I. Die Rumänische Orthodoxe Kirche

Die Rumänische Orthodoxe Kirche ist eine autokephale Kirche im Rang eines Patriarchats. Sie bildet zusammen mit den anderen orthodoxen Schwesterkirchen die Familie der Orthodoxie, die sich in einer vollkommenen Gemeinschaft befindet. Das bedeutet, dass die orthodoxen Kirchen einen Glauben, eine kirchliche Disziplin und eine Liturgie haben. In der Art und Weise, wie das Evangelium von verschiedenen Kirchen erlebt und durch unterschiedliche Kulturen ausgedrückt wird, besteht auch das Spezifikum jeder orthodoxen Kirche. Nach diesem Aspekt ist eine orthodoxe Kirche griechisch, russisch, serbisch oder rumänisch. Die orthodoxen Kirchen aus Südost-Europa haben das Volk durch seine Geschichte begleitet, betreut und sehr oft einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung der ethnischen Identität und nationalen Einheit geleistet.
Historische Berichte wie auch archäologische, linguistische und historische Beweise weisen sehr früh auf, dass die Verbreitung des Christentums in den ersten Jahrhunderten auch auf dem heutigen Territorium Rumäniens stattgefunden hat. Der Kirchenhistoriker Eusebius von Caesarea (+330) übernimmt von Origenes (+254) die Auffassung, dass der Hl. Apostel Andreas bei den Skythen das Evangelium verkündigte[1]. Diese Information wird auch in dem Synaxarium Ecclesiae Constantinopolitanae unterstützt. Tertullian, ein bekannter Apologet (+240), schrieb, dass in seiner Zeit das Christentum unter den Sarmaten, Dakern, Germanen und Skythen verbreitet wurde[2]. Die Kirchengeschichte verzeichnet, dass die Kirchen aus Scythia Minor (die heutige Dobrudscha) und nördlich der Donau befanden sich in voller Kommunion mit der universalen Kirche.
Ebenso zählt die Kirchengeschichte unter den Teilnehmern bei den ökumenischen Konzilen von Nicäa (325), Konstantinopel (381), Ephesus (431), Chalzedon (451) oder bei den Lokalsynoden, Bischöfe aus Scythia Minor auf und behielt die Verbindungen der Kirche dieser Gegend mit Konstantinopel. Die Kirche aus Scythia Minor zählte am Anfang des 6.Jhs. neben Tomis (dem heutige Constanta) 14 andere Bischofsstühle und war die Heimat einiger bekannter Theologen wie Johannes Cassian (+431), Dionysius Exiguus (der Kleine +545) oder der sogenannten „skythischen Mönche“ (Leontius, Johannes Maxentius und Petrus Diaconus aus dem 6.Jh.)[3].
Die archäologischen Funde christlichen Charakters aus dem 4. Jh. mit den Inschriften in lateinischer Sprache beweisen die frühe Bekehrung der dako-römischen Bevölkerung (die Vorfahren der heutigen Rumänen) zum Christentum, aber auch ihre Kontinuität auf dem Territorium Rumäniens nach dem Rückzug der römischen Verwaltung und Armee südlich der Donau (271-275). Das Votivtäfelchen mit der Inschrift „ego Zenovius votum posui“ (Biertan/Birthalm, Kreis Sibiu/Hermannstadt), die Gemme von Potaisa (Turda, Kreis Cluj/Klausenburg), die Kirche von Slăveni (Kreis Olt) stammen aus dem 4. Jh. und sind nur einige Beispiele für die Kontinuität und Bekehrung der Daker-römischen Bevölkerung.
Die Anwesenheit der Märtyrer nördlich der Donau (z. B. der Hl. Sabas, Kreis Buzău) weist darauf hin, dass hier eine lebendige Kirche existierte. Der Briefwechsel zwischen Basilius dem Großen und dem Gouverneur von Scythia Minor über den Hl. Sabas bekundet die Existenz eines organisierten christlichen Lebens in Gothien[4]. Es handelt sich um dasselbe Territorium nördlich der Donau, in dem früher Bischof Ulfilas bis zur Verfolgung der Christen unter dem gotischen Fürsten Avrich (348) gewirkt hat. Dasselbe gilt für die Existenz eines organisierten christlichen Lebens auf dem Territorium Rumäniens im frühen Mittelalter. Das christliche Leben bildete also die Grundlage für die Entstehung des rumänischen Volkes. Das berechtigt die Rumänen sich als Nachfolger der Daker-Römer zu verstehen, dass sie in der Geschichte als Christen existierten und deshalb nicht, wie die benachbarten Völker, ein festes Jahr als Christianisierungsdatum haben.
Der anonyme Notar des ungarischen Königs Bela vermerkt beim Einmarsch der Ungarn in Siebenbürgen (9. Jh.) die Existenz der rumänischen politischen Strukturen. Es handelt sich um Gelu „Fürst der Rumänen“ (in der Nähe von Cluj/Klausenburg), wie auch um Menumoruth in Bihor und Glad im Banat.
Nach der Gründung der zwei außerkarpatischen rumänischen Fürstentümer wurde die alte vorhandene kirchliche Struktur dieser beiden Länder im Rang einer Metropolie vom ökumenischen Patriarchat anerkannt (Muntenien/Walachei 1359, Moldau 1401). Die Bildung der rumänischen Metropolien in den Donaufürstentümern erscheint als Folge der Gründung der zwei rumänischen Staaten. Obwohl der erste Erzbischof Transsilvaniens (Siebenbürgen) 1377 erwähnt wird, sind die Spuren einer kirchlichen Struktur in dieser alten und mehrheitlich von Rumänen bevölkerten Provinz, viel älter. In Transsilvanien wurde das Leben der orthodoxen Rumänen durch den Kampf gegen den reformierten und katholischen Proselytentum geprägt. Die Annahme der Reform wurde von den reformierten Fürsten Siebenbürgens im 17. Jh. unterstützt, wobei die Annäherung an Rom unter dem Einfluss der Jesuiten stand. Unter diesen Umständen und unter dem Druck des Wiener Hofes hat ein Teil der Rumänen aus Transsilvanien die Union mit Rom angenommen (1698-1701).
Am Anfang war die Sprache des Kultus die gängige Sprache des Volkes, d.h. das Volkslatein, das im östlichen Teil des römischen Reiches gesprochen wurde. Das lässt sich beweisen durch die Grundbegriffe des christlichen Glaubens in der rumänischen Sprache, die alle einen lateinischen Ursprung haben. Das bedeutet: als die Slawen kamen, war die Christianisierung der Rumänen schon beendet. Die kirchenslawische Sprache setzte sich im 10. Jh. als Kultussprache durch, blieb aber für das Volk unverständlich. Deshalb wird mit Sicherheit angenommen, dass für die Predigt, die Katechese und die Beichte weiterhin die Sprache des Volkes benutzt wurde. Der Diakon Coresi engagierte sich durch die Übersetzung und den Druck von Ritualbüchern (1560-1581, Braşov/Kronstadt) für die Einführung der rumänischen Sprache in den Gottesdiensten: „damit die rumänischen Priester verstehen“[5]. Die Einführung der rumänischen Sprache in die Liturgie wurde im 17. Jh. mit der Veröffentlichung der Homilien-Sammlung (Cazania 1643), des Neuen Testaments (1648), der Psalmen (1673), des Liturgiebuches (1679 u.1683) und der vollständigen Bibel (1688) fortgesetzt.
Nach der Vereinigung der rumänischen Fürstentümer (Moldau und Walachei 1859) und der Unabhängigkeitserklärung (1877/8) erhielt die orthodoxe Kirche Rumäniens vom ökumenischen Patriarchat die Anerkennung der Autokephalie (1885) und erlangte 1925, nach der Vereinigung Transsilvaniens und Bessarabiens mit Rumänien (1918) den Status eines Patriarchats mit Sitz in Bukarest. Die Rumänische Orthodoxe Kirche hat sich für die Ökumene engagiert und ist seit 1961 (New-Delhi) Mitglied im ÖRK. Sie gehört auch der KEK an. Mit ihren 19,8 Mio. Gläubigen (86,7% der Bevölkerung) gilt die Rumänische Orthodoxe Kirche als zweitgrößte orthodoxe Kirche der Welt.
 

Für den Anfang der rumänischen Geschichte und Kirchengeschichte, siehe: Mircea Păcurariu, Geschichte der Rumänischen Orthodoxen Kirche, Oikonomia 33, Erlangen 1994, S. 12-70 und auf den S. 71-77 angegebene Bibliographie.



[1]Eusebius von Caesarea, Hist. Eccl. III,1, PG 12,91-92 

[2]Tertullian, Lib. Adv. Jud. 7, PL 2,650

[3]M. Păcurariu, a. a. O., S.50-58.

[4]A. a. O., S.45-46

[5]Das Vorwort vom Evangelium, Brașov/Kronstadt 1560-1561.