Geist und Spiritualität der Orthodoxie (München, 2. Januar 2014)

 † S. E. Metropolit Serafim von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa, Vortrag gehalten in München, 2. Januar 2014, und später im Andreas Ebert (Hg.), Hesychia II – Wege des Herzensgebets, Claudius Verl., München, 2014, Ss. 75-92, veröffentlicht.

Vater Nikolai Afanasiev, einer der großen russischen Theologen der Diaspora und Professor am Institut „St. Serge“ in Paris (1940-1966) veröffentlichte das Resümee seiner Forschungen über das Gebiet der orthodoxen Ekklesiologie in einem Buch mit dem Titel: „L’Église du Saint-Esprit“„Die Kirche des Heiligen Geistes“ (engl. „The Church of the Holy Spirit“; letzte französische Ausgabe bei Les éditions du Cerf  2012). Ich glaube, dass kein anderer Titel das Wesen der orthodoxen Ekklesiologie besser zum Ausdruck bringen könnte! Die Kirche ist in der Tat eine Kirche des Heiligen Geistes, weil der Heilige Geist sie an Pfingsten begründet hat und der Heilige Geist sie unaufhörlich konstituiert oder aktualisiert, indem Er die eucharistischen Gaben heiligt und die Gläubigen in den „Leib Christi“ verwandelt. Das Gebet der Epiklese oder der Herabrufung des Heiligen Geistes zur Heiligung von eucharistischem Brot und Wein (aus der Liturgie des heiligen Johannes Chrysostomos) besagt: „Auch bringen wir Dir diesen geistigen und unblutigen Dienst dar, und rufen Dich an und bitten Dich und flehen Dich an: Sende Deinen Heiligen Geist auf uns und auf diese vorliegenden Gaben herab. Und mach dies Brot zum kostbaren Leibe Deines Christus. Und was in diesem Kelch ist, zum kostbaren Blute Deines Christus. Sie verwandelnd durch Deinen Heiligen Geist.“ Und ein Stichiron zu Pfingsten besagt: „Alles schenkt der Heilige Geist: Er lässt Propheten sprießen, Er weiht die Priester, die Analphabeten lehrt Er Weisheit, Fischer hat Er zu Theologen berufen; die ganze Ordnung der Kirche erfüllt Er.“ (Abendschlussgebet). Daher beginnt in der orthodoxen Tradition jeder Gottesdienst und jedes persönliche Gebet mit der Anrufung des Heiligen Geistes: „Himmlischer König, Tröster, Geist der Wahrheit, Allgegenwärtiger und alles Erfüllender, Urquell des Guten und Spender des Lebens, komm und nimm Wohnung in uns und reinige uns von aller Befleckung und rette, o Gütiger, unsere Seelen. Amen.“    

 Die Orthodoxie versteht sich selbst als „rechten Glauben“ und „wahre Anbetung“ (Verehrung Gottes). Sie ist außerdem der „Königsweg“ oder „Mittelweg“, also der Weg des Ausgleichs, der die Extreme vermeidet. Als Konsequenz daraus hat die Orthodoxie niemals die Christologie zulasten der Pneumatologie überbetont, wie es im Abendland der Fall war. Das theologische Gleichgewicht zwischen der Christologie und der Pneumatologie verdankt sich auch der Tatsache, dass die Orthodoxie das Nizäno-Konstantinopolitanische Credo unverfälscht bewahrt hat. Der Zusatz des „Filioque“ überbetonte die Christologie zulasten der Pneumatologie, was allmählich zum „Vergessen“ des Heiligen Geistes geführt hat.

Wenn die Orthodoxie die Kirche des Heiligen Geistes ist, dann ist die orthodoxe Spiritualität das Bemühen um Öffnung gegenüber dem Heiligen Geist, damit Er in uns kommt und uns Christus gleich macht. Die Orthodoxie bedeutet das Leben in Christus, das vom Heiligen Geist in uns bewirkt und erfüllt wird. Daher konnte der heilige Serafim von Sarov († 1833), einer der größten Asketen aller Zeiten, sagen, dass „der Sinn des christlichen Lebens das Erlangen des Heiligen Geistes ist“. „Heiligung“, „Gleichwerden mit Christus“ oder „Gleichwerdung mit Gott“, „Vollendung“, „Vergöttlichung“ oder „Verwandlung“ (durch Erfüllt-Werden mit dem Heiligen Geist) sind Begriffe, die der orthodoxen Spiritualität wertvoll und teuer sind. Sie beschreiben das Wirken des Heiligen Geistes im Herzen des Gläubigen, der dadurch immer sensibler wird für die anderen Menschen und die ganze Schöpfung. Die Sensibilität und das Mitleid des Herzens gegenüber allem, was existiert, ist ein Zeichen, dass das Herz seine ontologische Einheit mit der gesamten Schöpfung wiederentdeckt hat, die in ihm wiederhergestellt wird. Die Vereinigung mit Gott oder „Vergöttlichung“ bedeutet nach Vater Professor Dumitru Stăniloae die „maximale Humanisierung“ des Menschen. Der Mensch entmenschlicht sich und denaturiert durch die Sünde, die ihrem Wesen nach ein Leben wider die Natur ist, eine Verletzung der Natur. Und „der Tod ist der Sünde Sold“ (Röm. 6,23).

Die orthodoxe Spiritualität ist in erster Linie eine liturgische Spiritualität. Der Heilige Geist teilt sich uns mit durch die Sakramente der Kirche, die wir im Glauben empfangen. Durch die Taufe führt uns der Heilige Geist ein in die Gemeinschaft derer, die glauben und schreibt uns ein in den „Leib Christi“, Er macht uns zu Gliedern des mystischen Leibes, der die Kirche selbst ist, und die einen zu Gliedern der anderen. Und durch die Eucharistie nährt Er uns mit dem Leib und Blut Christi, damit wir reifen bis zum „vollen Maße des Mannes, zum Maß der Fülle Christi“ (Epheser 4,13). So schreitet der Gläubige schrittweise zum Gleichwerden mit Christus voran, er wird den „Gedanken“ und das „Wahrnehmen Christi“ gewinnen (vgl. 1. Korinther 2,16; Philipper 2,5). Im Sakrament der Beichte vergibt uns der Heilige Geist unsere mit Reue und im festen Entschluss, das Leben zu bessern, gebeichteten Sünden. Genauso wirkt der Heilige Geist auch in den anderen Sakramenten zur Vollendung des Leibes Christi, d.h. der Gläubigen, die sich Seinem Wirken im Glauben und durch eigene Anstrengung, Gutes zu verrichten, öffnen. Dieses ständige Zusammenwirken der Gnade mit dem Gläubigen nennen wir Synergie.

Die orthodoxe Spiritualität ist eine Spiritualität des Herzens, denn das Herz ist der Sitz aller psycho-physischen Kräfte (Energien) des menschlichen Wesens und der Ort, wo die Gnade des Heiligen Geistes als unerschaffene Energie wohnt, welche die menschlichen Energien potenziert. Der Verstand (gr. Nous) ist auch eine Energie des Herzens. Als „Wächter“ aller anderen inneren Kräfte muss der Verstand jene Kräfte in Verbindungmit dem Herzen halten, indem er selbst durch Gebet ins Herz „hinabsteigt“, damit er dort Ruhe findet. Anders kann der Verstand nicht zur Ruhe kommen und nicht von seiner Zerstreuung in den äußeren Dingen ablassen. Die Ruhe des Verstamdes ist im Herzen. Und durch die Ruhe des Verstandes im Herzen erlangt die gesamte Person das Gleichgewicht und die Harmonie des Lebens.

Die orthodoxe Spiritualität ist außerdem eine asketische Spiritualität, denn nur durch die Askese des Gebets, des Fastens und der Selbstzügelung, der Geduld im Leiden beim Kampf gegen die Sünden und die Leidenschaften öffnet sich das Herz allmählich für den Empfang der Gnade, die das Herz von einem Herz aus Stein in ein Herz aus Fleisch verwandelt (vgl. Hesekiel 11,19), also aus einem Herzen, das für die Gegenwart Gottes und der Nächsten nicht sensibel ist in ein Herz voller Sensibilität und Mitgefühl. Heiligkeit bedeutet gerade ein „mitfühlendes Herz“ zu haben, ein Herz, das am Leiden anderer wie auch am Seufzen der Schöpfung nach Befreiung aus der Knechtschaft der Zerstörung Anteil nimmt (vgl. Römer 8,20-21).

Auch wenn sie den geistlichen Kampf „bis aufs Blut“ (Hebräer 12,4) gegen die Sünde und zur Befreiung von den Leidenschaften wie auch Reue bis zum Tod fordert, ist die orthodoxe Spiritualität trotzdem eine Spiritualität der Freude und des Sieges durch die Auferstehung. Der heilige Serafim von Sarov begrüßte alle seine Gäste mit den Worten: „Meine Freude. Christus ist auferstanden!“ Christen die Askesepraktizieren wissen, dass es keine Auferstehung ohne Kreuz gibt, wie es auch kein mit Freude angenommenes Kreuz gibt, in dem sich nicht schon  ein Vorgeschmackauf die Auferstheung verbirgt. Sie sind fröhlich und voll der Freude, denn die härteste Askese verfolgt nicht das Abtöten des Leibes, sondern das Abtöten der Leidenschaften, die den Menschen degradieren und entmenschlichen. Nur durch Askese kann derMensch Herr über sich selbst werden und so das wahre Leben entdecken, das Leben in der Freiheit des Heiligen Geistes.

Die orthodoxe Spiritualität ist also eine Spiritualität der Freiheit des Heiligen Geistes. Der Mensch wird Gott ähnlich besonders durch die Freiheit. Deswegen wird gerade die Gabe der Freiheit vom Teufel am meisten belauert, um uns in Sklaven der Sünde zu verwandeln. Denn „wer die Sünde tut, ist Sklave der Sünde“ (Johannes 8,34). Die geistliche orthodoxe Tradition hilft dem Gläubigen, seine Gabe der Freiheit zu bewahren oder diese zurückzugewinnen, wenn er sie durch die Sünde verloren hat.

Die Schriften der asketischen Väter zum geistlichen Leben gehören zur sogenannten „Philokalia-Literatur“ (Philokalia bedeutet Liebe zum Schönheit). Wie jeder weiß, legt die Orthodoxie einen besonderen Akzent auf die Schönheit. Der liturgische Raum der Kirche spiegelt durch seine Ikonen, die Bemalung, die liturgischen Gewänder und anderen Schmuck die Schönheit Gottes und die Schönheit der Schöpfung. Die Schönheit ist das Äquivalent zum Guten. Sie zieht uns an und erhöht uns, sie befreit uns und erlöst uns. Fjodor Dostojewski hat in seinem Roman „Der Idiot“ geschrieben: „Die Schönheit wird die Welt erlösen“. „Mönch“ bedeutet in der griechischen Sprache „schöner alter Mann“. Daher ist die orthodoxe Spiritualität eine Philokalia-Spiritualität der Suche nach der inneren Schönheit.

Ein anderer Zug der orthodoxen Spiritualität ist der der geistlichen Vaterschaft. Die Tradition des geistlichen Vaters (Russisch: Staretz, Rumänisch: Duhovnic) ist von höchster Bedeutung. Jeder Glaübige hat und braucht einen Geistlichen als Seelsorger und Beichtvater, der ihn im Leben in jeder Hinsicht begleitet und anleitet, nicht nur in rein geistlichen Fragen. Der geistliche Vater ist ein im geistlichen Kampf erfahrener Mensch, der fähig ist, auch andere anzuleiten, die sich seinem geistlichen Rat anvertrauen. Zwischen dem geistlichen Vater und dem geistlichen Kind schafft der Heilige Geist eine Beziehung wie zwischen Vater und Sohn, voller Liebe und Respekt. So ist das christliche Leben eine lebendige Vermittlung des Glaubens vom Vater zum Sohn durch das Wirken des Heiligen Geistes.

Bevor wir beginnen, einige dieser Charakteristika der orthodoxen Spiritualität näher zu beschreiben, sei festgehalten, dass die geistlichen Wirklichkeiten sich jeder Definition und jeder Systematisierung entziehen. Sie sind unaussprechlich wie es der Heilige Geist, ihr Autor, selbst ist. Der Geist weht, wo Er will und wirkt, was Er will, ohne dass unser Verstand (Geist) in alle Seine Geheimnisse eindringen kann. Aber auch das, was über die geistlichen Wirklichkeiten gesagt werden kann, muss im Glauben angenommen werden, denn sie sind ohne Glauben auf keine Weise zu begreifen. Glaube bedeutet in dieser Hinsicht die Kreuzigung des Verstandes im Blick auf das natürliche Verstehen der Dinge, um das Geheimnis des Glaubens anzunehmen.

Eine liturgische Spiritualität

Eine patristische Maxime besagt, dass „niemand sich alleine erlösen kann, sondern nur gemeinsam mit den Nächsten in der Gemeinschaft der Kirche“. Wenn die Kirche der „Leib Christi“ ist und die Gläubigen seine Glieder, dann wird deutlich, dass wir nur gemeinsam zur Erlösung kommen, wenn jeder seine Berufung erfüllt gemäß der Gaben, die er empfangen hat (vgl. Epheser 4,1; 1. Kor. 12,8-12). Die Kirche hat genau diesen Sinn: die Gläubigen zu versammeln und ihnen am göttlichen Leben durch die Heiligen Sakramente Anteil zu geben, damit jeder seine Talente vermehren kann zum Nutzen der Gemeinschaft. Die Kirche konstituiert sich durch die Versammlung der Gläubigen zum Gebet. Und das Gebet par excellence ist die Eucharistie. Die Kirche feiert als Versammlung der Gläubigen die Eucharistie – den Leib und das Blut Christi –, und die Eucharistie verwandelt die Gläubigen in die Kirche, zum „Leib Christi“. So vollzieht (feiert) die Kirche die Eucharistie und die Eucharistie konstituiert die Kirche. Alle anderen Sakramente (Taufe, Myronsalbung, Beichte/Buße, Priesterweihe, Trauung und Krankensalbung) stehen in unmittelbarer Verbindung zur Eucharistie. Alle Heiligen Sakramente bringen uns in Verbindung mit Christus und geben uns Anteil an der Gnade des Heiligen Geistes zu unserem geistlichen Wachstum. (Für uns Orthodoxe ist die Gnade eine unerschaffene Energie, die aus Gott hervorgeht und uns mit Gott in der Heiligen Trinität der Personen vereint).

Die eucharistische Liturgie aktualisiert bei ihrem Vollzug durch das Gebet, die Gesten und Symbole das gesamte irdische Leben Christi, von der Geburt in Bethlehem bis zur Himmelfahrt und dem Herabkommen des Heiligen Geistes. Die Liturgie macht uns somit zu Zeitgenossen Christi oder macht vielmehr Christus zu unserem Zeitgenossen. Die Kommunion an Leib und Blut Christi verlangt eine besondere Vorbereitung durch das Erforschen des Gewissens (vgl. 1. Kor. 11,28). Wenn wir große Sünden („Todsünden“) begangen haben wie etwa Mord (einschließlich Abtreibung), Ehebruch, Hass und nachtragende Unversöhnlichkeit (fehlende Vergebungsbereitschaft), das Tun von Unrecht an den Nächsten durch Diebstahl oder Lüge, Blasphemie… Unser Gewissen sagt uns dann, dass wir nicht würdig sind zum Empfang der Heiligen Sakramente und dass wir unsere Sünden bei unserem Beichtvater beichten müssen, von dem wir die Absolution erteilt bekommen, aber auch einen Bußkanon erhalten, um uns auf den richtigen Weg zu bringen. Nur nach der Erfüllung dieses Bußkanons können wir uns von neuem den Heiligen Sakramenten nähern. Zur Vorbereitung auf die Kommunion gehört auch ein besonderes Gebet (ein Kanon), das zu Hause gebetet wird, sowie das eucharistische Fasten (wir empfangen die Hl. Kommunion nüchtern, auch wenn die Liturgie abends gefeiert wird wie etwa in den Tagen der Großen Fastenzeit). Alle großen Geistlichen empfehlen die Beichte so oft als möglich. In den Klöstern wird die Beichte üblicherweise wöchentlich praktiziert. Die Laiengläubigen praktizieren die Beichte üblicherweise zu den vier Fastenzeiten des Jahres, manche monatlich. Leider binden viele Gläubige die Kommunion an die Beichte und empfangen nur sehr selten die Kommunion.

Das Zusammenwirken (die Synergie) mit Gnade der Heiligen Sakramente ist absolut notwendig, da die Gnade nur in dem Maße wirkt, in dem der einzelne Gläubige alle Bemühungen unternimmt, zu denen er fähig ist, um die Gebote Gottes zu erfüllen und ein reines und heiliges Leben zu führen, in dem Gott verherrlicht wird. Die Kirchenväter sagen, dass jede empfangene Gnade nach ihrem Maße auf die Kooperation wartet. So sind wir Christen nicht nur durch den Empfang der Taufe, sondern wir werden zu Christen in dem Maße, in dem wir die Gnade (die Gaben) der Taufe wirken lassen. Genauso sind auch wir nicht Priester oder Bischöfe alleine  durch den Akt unserer Weihe, sondern wir werden zu Priestern und Bischöfen in dem Maße, in dem wir die Mission erfüllen, zu der wir gerufen sind und für die wir bei der Weihe die Gnade zugesprochen bekommen haben.

Neben den Gebeten der Sieben Sakramente hat die Orthodoxe Kirche auch die Sieben Tagzeitengebete zur Heiligung der Zeit. Jeder liturgische Tag ist eine Ikone der Ewigkeit. In den Tagzeitengebeten danken und loben wir Gott für alle Ereignisse der Heilsgeschichte, von der Erschaffung der Welt bis zu ihrer Erlösung in Jesus Christus. Die sieben Tagzeitengebete sind: der Abendgottesdienst (rum. Vecernia/gr.  Hesperinos), das Abendschlussgebet (rum. Pavecerniţa/ gr. Apodeipnon), das Mitternachtsgebet (rum. Miezonoptika/ gr. Mesonyptikon), der Morgengottesdienst (rum. Utrenia/gr. Orthros), Prim, Terz, Sext und Non (die „Kleinen Horen“ um 6 Uhr, 9 Uhr, 12 Uhr bzw. 15 Uhr). Wie auch der Gottesdienst der Heiligen Sakramente ist auch der Gottesdienst der Tagzeitengebete besonders reich an biblischen Lesungen, Gebeten und Hymnen von großer Schönheit und mystischer Tiefe.

Neben ihrem Charakter als Dank- und Lobgottesdienste für Gott haben die orthodoxen Gottesdienste, besonders an den Fastentagen, auch einen profunden Bußcharakter. Wir bekennen in ihnen unseren ontologischen Fall, die Sünde, die „uns leicht beeinflusst“, und wir bitten um Vergebung in der Hoffnung auf Erlösung. Das vom liturgischen Gebet immerzu aufrechterhaltene Sündenbewusstsein lähmt nicht unseren Willen, sondern schafft vielmehr ein Gefühl der Reue und der Demut und motiviert uns zu noch mehr asketischer Anstrengung, damit die  Gnade in uns mit noch größerer Kraft wirken kann.

Die Architektur der Kirche, ihre Bemalung, die Ikonen der Ikonostase und die gesamte Atmosphäre der Kirche sollen zur Verinnerlichung des Gebets beitragen. Genauso schafft das komplexe und an Symbolen reiche Ritual des Gottesdienstes, besonders der eucharistischen Liturgie, eine geheimnisvolle Atmosphäre, die mehr zum Herzen als zum Intellekt spricht. Der Gläubige muss sich nur darum bemühen, dabei aufmerksam zu sein, um diese ganze Gebetsatmosphäre zu verinnerlichen

So kommt Gott in der Kirche dem Gläubigen sehr nahe und wird ihm vertraut: der Verstand schaut Ihn im Verstehen der Gebete, die Augen in der Schönheit der Ikonen, das Gehör in den Gesängen, der Geruchssinn im Weihrauch, die Lippen beim Küssen der heiligen Objekte und der Geschmackssinn beim Empfang Seines Leibes und Blutes.

Eine Spiritualität des Herzens

Die geistliche orthodoxe Tradition legt einen besonderen Akzent auf das Herz des Menschen als seine persönliche Mitte, aus der alle psycho-physischen Kräfte des menschlichen Wesens ausgehen und zu der sie hinstreben. Das Herz ist gleichzeitig die Mitte des geistlichen Lebens, die Wohnstätte der Gnade. Trotzdem darf das Herz nach den asketischen Vätern als „geistliches Herz“ nicht verwechselt werden mit dem Herzen als biologisches Organ. Das „geistliche Herz“ steht „etwas über“ dem Herz als Organ. Hier geht es um eine feine Unterscheidung, um den transzendenten Charakter des „geistlichen Herzens“ zu betonen. Im Herzen wird außerdem die ganze Menschheit und die ganze Schöpfung rekapituliert, denn der Mensch ist wahrhaftig ein Mikrokosmos, wie die Väter sagen. Es existiert eine ontologische Einheit der Schöpfung, die sich dann im Herzen konzentriert, wenn das Herz sich gänzlich für den Empfang der Gnade öffnet. Wenn die Sünde das Herz beherrscht, wird die Gnade vertrieben und die Einheit des Herzens geht verloren. So entfremdet sich der Mensch von sich selbst, verfälscht die Beziehungen zu seinen Nächsten und steigt vom Stand der Person zum Stand eines Individuums ab. Daher muss all unsere Aufmerksamkeit auf das Herz gerichtet werden, um dahin zu kommen, „mit dem Herzen zu denken, mit dem Herzen zu sprechen und mit dem Herzen zu wirken“ (so der serbische Starez Tadei, † 2003), dass wir also alles mit der Wärme des Herzens markieren. Sicher ist das ohne Hilfe des Gebets unmöglich. Denn nur durch das Gebet können wir unseren Verstand (Geist) von der Zerstreuung in den Äußerlichkeiten fernhalten und zum Herz lenken und mit ihm alle anderen psycho-physischen Kräfte. Denn der Verstand (Geist) ist wie gesagt eine Energie des Herzens und findet keine Ruhe, bis er in sein „Zuhause“ zurückkehrt, welches das Herz ist. Dies ist auch überhaupt nicht leicht, denn der Vertand ist es gewohnt, nach dem zu trachten, was auf Erden ist, statt nach dem, was droben ist (vgl. Kol. 3,2). Der Verstand (Geist) zerstreut sich immerzu in Äußerlichkeiten und materiellen Dingen. Daher müssen wir unseren Geist dahin bringen, öfter an das zu denken, was droben ist und mit der nötigen Aufmerksamkeit darum zu beten, dass der Verstand (Geist) wenigstens für einen Moment ins Herz hinabsteigen kann. Der Verstand (Geist) wird wahrhaftig im Herzen einziehen, wenn wir uns allmählich vom leidenschaftlichen Gedanken an das, was auf Erden ist, lösen und in allem und durch alles Gott sehen, Der alles erschaffen hat. Bis dahin müssen wir demütig sein und uns bemühen, möglichst oft zu beten, wie wir können, auch wenn wir die Freude des Gebets nicht verspüren und mit der Qualität des Gebets noch unzufrieden sind. Die Kirchenväter sagen: „Gott gibt das Gebet dem, der betet“, also dem, der im Gebet beharrlich ist und nicht darauf verzichtet, weil er die Freude am Gebet noch nicht verspürt oder noch nicht mit der notwendigen Aufmerksamkeit beten kann. „Die Qualität des Gebets kommt aus dem vielen Beten“ sagen dieselben asketischen Väter. Die Ermahnung des heiligen Apostels Paulus: „Betet ohne Unterlass!“ (1. Thess. 5,17) wird in der Orthodoxie als „Gebet zu jeder Zeit“ verstanden. Zu jeder Zeit und an jedem Ort müssen wir Gott „das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen“ (Hebr. 13,15). Dieses Gebet zu jeder Zeit ist für die Mönche das „Jesusgebet“ oder „Herzensgebet“. Beim Ablegen der Mönchsgelübde wird gesagt, wenn dem Mönch die „Metanien“ auferlegt werden: „Unser Bruder (N.) erhält das Schwert des Geistes, der das Wort Gottes ist, für das immerwährende Gebet zu unserem Erlöser Christus. Denn er ist verpflichtet, jederzeit und immerzu den Namen des Herrn Jesus im Geiste, im Herzen, im Denken und im Munde zu haben und zu sagen: ‚Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich über mich  Sünder‘“ (vgl. Molitfelnic/gr. Euchologion, Ordnung der Mönchsweihe). Aber das „Jesusgebet“ ist nicht nur den Mönchen eigen, sondern allen Christen. Der heilige Vasile († 1767) von Poiana Mărului (Buzău), der erste hesychastische Autor der Moderne, zitiert den heiligen Simeon von Thessaloniki, der „Bischöfen, Priestern, Mönchen und allen Laien gebietet und rät, jederzeit und zu jeder Stunde dieses heilige Gebet mit dem Atem zu vereinen. Er sagt zusammen mit dem Apostel: ‚Es gibt keine stärkere Waffe weder im Himmel, noch auf Erden als den Namen Jesu‘“ (vgl. Rumänische Philokalie, Bd. VIII). Gewiss können Mönche, die sich besonders diesem Gebet widmen, dabei gewisse von der asketischen Tradition übermittelten „Methoden“ bezüglich der Haltung beim Beten nutzen (auf einem Hocker sitzen mit dem Kopf zum Herz hin geneigt und dabei dem Auflegen von zwei Fingern der rechten Hand auf dem Herzen…) oder ihrem Beten zum Rhythmus des Atmens. Freilich haben diese Methoden einen relativen Charakter; sie können der Aufmerksamkeit bei der Konzentration auf das Herz fördern, doch das eigentliche Gebet übersteigt jede Methode. Das Gebet ist eine Gabe ausschließlich des Heiligen Geistes entsprechend dem Maß an Reue und Demut dessen, der betet. Die Gabe des unablässigen Gebets ist selten und unabhängig vom Stand des Gläubigen in der Kirche: ob Mönch, Kleriker oder Laie.

In Rumänien wurde unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg im Kloster Antim in Bukarest der Gebetskreis „Rugul aprins“ („Brennender Dornbusch“) gegründet, der sich auf den brennenden Dornbusch am Sinai bezieht. In diesem Gebetskreis wurden die Mitglieder, vor allem Intellektuelle, in die Geheimnisse des Jesusgebetes eingeführt. Jene bemühten sich, das Jesusgebet zu jeder Zeit unter Anleitung bekannter Geistlicher zu praktizieren. Einige kamen sogar zur Gabe des unablässigen Gebets, also zum Gebet jenseits der Worte, zum Gebet als Lebenshaltung. „Ich schlief, aber mein Herz war wach“ (Hoheslied 5,2). Leider wurde dieser Gebetskreis 1959 vom kommunistischen Regime verboten und seine Anführer inhaftiert. Der „Brennende Dornbusch“ ist eine zeitgenössische geistliche Erfahrung, die beweist, dass die Praxis des unablässigen Gebets vor jedem Hintergrund möglich ist, auch bei Verrichtungen geistig-intellektueller Art. Ohne das konkrete Wirken für die Nächsten und die Gesellschaft zu behindern, gibt das häufige Gebet dem, der es praktiziert, eine ganz besondere Kraft und verleiht seinem Wirken für die Nächsten und die Gesellschaft sogar eine besondere Qualität.

Hier muss auch unterstrichen werden, dass zwischen dem gemeinsamen Gebet der Kirche und dem persönlichen Gebet eine enge Verbindung besteht und beide sich gegenseitig bedingen und erhalten. Auch die aus der Mönchsgemeinschaft abgeschiedensten Asketen, die sich ausschließlich dem „Jesusgebet“ widmen, unterbrechen nicht ihre lebendige Verbindung zur Kirche, sondern nehmen an der eucharistischen Liturgie am Samstag und Sonntag teil.

Das Gebet der Kirche, fortgesetzt mit unserem unablässigen Gebet hat uns allmählich zu einem „mitleidsvollen Herzen“ zu führen, zu einem Herzen, das Mitleid hat mit der ganzen Schöpfung Gottes, weil die Gnade es mit Liebe zu allem erfüllt, was existiert. Daher können wir sagen, dass die Liebe das Ziel der Spiritualität ist, die Frucht der Gnade der Sakramente und des persönlichen Gebets.

Eine asketische Spiritualität

Die Askese ist eine grundlegende Dimension der orthodoxen Spiritualität, welche auf die ontologische Verwandlung des Menschen abzielt, seine Vergeistigung oder Durchdringung mit dem Heiligen Geist und nicht nur seine einfache moralische Anpassung an die Gebote des Evangeliums. Die mystische Einheit aus Leib, Seele und Geist (vgl. 1. Thess. 5, 23) setzt die Teilhabe des Leibes an allen geistigen Akten voraus, nachdem auch Seele und Geist an allen Akten des Leibes teilhaben. Der Gläubige ist gerufen, bis in seinen Leib geistlich zu werden. Andernfalls wird er leiblich bis in seinen Geist. Auch wenn die  orthodoxe Tradition auf keine Weise den Leib geringschätzt, der „der Tempel des Heiligen Geistes“ ist (1. Kor. 6, 9) und die Seele den Leib nicht entgegensetzt, so übersieht die Orthodoxie doch nicht die Tatsache, dass sich der Leib im Stand der Sünde dem Geist entgegenstellt, als ob in uns zwei gegensätzliche „Gesetze“ existierten: ein „Gesetz des Leibes“, das sich dem „Geist der Welt“ oder dem „Geist der Knechtschaft“ unterstellt, und ein „Gesetz des Geistes“, das sich dem „Geist Gottes“ unterstellt oder dem „Geist der Gotteskindschaft“ (vgl. Röm 7, 15-25). Auch wenn wir bei der Taufe von diesem von der Sünde bewirkten „Dualismus“ befreit werden, so wirkt dieser Dualismus doch in den Getauften fort, wenn diese nicht wahrhaft in Christus leben. Die christliche Askese zielt gerade auf die Befreiung vom „Gesetz des Leibes“, welches das Gesetz der Sünde ist, damit der Geist sich in allem dem Geist unterordne, also dem Gesetz Gottes. Der Apostel Paulus sagt: „Ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn“ (1. Kor. 9, 27). In seiner Nachfolge müssen alle, die auf dem „schmalen Weg“ zum Reich Gottes wandeln wollen, der zum Heil führt, genauso verfahren, handeln und leben. Die gefallene Welt (nicht die Welt als Schöpfung Gottes) zieht den Leib an, bis er ihr leidenschaftlich verfällt. Wenn aber der Leib leidenschaftlich an die Welt gebunden ist, dann sind auch der Geist und die Seele leidenschaftlich gefangen. Denn der Heilige Geist kann nicht in einem Leib wohnen, der leidenschaftlich an das Materielle gebunden ist. Daher zielt die Askese in erster Linie auf die Disziplinierung der Sinne und ihre Bewahrung vor „des Fleisches Lust  und der Augen Lust und hoffärtigem Leben“ (1. Joh. 2, 15-16) durch die „Achtsamkeit des Geistes“, die den Gedanken von der Sünde abhält. Denn jede Sünde hat ihren Ursprung in einem Gedanken.

Der Geist muss seinerseits unterstützt werden bei seinen Bemühungen um das Fasten, also um Zügelung beim Essen und Trinken und allem, was Lust nach der Sünde im Menschen wecken kann. Vor allem das Fasten am Mittwoch und Freitag sowie in den vier Fastenzeiten des Jahres diszipliniert den zur Völlerei geneigten Leib, die Völlerei ist die „Mutter der Wollust“. Der heilige Johannes Klimakos (7. Jh.) sagt: „Wer dem Bauche frönt, und den Geist der Unzucht bezähmen will, ist dem ähnlich, welcher mit Öl den Brand zu löschen denkt“. Derselbe Heilige sagt auch: „Das Fasten ist ein Licht der Seele, die Wache des Geistes, die Erleuchtung des blinden Herzens, die Tür der Zerknirschung, die Quelle der demütigen Seufzer, der Tod der Geschwätzigkeit, die Veranlassung des einsamen Lebens, die fröhliche Trauer des zerknirschten Herzens, der Wächter des Gehorsams, die Ursache eines leichten Schlafes, das Heil des Leibes, der Urheber der seligen Ruhe, die Nachlassung der Sünden, das Tor und die Seligkeit des Paradieses.“ Und die Esslust nennt er „grausame Herrin des ganzen Menschengeschlechts“ und benennt als ihre „zahlreichen Kinder“: „Mein erstgeborener Sohn heißt: Diener der Hurerei (…); der zweite heißt: Verhärtung des Herzens; der dritte: Schlaf. Diesen folgt ein Meer von unreinen Gedanken, woraus die Fluten schändlicher Befleckungen entstehen. Endlich geht aus mir ein ungeheurer Pfuhl und Abgrund unbekannter und schändlicher Verunreinigungen des Leibes und der Unzucht hervor.“ (Vgl. Hl. Johannes Klimakos, Scala Paradisi, Stufe XIV, in: Rumänische Philokalie, Bd. IX, p. 213, 216, 220).

Gewiss reduziert sich die Askese nicht auf das Fasten und Handlungen, die sich besonders auf den Leib beziehen wie etwa die Nachtwachen, das Stehen beim Beten, die Proskynese (Anbetung durch Kniefall) und eheliche Zurückhaltung. Auch der Dienst an den Nächsten in Not und der Kranken ist genauso eine große Form der Askese, denn sie fordert Bemühungen, Geduld, Verständnis für die menschlichen Unzugänglichkeiten… Das Gebet selbst ist eine große Askese, bis es zu einer Normalität im Leben wird. Denn das Gebet verlangt nach Zeit und Bemühen um Aufmerksamkeit… Das Fasten wie auch die anderen asketischen Bemühungen helfen dem Gebet, ins Herz einzudringen, zu einem Gebet des Herzens zu werden und das Herz also zu verwandeln. „Niemand kann mit vollem Bauch beten“, besagt eine asketische Maxime. Denn ein voller Magen zieht den Geist in die Sinne und entfacht in ihm die Wollust.

Die aus freien Stücken praktizierte Askese stellt den „positiven Weg der Vorsehung dar“, auf dem Gott uns zur Befreiung von den Leidenschaften und zur Vollendung führt. Doch es gibt auch einen „negativen Weg des Gerichts“, also schmerzliche Prüfungen und Leiden, die eine Konsequenz aus der Sünde sind und durch die Gott jene zur Buße ruft, die die „irdischen Dinge lieben“, um sie vor der ewigen Strafe zu erlösen. Der heilige Maximus der Bekenner (7. Jh.) sagt: „Wer Gott liebt, wird von der Vorsehung vergöttlicht, während der, der die irdischen Dinge liebt, vom Gericht aufgehalten wird, um seine Strafe zu empfangen.“ (Rumänische Philokalie, Bd. III, S. 253). Aber auch der „Gottliebende“, der sich aus freien Stücken auf dem Weg der Erlösung bemüht, kann Versuchungen und Prüfungen erfahren, mehr noch als der, der „die irdischen Dinge“ liebt und dem das ewige Seelenheil gleichgültig ist. Dies deshalb, weil der Gläubige in Unglück und Leid die Erfahrung seiner eigenen ontologischen Unzulänglichkeit und seiner totalen Abhängigkeit von Gott macht. Das Leiden hilft uns mehr als alles andere, uns von unserem eigenen Ich und jeder irdischen Bindung zu lösen, um unsere Hoffnung nur in Gott zu setzen. Daher ist das Gebet in Zeiten der Prüfungen tiefer, weil es den ganzen Menschen beansprucht.

Der heilige Markus der Eremit (4. Jh.) entwickelt eine wahre Theologie der Leidenserfahrungen, die in wenigen Punkten so zusammengefasst werden kann: 1) Durch das Zulassen von Leid will uns Gott von der Sünde abbringen; 2) Leidenserfahrungen sind im Allgemeinen eine Konsequenz aus den Sünden. Es gibt gewissermaßen sogar ein „Gesetz“ der Kompensation zwischen der willentlich begangenen Sünde und dem Leid, das gegen unseren Willen über uns kommt. „Wenn du von niemandem Böses erleiden willst, dann sollst du auch niemand  Böses wollen, denn das eine folgt zwangsläufig aus dem anderen, weil jeder das erntet, was er sät (Galater 6, 8). Wenn wir aus freien Stücken Böses säen und ohne unseren Willen Böses ernten, dann müssen wir uns nicht über die Gerechtigkeit Gottes wundern. Aber weil Gott  zwischen dem Säen und der Ernte eine gewisse Zeit gesetzt hat, glauben wir nicht an Vergeltung“; 3) Durch Leidenserfahrungen wird unser zur Sünde geneigtes Wesen allmählich wieder hergestellt und neu gestärkt, um der Versuchung widerstehen zu können und nicht mehr zu sündigen; 4) Leidenserfahrungen können auch über uns kommen, wenn wir nicht selbst gesündigt haben; sie können auch um der Sünden unserer Nächsten willen über uns kommen; 5) Die Geduld im Leid, also das mutige und standhafte Ertragen von Leid, ist ein Zeichen von Kraft und Weisheit, das uns an Kraft und Weisheit noch zunehmen lässt.

So ist die Askese als Kampf „bis auf’s Blut“ gegen die Sünde (vgl. Hebräer 12,4) absolut notwendig, um zur Befreiung von den Leidenschaften zu kommen und die Tugenden zu erlangen, die unser Leben heiligen. Die heiligen Kirchenväter vergessen nicht zu unterstreichen, dass wir nicht aus eigener Kraft zur Befreiung von den Leidenschaften und zur Heiligung kommen, sondern nur aus Gnade. In der Tat ist „alles Gnade“, alles in unserem Leben ist Wirken der Gnade! Der Sinn der Askese ist es, das Wirken der Gnadevorzubereiten und bei ihrem Wirken an uns zu begleiten. Ich habe schon gesagt, dass „der Glaube die Kreuzigung des natürlichen Verstandes bedeutet“. Nur ein auf dem Altar des Glaubens gekreuzigter natürlicher Verstand kann zugestehen, dass „alles Gnade ist“ und  gleichzeitig dass wir „unser Blut geben müssen, um die Gnade zu empfangen“.