Das Sakrament der Ehe – Ehescheidung – Teilnahme am Abendmahl (Überlingen, 16.06.2012)

Vortrag gehalten am 15. Katholischen Kirchentag,  Überlingen am Bodensee – 15-17 Juni 2012)

Gott ist die Liebe sagt der heilige Evangelist Johannes (1. Johannes 4,8), weil Er eine Gemeinschaft von Personen ist. Die Liebe kann sich nur in der Gemeinschaft von Personen äußern und entfalten. Nach der Interpretation der Kirchenväter zur Stelle der Erschaffung des Menschen (vgl. Gen. 1,26-27) erschuf Gott den Menschen nach Seinem „Abbild“ damit er zur „Ähnlichkeit“ mit Gott gelangt. Das Abbild Gottes im Menschen besteht gerade in seiner Fähigkeit, die Liebe zwischen den göttlichen Personen auf der Ebene des Geschaffenen zu empfangen und zu entfalten. Wenn der Mensch schöpfungsgemäß und entsprechend seiner Natur in Kommunion mit Gott und seinen Nächsten lebt, dann gelangt er zur Vollkommenheit oder „Ähnlichkeit mit Gott“. Die Familie ist der Ort par excellence, in der die Liebe Gottes gelebt wird. So ist die Familie eine Ikone der Heiligen Trinität. Der biblische Hinweis: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; lasset uns eine Hilfe machen, die zu ihm passt“ (Gen 2,18) unterstreicht die grundlegende Wirklichkeit des Menschen, der sich nicht allein verwirklichen kann, sondern nur in Verbindung mit seinen Nächsten. So verwirklicht sich in der Familie der Mann durch die Frau und die Frau durch den Mann. Und die Kinder vollenden die Verbindung der zwei Eltern. Auch in der Gesellschaft kann sich niemand alleine verwirklichen, sondern nur in Gemeinschaft mit anderen und mit deren Hilfe. Das Fehlen von Gemeinschaft desfiguriert den gerade für die Gemeinschaft erschaffenen Menschen. Von hier stammen alle Leiden des Menschen.    

Das erste von Gott den Menschen gegebene Gebot war jenes, fruchtbar zu sein, sich zu mehren, die Erde zu füllen und sie zu beherrschen (vgl. Gen. 1,28). Die Fruchtbarkeit und das Sich-Mehren sind das Ergebnis der Liebe, die Mann und Frau vereint und aus beiden ein Fleisch macht (vgl. Gen 2,24). So verschließt die Liebe jene beiden nicht in sich selbst und reduziert diese Verbindung auf den Egoismus der körperlichen Liebe, sondern macht sie zu Mitwirkenden am schöpferischen Handeln Gottes durch die Geburt von Kindern. Aus den beiden biblischen Texten: „lasst uns eine Gehilfin machen“ und „wachset und mehret euch“ erkennen wir, dass der erste Sinn der Familie die gegenseitige Hilfe und die Geburt von Kindern zum Fortleben des Menschengeschlechts ist. Im ganzen Alten Testament wird die Familie als eine heilige Institution angesehen, die von göttlichen Geboten geschützt wird, die von Gott durch Mose gegeben wurden. Die Monogamie und die Unzerstörbarkeit der Familie wurden mit der Zeit zu Normen des sozialen Zusammenlebens. Im Alten Testament werden Ehebruch, Homosexualität und Abtreibung sowie andere Sünden, die die Familie schwächen oder zerstören, auf das Schärfste verfolgt und ohne Gnade bestraft.

    Das Sakrament der Ehe

Die biblischen Lesungen im orthodoxen Ritus des Sakraments der Trauung stammen aus der Epistel an die Epheser des Apostels Paulus Kapitel 5, 20-33 und aus dem Evangelium nach Johannes 2,1-11. Im Geist der Propheten des Alten Testaments über die eheliche Verbindung zwischen Gott und dem Volk Israel (vgl. Hosea 1-3 u. a.) begründet der Apostel Paulus die Verbindung zwischen Mann und Frau mit der Verbindung zwischen Christus und der Kirche. So wie Christus die Kirche geliebt hat und Sein Leben für sie dahingegeben hat, so müssen auch die Männer ihre Frauen lieben wie ihren eigenen Leib. Denn nach dem biblischen Zeugnis über die Erschaffung der Frau erscheint diese wie als eigenen Leib des Mannes, wie ein „alter ego“. Die Ehe zählt also zum Innersten des christlichen Glaubens und soll die eheliche Verbindung zwischen Christus und der Kirche reflektieren. Dieselbe Idee finden wir auch in der Perikope der Hochzeit von Kana Galiläa, wo der Herr Sein erstes Wunder tut. Die Verwandlung von Wasser in Wein zeigt den Übergang vom Alten zum Neuen Testament an, die Verwandlung der Hochzeit in ein Mysterium, das diese beiden Menschen in eine Wirklichkeit jenseits ihrer Natur erhebt und ihnen Anteil gibt an der Gnade des Lebens nach dem Geist statt nach dem Leib (vgl. Röm. 8,4). „Dieses Geheimnis ist groß; und ich sage in Christus und in der Kirche“ (Eph. 5,32).

In unserer entchristlichten Gesellschaft von heute wird das Sakrament der Trauung oft auf die Feier ihres Rituals reduziert ohne sich dessen bewusst zu sein, dass die durch das Gebet der Kirche empfangene Gnade auf Seiten der Eheleute ein Zusammenwirken mit dieser Gnade für das ganze Leben fordert. Bei der Feier der Trauung betet der Priester darum, dass Gott den Eheleuten „ein friedliches, langes und besonnenes Leben, gegenseitige Liebe im Bunde des Friedens und die Gabe von Nachkommen“ schenke (Erstes Gebet). Auch betet die Kirche: „Segne sie, gib ihnen wohlgeratene Kinder, Eintracht der Seelen und Leiber…“ (Zweites Gebet) Und weiter: „ Verbinde sie in Eintracht und kröne sie in Liebe. Erweise ihre Ehe als ehrenhaft und bewahre ihr Bett unbefleckt. Segne sie, dass sie ihr Leben ohne Sünde führen. Und erweise sie als würdig, in Ehren alt zu werden mit reinem Herzen in Erfüllung Deiner Gebote“ (Drittes Gebet). Im selben Ritual der Krönung schwören die Brautleute mit der Hand auf dem Evangelium und dem Heiligen Kreuz, dass sie die Verbindung der Liebe und der Vereinigung miteinander bis zum Grab rein, ununterbrochen, recht und ehrlich bewahren werden und nicht von ihren Pflichten ablassen werden, indem sie das verfolgen, was Gott und den Menschen gefällt.

In der Predigt, die er den Brautleuten zu sagen hat, muss der Priester zeigen, dass der  herabgerufene Segen Gottes nur in dem Maße ihr Leben begleitet, in dem diese mit der empfangenen Gnade zusammenwirken und sich bemühen, die geleisteten Versprechen zu erfüllen. Gott bewahrt uns nur in dem Maße in Frieden und gegenseitigem Verstehen, in dem auch wir Frieden und Verständnis suchen und auf falsche Ansprüche verzichten. Die Trauung kann nicht in Ehren gehalten werden und das Bett kann nicht unbefleckt bleiben, wenn die Brautleute sich nicht bemühen, durch Gebet und Selbstbeherrschung nach dem Willen Gottes zu leben unter „Wahrung der Grenzen der Natur“, also indem man sich nicht alles im Intimleben erlaubt. Wir werden uns nicht am Geschenk der wohlgeratenen Kinder erfreuen können, wenn wir nicht wissen wie wir sie in die Welt bringen sollen und wie wir uns um ihre Erziehung kümmern. Diese beginnt schon, wenn sie im Mutterleib heranreifen und in den Jahren der Kindheit, wenn sich der Charakter des Menschen formt, aber auch noch später.

Ich glaube, dass der größte Fehler von uns heutigen Christen ist das wir erwarten, dass die bei der Taufe, in der Eucharistie, bei der Krönung und den anderen Gebeten der Kirche empfangene Gnade in unserem Leben von alleine wirkt und Früchte bringt ohne unsere Mitwirkung im Glauben, im Gebet, in der Askese und in der Erfüllung der Gebote des Herrn. Wir vergessen, dass wir nur in dem Maße wahre Christen sein können, in dem wir die Gnade der Taufe in uns wirken lassen gemäß den Versprechungen, die wir bei der Taufe gemacht haben. Bei der Taufe haben wir versprochen, dass wir „dem Satan entsagen und allen seinen Wirkweisen und all seinen Dienern und all seinem Dienen und all seinem Hochmut “ und dass wir uns „mit Christus vereinen“, der demütig und gehorsam bis zum Tode war (wie es in der Liturgie der Taufe heißt). In diesem Sinne können wir ebenso nur durch den Empfang des Sakraments der Ehe, keine christliche Familie bilden, sondern wir werden immer mehr zu einer vereinten Familie durch die Liebe, wenn wir nach dem Willen Gottes leben und Seine Gebote erfüllen. Die Gnade wirkt nicht ohne unser  Mitwirken (vgl. 1. Korinther 3,9), gerade weil Gott unsere Freiheit respektiert, die Er uns bei der Schöpfung gegeben hat. Die Gnade ist ein delikates Dasein die auf eine besondere und unsere Freiheit respektierende Weise in uns gegenwärtig und wirksam ist, jedoch zieht sich diese Gnade in die Tiefen unseres Seins zurück, wenn wir unachtsam und gleichgültig mit Ihr umgehen. Sie leidet, bis wir sie wieder durch unser Gebet hervorrufen, indem wir ihr unser Unvermögen und Unfähigkeit anbieten und uns bemühen, in Liebe, Demut und Geduld zu wachsen.

Zweifellos ist eines der größten Probleme, mit dem die christliche Welt heute konfrontiert ist, die extrem niedrige Geburtenrate, die das Überleben der Christen selbst in Gefahr bringt. Die Familienplanung mit dem Ziel niedrige Kinderzahlen oder sogar der totale Verzicht auf Kinder als sogenannte „freie Entscheidung der Frau (und des Mannes)“ verletzen die Natur des Menschen selbst; dies bleibt nicht ohne Folgen für die körperliche und seelische Gesundheit sowie für die Gesellschaft, die immer mehr überaltert und auszusterben droht. Auch wenn die Orthodoxe Kirche grundsätzlich die gleiche Lehre über die Familie wie die Katholische Kirche vertritt, so behandelt sie die Probleme im Zusammenhang mit dem ehelichen Leben doch nicht auf eine juridische Weise oder mittels Enzykliken, sondern in erster Linie als geistliche Fragen. Sie überlässt es dem Geistlichen, jeden Fall im Einzelnen zu betrachten und zu lösen. Für die Orthodoxen treffen der Geistliche Vater und die Familie mit Hilfe des Heiligen Geistes die wichtigen Entscheidungen im Blick auf das Zusammenleben des Paares gemeinsam. Dies unter der Bedingung, dass die Eheleute den Rat des Geistlichen einholen. Und trotzdem müssen wir mit Schmerz zugestehen, dass die Abtreibungsraten in den traditionell orthodoxen Ländern höher sind als in anderen Ländern und dass die Geburtenrate nicht höher ist. Die Zivilgesetzgebung schützt heute die Werte der traditionellen Familie nicht mehr. Gerade deshalb erleben wir heute den beispiellosen Niedergang der Familie, der so viel Leid in den Seelen der Eltern und Kinder, aber auch in der Gesellschaft als Ganzes generiert. Denn die Vervielfältigung der Sünden zieht die Vervielfältigung des Leidens nach sich.

    Die Scheidung

Die Scheidung ist das größte Drama, das eine Familie erleben kann. Sie führt zu zahllosen weiteren Leiden. Die Orthodoxe Kirche vertritt mit Nachdruck die Unauflöslichkeit der Ehe, beziehungsweise des Sakraments der Ehe. „Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden“, sagt der Herr (Matthäus 19,6). Der Erlöser sagt auch: „Wer sich von seiner Frau scheidet, es sei denn wegen Ehebruch, der macht, dass sie die Ehe bricht, und wer eine Geschiedene heiratet, der bricht die Ehe.“ (Matthäus 5,32). Trotzdem erlaubt die Orthodoxe Kirche aus Entgegenkommen (kat oikonomiam) gegenüber der strengen Regel (kat akribian) eine zweite Eheschließung, die aber nicht mehr als Sakrament, sondern als Segnung der beiden Wiederverheirateten verstanden wird, damit diese nicht in wilder Ehe leben. Gewiss gibt es auch Scheidungen, die nicht wegen ehelicher Untreue ausgesprochen werden. Die Kirche sieht diese Fälle ähnlich wie den Ehebruch, der auch das Band der Liebe zwischen den Eheleuten zerreißt. Den Wiederverheirateten wird so eine neue Chance geschenkt, durch Reue und Erneuerung der Liebe auch weiter in der Gemeinschaft der Gläubigen zu bleiben.

Der Gottesdienst der zweiten Eheschließung hat einen tiefen Bußcharakter: „… rufe sie zur Reue, vergib ihnen ihre Fehler, reinige sie von Schuld, hebe ihre Sünden auf“ „… denn weil sie die Last und die Sorgen des Alltages sowie die leibliche Entflammung nicht ertragen konnten, kommen sie nun, die zweite Trauung zu empfangen“ (so in der Liturgie der zweiten Trauung). Früher hatte die Kirche ein eigenes Gerichtsorgan zur Entscheidung über Scheidungsfälle. Heute anerkennt sie die von den zivilen Instanzen ausgesprochene Scheidung. Trotzdem kann der Priester auch heute keine zweite Eheschließung vollziehen ohne Genehmigung des Bischofs und Auferlegen eines Bußkanons für die Geschiedenen. Weil das Sakrament der Eheschließung unauflöslich ist, kann auch der Bischof die Ehe nicht „auflösen“. Er gibt denjenigen, die wieder heiraten auf der Grundlage ihrer Reue den Segen für „die zweite Trauung“, die jedoch nicht die Wiederholung des Sakraments der Trauung bedeutet. Diese Haltung der Orthodoxen Kirche, eine zweite Ehe zu schließen, nimmt Rücksicht auf die menschliche Schwäche und das menschliche Unvermögen und antwortet auf den Wunsch derer, die ein zweites Mal heiraten, weiter voll am Leben der Kirche teilzunehmen, vor allem durch den Empfang von Leib und Blut Christi in der Eucharistie.   

    Die Kommunion an der Heiligen Eucharistie

Die Teilnahme an der eucharistischen Liturgie und die Kommunion an den Heiligen Sakramenten Christi, also an „Seinem heiligen Leib und Seinem teuren Blut“, ist das Zeichen für deren volle Integration in das Leben der Kirche. Die Kirche identifiziert sich mit der Eucharistie und die Eucharistie mit der Kirche in dem Sinne, dass das eine wie das andere „der Leib Christi“ ist. Die Gemeinschaft der Gläubigen als sichtbare Kirche feiert die Eucharistie (die Heilige und Göttliche Liturgie), und die Eucharistie verwandelt die Gläubigen durch die Teilhabe am Leib und Blut Christi in die Kirche, als Leib Christi. Denn „die Kirche ist der Leib Christi“ (vgl. Epheser 1,22-23; 5,23). Die Gläubigen werden so zur Kirche Christi, zu lebendigen Gliedern Seines Leibes. „Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied“ (1. Korinther 12,27). Die Bedingung für die Teilnahme an der Eucharistie und zum Empfang von Leib und Blut des Herrn ist es, vollgültig Mitglied der Kirche zu sein, also im Stand der Gnade zu leben, die man bei der Taufe empfangen hat. Durch schwere Sünden oder Todsünden (vgl. 1. Joh. 5,17) wie etwa Mord (einschließlich Abtreibung), Hass, Ehebruch oder Zügellosigkeit, das Tun von Unrecht gegenüber den Nächsten oder ihre Unterdrückung wie auch durch andere Sünden und Laster fällt der Christ aus dem Stand der Gnade und wird versklavt von der Macht des Bösen. Das Wiedererlangen des Standes der Gnade geschieht durch Reue, die im tiefen Bedauern über die begangenen Sünden, ihrem Bekennen im Sakrament der Beichte und dem Entschluss, diese nicht mehr zu wiederholen besteht. Diese Reue wird begleitet von Fasten und Gebeten sowie der Erfüllung der Gebote Gottes. Wie auch das Bedauern über die Sünden ist die Reue eine Tugend, die uns unser ganzes Leben lang begleiten sollte.

In der Orthodoxen Kirche empfangen die Kinder die Heilige Eucharistie wie die Erwachsenen. Ihre Teilnahme an der eucharistischen Liturgie wie auch der Empfang der Kommunion durch alle Familienmitglieder bedeutet eine große Hilfe für das Reifen aller in Liebe und Harmonie. Leider empfangen in vielen unserer Gemeinden nur Kinder regelmäßig die Kommunion. Und dann kommt es häufig in der Jugendzeit vor, dass diese dem Beispiel ihrer Eltern folgend ihre Verbindung zur Kirche abbrechen oder nicht mehr die Kommunion empfangen. Deshalb müssen Eltern in allem für ihre Kinder ein Vorbild sein.

 † Metropolit Serafim von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa