchate organisiert sind. Alle autokephalen Orthodoxen Kirchen werden nach dem Prinzip der Synodalität geleitet. Mit Ausnahme der Rumänischen Orthodoxen Kirche, die nach der alten Struktur der Kirche mit Metropolitansynoden neben der Heiligen Synode auf Ebene des Patriarchats organisiert ist, haben alle übrigen autokephalen Orthodoxen Kirchen keine Metropolitansynoden, sondern eine einzige Bischofssynode auf der Ebene der autokephalen Kirche. Nach altem Brauch treffen sich die Bischofssynoden mindestens zwei Mal im Jahr. Auch wenn die Synodalität in allen autokephalen orthodoxen Ortskirchen funktioniert, so ist doch auf der Ebene der Orthodoxen Kirche insgesamt die Synodalität sehr schwer in die Praxis umzusetzen.   

Dies auch dank der schwierigen historischen Bedingungen, die die Orthodoxie nach dem Niedergang des Byzantinischen Reiches erlebte, besonders nach dem Fall von Byzanz unter osmanische Herrschaft (1453). Mit Ausnahme des Russischen Reiches haben alle anderen traditionell orthodoxen Länder wie auch die alten Patriarchate ihre Unabhängigkeit verloren und wurden in das Osmanische Reich eingegliedert. Auch wenn der Patriarch von Konstantinopel von Eroberer Mehmed II. den politischen Rechtsstatus eines „Ethnarchen” bzw. des Sprechers aller orthodoxen Christen des Osmanischen Reiches verliehen bekam, so waren seine Aktivitäten doch sehr beschränkt.

In der Ungeteilten Kirche des ersten Jahrtausends kam die Synodalität auf universaler Ebene in den sieben ökumenischen Konzilien zum Ausdruck, die die Themen des Glaubens und der christlichen Moral verhandelt haben. Von daher glauben viele Orthodoxe, dass ein Panorthodoxes Konzil nur im Falle einer Bedrohung der Kirche durch Häresien gerechtfertigt ist, also bei Abweichungen vom rechten Glauben. Und doch stellte sich die Herausforderung zur Einberufung einer Panorthodoxen Synode in den 1960er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Diese wurde dann mühevoll vorbereitet durch mehrere vorkonziliare panorthodoxe Konferenzen bis zu ihrer Verwirklichung 2016. Neben diesen panorthodoxen Konferenzen sind hier auch noch die Treffen der Oberhäupter der autokephalen Orthodoxen Kirchen zu erwähnen, die von Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel nach dem Fall des Eisernen Vorhangs als Ausdruck der Konziliarität auf panorthodoxer Ebene zusammengerufen wurden. Patriarch Daniel von der Rumänischen Orthodoxen Kirche hat vorgeschlagen, dass diese Treffen institutionalisiert werden sollen und regelmäßig einberufen werden sollen. Wenn dieser Vorschlag akzeptiert worden wäre, dann wäre es nicht zum heutigen Schisma in der Ukraine gekommen durch die einseitige Proklamation der Autokephalie durch das Ökumenische Patriarchat ohne Konsultation der anderen Kirchen.           

  1. Die Synodalität: Die Rumänische Orthodoxe Kirche als konkreter Fall

Es gibt keinen Bischof, der nicht zu einer Synode von Bischöfen gehört. Im konkreten Falle der Rumänischen Orthodoxen Kirche ist jeder Bischof Mitglied der Metropolitansynode der Metropolie, zu der seine Eparchie gehört, unter dem Vorsitz des jeweiligen Metropoliten, sowie gleichzeitig Mitglied der Heiligen Synode, also der Synode aller Bischöfe der Kirche unter dem Vorsitz des Patriarchen. In der Synode vertritt und repräsentiert der Bischof die Eparchie, die er leitet. Jede Eparchie hat folgende Leitungsgremien: den Ständigen Ausschuss des Bistumsrates (rum. Permanența Consilului eparhial), der aus 5 bis 7 Mitgliedern und engsten Mitarbeitern des Bischofs besteht und vom Bischof mit Zustimmung des Bistumsrates ernannt wird; dem Bistumsrat, der aus 3 Klerikern und 6 Laien besteht und von der Bistumsversammlung gewählt wird; sowie die Bistumsversammlung als dem Beschlussorgan der Eparchie, die aus 30 Mitgliedern besteht: 10 Klerikern und 20 Laien, die für die Dauer von vier Jahren von den Wahlgremien aus der Eparchie gewählt werden. Auf der nationalen Ebene gibt es einen Ständigen Ausschuss des Nationalen Kirchenrats, einen Nationalen Kirchenrat sowie eine Nationale Kirchenversammlung. Auf der Ebene der Ortskirche ist der jeweilige Bischof Vorsitzender der jeweiligen Gremien, auf nationaler Ebene ist der Patriarch der Vorsitzende der entsprechenden Gremien.    

Die Wahl des Bischofs erfolgt ausschließlich aus Mönchen oder verwitweten Priestern mit höheren Studien und tadellosem Leben nach einem Verfahren, in dem die Gesamtheit der Kirche aus der vakanten Eparchie beteiligt ist. Die Metropolitansynode schlägt der Bistumsversammlung der verwaisten Eparchie zwei Kandidaten vor. Dazu kann die Bistumsversammlung der Metropolitansynode noch einen dritten Kandidaten vorschlagen. Diese Kandidaturen werden der Heiligen Synode vorgelegt, die noch einen Kandidaten vorschlagen kann. Die Wahl des neuen Bischofs erfolgt dann durch die Heilige Synode in geheimer Wahl. Der Bischof wird vom örtlichen Metropoliten gemeinsam mit mindestens zwei Bischöfen geweiht (Bischofsweihe) und vom Metropoliten ins Amt eingeführt (Installation). Der Metropolit erläßt eine Metropolitanurkunde (Gramată mitropolitană), mittels derer er dem Volk Gottes aus der entsprechenden Eparchie bekanntmacht, dass sie einen neuen Hirten bekommen haben.

Die Priester und Diakone werden vom Bistumsrat bestimmt aus dem Kreis der verheirateten Männer, welche die von den Heiligen Kanones vorgeschriebenen Bedingungen erfüllen. Der Priester oder Diakon muss der Ehemann einer einzigen Frau sein, persönlich und in der Familie ein tadelloses Privat- und Familienleben führen und die entsprechenden theologischen Studien haben.

Alle Weihen zum Diakon, zum Priester und zum Bischof werden im Rahmen der eucharistischen Liturgie vollzogen. Das Volk Gottes drückt seine Zustimmung durch die Akklamation aus: Axios! Vrednic este! Er ist würdig! Die Weihe zum Diakon und zum Priester vollzieht der Bischof, der allein die apostolische Sukzession hat. 

Aus dem bisher Gesagten wird offensichtlich, dass die Struktur der Orthodoxen Kirche auf allen Ebeben synodal bzw. kollegial ist. Beratung ist ein grundlegendes Prinzip im geistlichen Leben. Alles, was in der Kirche getan wird, hat in Beratung zu erfolgen, damit in allem gutes Einverständnis und Harmonie herrschen möge. Denn nur wo Harmonie herrscht, ist der Heilige Geist gegenwärtig. Die Geistlichen Väter sagen, dass die Erlösung eines jeden in viel geistlichem Ratschlag besteht: Keiner soll allein auf sich selbst vertrauen, sondern immer den Rat der Nächsten einholen, um keine Fehler zu machen. Dies ist das Zeichen von Demut und Gehorsam. „Ich kann nichts von mir aus tun”, sagt auch der Herr (Johannes 5,30). 

Die Kollegialität unter den Bischöfen kommt durch die Teilnahme des Bischofs an den Sitzungen der Metroplitansynode und der Heiligen Synode. Zu den Debatten im Rahmen der Synoden können auch Priester oder sogar Laien mit dem Titel als „Berater” eingeladen werden. Diese haben aber kein Stimmrecht. Die Beschlüsse der Synoden und der genannten kirchlichen Organe werden mit Votum der Mehrheit gefasst und sind für alle verbindlich. Auf den Synoden und in den erwähnten Verwaltungsgremien wird niemals der Glaube der Kirche verhandelt, also die Dogmen und Kanones, nach denen das kirchliche Leben gestaltet wird und sich zu orientieren hat. Fragen des Abfalls vom Glauben und der Moral der Kirche werden zur kirchenrechtlichen Beurteilung an die zuständigen Organe weitergeleitet: das Bistumskonsistorium, das Metropolitankonsistorium und das Oberkonsistorium. Angehörige des Mönchsstandes werden vom Konsistorium für Angelegenheiten des Mönchtums geurteilt, und die Bischöfe kommen vor das Bischofskonsistorium. Durch Häresie und schwere Sünde fällt der Gläubige aus dem bei der Taufe empfangenen Stand der Gnade heraus und schließt sich selbst aus der Kirche aus. Seine Wiederaufnahme in die Gemeinschaft der Kirche geschieht durch das Sakrament der Buße oder der Beichte als Bekennen der Sünde (eines der 7 Sakramente der Kirche); dies setzt aber die Erfüllung eines Bußkanons aus Gebet und Askese voraus.

Die Orthodoxe Kirche ist eine Kirche der Tradition. Sie ist der Glaubenslehre treu geblieben, wie sie von den Aposteln des Herrn empfangen und von den Ökumenischen Konzilien und den Heiligen Vätern der Kirche des Ersten Jahrtausends organisch weiterentwickelt wurde. Die Tradition lässt uns verwurzelt sein in der Vergangenheit und gibt uns das Gefühl der Stabilität und der Kontinuität. Ohne Tradition würden uns unsere Wurzeln fehlen und wir wären verletzlich. Trotzdem bedeutet die Tradition nicht Versteinerung in alten Formen und Bräuchen. Ganz im Gegenteil: Die Tradition ist das Leben der Kirche selbst im Heiligen Geist, das sich in Formen und Bräuchen in Konformität mit ihrer Glaubenslehre ausdrückt. Abweichungen vom Glauben der Kirche und Irrlehren verfälschen ihr Leben und bringen die Erlösung der Gläubigen in Gefahr. Der größte Kampf in der ganzen Geschichte der Kirche war der Kampf gegen die Häresien. Daher ist es die erste und wichtigste Aufgabe des Bischofs, über die Weitergabe des rechten Glaubens und der wahren Lehre zu wachen. Der Bischof ist der Garant der Einheit im Glauben in seiner Eparchie.          

Es besteht eine enge Einheit zwischen dem Glauben der Kirche und ihrem Gebet, allem voran der Eucharistie. „Unser Glaube geht konform mit der Eucharistie, und die Eucharistie bekräftigt den Glauben”, sagt der Heilige Irenäus von Lyon (Adv. Haer. IV, 18,5). Die Dogmen, die den Glauben der Kirche ausdrücken, sind existenzielle und erlösende Wahrheiten und keine abstrakten Wahrheiten ohne lebendige Beziehung zum Gebet und zum Leben der Kirche. Sie haben den Kultus der Kirche inspiriert und finden sich in ihren Gottesdiensten in der Form von Hymnen und Gebeten wieder als doxologische Wahrheiten, durch die wir uns mit Gott vereinen. Die Theologie ist keine abstrakte Wissenschaft, sondern eine Funktion der Kirche; sie erbaut die Kirche, aus deren Gebet sie sich auf konstante Weise inspiriert. Eine rein akademische Theologie außerhalb der Kirche oder ohne die Kirche ist undenkbar. Die asketischen Väter sagen sogar, dass der ein Theologe ist, der wahrhaft betet”  (Evagrius Pontikus). Denn wir können nicht über Gott sprechen, wenn wir nicht mit Ihm im Gebet verbunden und vereint sind. Dieselben Väter sagen: allein das Kreuz macht zum Theologen, also nur wer das Geheimnis des Kreuzes in seinem eigenen Leben lebt, kann sich Theologe nennen. Die scholastische Theologie als abstrakte Theologie erbaut die Kirche nicht und hilft nicht zur Erlösung auch nur eines Menschen. 

  1. Die Orthodoxie in der Diaspora

Die orthodoxen Ortskirchen, die sich im Sinne des schon erwähnten Apostolischen Kanons 34 mit einem bestimmten Volk identifizieren, haben auch Diaspora-Gemeinden, also Gläubige, die außerhalb ihres Herkunftslandes leben. Dies ist schon seit über 200 Jahren Realität. So sind die ersten orthodoxen Eparchien in Alaska und Amerika entstanden, dann in Westeuropa und in Australien. Die ersten orthodoxen Emigranten waren Russen, dann Griechen, Antiochener, Serben, Rumänen, Bulgarien und Georgier. All diese Orthodoxen sind in Eparchien in kanonischer Gemeinschaft mit den Kirchen ihrer Herkunftsländer konstituiert. Ihr Organisationsprinzip ist nicht das Territorialprinzip gemäß der Tradition der Kirche, sondern das nationale Prinzip. So kommt es dazu, dass überall in der Diaspora orthodoxe Jurisdiktionen sich überlagern, dass also auf dem selben Territorium orthdoxe Bischöfe aus verschiedenen Völkern als Hirten amtieren. Gemäß Beschlüssen auf panorthodoxer Ebene aus jüngster Zeit konstituieren sich die Bischöfe aus der Diaspora nun nach Ländern oder geographischen Regionen in Bischofskonferenzen, die auch wenn sie nicht den Status einer Synode haben, doch die orthodoxe Einheit manifestieren und die Zusammenarbeit der Bischöfe in allen Problemen von gemeinsamem Interesse für die Orthodoxie in der entsprechenden Region pflegen. Das Ideal wäre, dass alle Orthodoxen aus einem Land oder einer Region sich nach dem Prinzip der Territorialität in einer eigenständigen, autonomen oder sogar autokephalen orthodoxen Ortskirche konstituieren. Einen Vorläufer als Beispiel haben wir in der Orthodoxen Kirche von Amerika (OCA) vor uns, die von der Russischen Orthodoxen Kirche 1970 die Autokephalie verliehen bekommen hat. Diese Kirche hat gegenwärtig über 600 Pfarreien, einige Klöster und eine Theologische Fakultät. Leider anerkennen die anderen Orthodoxen Kirchen, allen voran das Ökumenische Patriarchat, diese Autokephalie nicht und erhalten ihre eigenen Jurisdiktionen in Amerika aufrecht.

Natürlich müssen die Orthodoxen eines Landes zu einer gewissen Reife gelangt sein, um sich als in einer vereinigten Ortskirche zu konstituieren: sie brauchen eine gute Verwurzelung in dem Land, wo sie leben, sie müssen die Landessprache im Gottesdienst verwenden, sie brauchen theologische Ausbildungsstätten, Klöster, etc. Gegenwärtig erfüllen nur die Orthodoxen aus den USA oder aus Frankreich diese Bedingungen. Hier müssen wir auch an die zahlreiche ökonomische Emigration nach dem Fall des Eisernen Vorhangs denken. Allein aus Rumänien sind in den letzten 30 Jahren sieben Millionen Rumänen ausgewandert, die sich vor allem in Westeuropa und den USA niedergelassen haben. Dies ist also als eine neue Emigration zu verstehen, die zu den früheren Emigrationsbewegungen hinzukommen, die schon in der vierten oder fünften Generation angelangt sind. Während die Gläubigen aus dieser neueren Emigrationswelle ihrer Mutterkirche noch sehr verbunden sind, so lässt sich dies von den Gläubigen der vorherigen Generation von Emigranten nicht mehr sagen. Sie halten sich nicht mehr für Rumänen, sondern nur noch für Orthodoxe und können von sich nicht mehr behaupten, in einer rumänischen Diaspora zu leben. Sie wollen eine autonome oder autokephale Orthodoxe Kirche. 

  1. Bischof der ganzen Kirche

Paul Evdokimov († 1970), ein großer Theologe der russischen Diaspora und Professor am Institut „St. Serge” in Paris sagte, dass ein Bischof auf horizontaler Ebene der Bischof der Eparchie ist, für die er geweiht wurde und deren geographische Grenzen er nicht überschreiten kann, auf vertikaler Ebene allerdings ist er Bischof der gesamten Kirche. Wenn im Blick auf die ontologische Einheit aller Menschen „alle für alle verantwortlich sind” (so Dostojewski), umso mehr ist der Bischof verantwortlich für die ganze Kirche und für die ganze in Christus erneuerte Menschheit. Keinem Gläubigen, keinem Priester und umso weniger einem Bischof können der Zustand der Kirche Christi und die Probleme ihrer Spaltungen gleichgültig sein.      

Heute durchlaufen die christlichen Kirche, vor allem jene aus den Industriegesellschaften eine in ihrer Geschichte beispiellose Krise, die sogar die Grundlagen ihres 2000jährigen Glaubens erschüttert. Aufgrund der extremen Säkularisation wird die Kirche nicht mehr als  „moralische Instanz” der Gesellschaft gesehen. Ganz im Gegenteil kämpft der dekadente Zeitgeist der Gesellschaft darum, dass die Kirche ihre traditionelle Lehre ändert und alle Deviationen von der evangelischen und natürlichen Moral, was unweigerlich zur Versklavung und zum spirituellen Tod führt, billigt.

Freiheit bedeutet aber nicht, dich von deinen Instinkten leiten zu lassen und alles zu tun, was du willst. Frei ist nur der, der darum kämpft, seine Instinkte zu disziplinieren, das Böse zu überwinden und nur Gutes zu tun. Die Kirche wiederum hat den Gläubigen darin zu unterstützen, über sich selbst hinauszuwachsen, wie es sein von Gott erschaffenes Wesen verlangt, um dadurch sich selbst zu überwinden durch einen unaufhörlichen Elan. Wenn er seinen primären Instinkten folgt, dann verwandelt der Mensch sich selbst zum Negativen, er verliert sein seelisches Gleichgewicht und leidet schrecklich.         

Über Seine Jünger, die Christen, sagt Christus: „Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten.” (Matthäus 5,13) Wenn die Kirche den Geist der gefallenen Welt akzeptiert, dann macht sie sich selbst eins mit der Welt und die Menschen werden sie mit Füßen treten! Davor möge uns der Herr bewahren!

Wir glauben allerdings aus tiefster Überzeugung, dass die Kirche Christi auch von den Pforten der Hölle (vgl. Matthäus 16,18) nicht überwältigt werden wird, auch wenn sie nur eine kleine Minderheit bleiben sollte. Unser Herr Jesus Christus sagt selbst: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn es hat eurem Vater wohlgefallen, euch das Reich zu geben.” (Lukas 12, 32). 

† Metropolit Serafim

Graz, 23. 05. 2022

 

 

[1] Die mystische Theologie der morgenländischen Kirche, Graz, 1961.