Pastoralbrief zum Ostern 2016
Gehet hin und lehret alle Völker…
„Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Matthäus 28, 19-20)
Wohlehrwürdige Väter und geliebte Gläubige,
Christus ist auferstanden!
Der österliche Gruß „Christus ist auferstanden!“ und die Antwort „Er ist wahrhaftig auferstanden!“, womit wir uns 40 Tage lang bis zur Himmelfahrt des Herrn grüßen, ist der schönste Gruß, den wir Menschen einander zusprechen können. Dieser Gruß ist außerdem das kürzeste und umfassendste Glaubensbekenntnis, denn die Auferstehung des Herrn steht im Zentrum des christlichen Glaubens. Wenn wir nicht an die Auferstehung des Herrn glauben, dann ist unser Glaube vergeblich, sagt der heilige Apostel Paulus (vgl. 1. Korinther 15, 17). Wenn wir mit Glauben und Überzeugung bekennen „Christus ist auferstanden! – Er ist wahrhaftig auferstanden!“, dann füllt sich unser Herz mit Freude und der Kraft aus der Auferstehung Christi. Nie spüren wir eine solche Freude und eine solche Sehnsucht nach Leben in unserer Seele wie in der Osterzeit! Selbst die Natur freut sich mit den Menschen über die Auferstehung des Herrn! „Die Himmel mögen sich freuen, die Erde jubeln und feiern die ganze Welt, die sichtbare und die unsichtbare, denn Christus ist erstanden. Ewige Freude!“ So singen wir an diesen Feiertagen.
Die Osterfreude erneuert sich in unseren Seelen an jedem Sonntag und an jedem Feiertag, wenn wir in Frömmigkeit an der Göttlichen Liturgie teilnehmen, und jedesmal wenn wir beten – zu Hause, unterwegs oder auf der Arbeit, so dass der Mut uns niemals verlassen wird, so schwer auch die Prüfungen und die Schwierigkeiten des Lebens auch sein mögen, durch die wir gehen. Gott holt uns immer wieder aus allen Prüfungen des Lebens ins Licht, wenn wir an Seine Macht glauben und von Herzen beten. In diesem Sinne sagt der heilige Apostel Paulus: „Darum werden wir nicht müde: sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. Denn unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit“ (2. Korinther 4, 16)
Geliebte Gläubige,
nachdem Er von den Toten auferstanden ist, hat sich unser Erlöser Jesus Christus mehrfach Seinen Jüngern sowie anderen Brüdern gezeigt (vgl. 1. Korinther 15,6). Der heilige Evangelist Matthäus berichtet, dass der Herr sich den elf Jüngern in Galiläa gezeigt hat und ihnen geboten hat, in alle Welt zu gehen, das Evangelium allen Völkern zu verkündigen und alle auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes zu taufen und ihnen zusicherte, dass Er alle Tage bei ihnen sein werde, bis an der Welt Ende. Die Apostel haben auf das Gebot des Herrn gehört, sie sind in die ganze Welt gegangen und haben das „Evangelium“ verbreitet. Das griechische Wort: „Evangelium“ wird im Rumänischen mit „Die Gute Nachricht“ übersetzt.
Im Zentrum des Evangeliums steht die Liebe Gottes zu uns Menschen, die im Tod und der Auferstehung Jesu zu ihrem Höhepunkt gekommen ist. Einige Apostel haben das, was sie von ihrem Herrn gehört haben, nicht nur verkündigt, sondern einen Teil des Gehörten auch schriftlich verbreitet. So sind die vier Evangelien von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes entstanden sowie die Briefe die das Neue Testament bilden. Was nicht schriftlich festgehalten wurde, ist auf mündliche Weise überliefert worden und ist Teil der Kirchlichen Tradition, die mehr umfasst als die Heilige Schrift. Denn wie der heilige Evangelist Johannes sagt: „Es sind noch viele andere Dinge, die Jesus getan hat. Wenn aber eins nach dem andern aufgeschrieben werden sollte, so würde, meine ich, die Welt die Bücher nicht fassen, die zu schreiben wären.“ (Johannes 21, 25) So finden wir in der Heiligen Schrift (der Bibel) und in der Heiligen Tradition die gesamte Lehre im Blick auf den Willen Gottes für uns Menschen. Wer nach dem Willen Gottes leben und erlöst werden will, muss sowohl die Heilige Schrift als auch die Heilige Tradition kennen. Gott der Herr hat uns Sein Wort hinterlassen, damit wir es immerzu lesen und uns an Ihm nähren, denn „der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht“ (Matthäus 4, 4). Trotzdem dürfen weder die Heilige Schrift, noch die Heilige Tradition können freilich nach dem eigenen Gusto verstanden werden, wie die Sektierer glauben. Wir orthodoxen Gläubigen glauben, dass nur die Kirche, von der der Apostel Paulus schreibt, dass sie „ein Pfeiler und eine Grundfeste der Wahrheit“ ist (1. Timotheus 3, 15), die Heilige Schrift und die Heilige Tradition ohne Fehler versteht und interpretiert. So hat die Kirche über ihre Diener die fortwährende Aufgabe der Verkündigung des Wortes Gottes und die Katechese oder die Erziehung der Gläubigen, beginnend mit den Kindern und Jugendlichen.
Ohne ein Minimum an religiöser Erziehung verstehen wir nichts von den Geheimnissen des Glaubens und können leicht in schwere Sünden verfallen, die zahllose Prüfungen und Leidenserfahrungen nach sich ziehen. Wie wir sehr gut wissen, beginnt die religiöse Erziehung in der Familie. Die christliche Familie wird von dem heiligen Johannes Chrysostomos († 407) „die Kirche im Kleinen“, denn in der Familie opfern sich die Eltern auf für die Aufzucht und die Erziehung ihrer Kinder wie sich der Erlöser Jesus Christus Sich selbst auf dem Tisch des Heiligen Altars als Opfer darbringt.
Alle Eltern wollen gesunde und gute Kinder haben. Doch dafür ist es notwendig, dass sie ihren Kindern ein Beispiel geben mit ihrem Leben im Glauben, verbunden mit einem regen Gebetsleben und mit Fasten, mit dem Lesen der Heiligen Schrift und geistlich-erbaulicher Schriften und regelmäßiger Teilnahme an der göttlichen Liturgie. Die Kinder sind das Abbild ihrer Eltern. Sie tun alles, was auch die Eltern tun und sie werden im Leben so sein, wie ihre Eltern waren. Auch wenn die Jugendlichen zu einer bestimmten Zeit bestimmte Krisen durchlaufen, so werden diese leichter bewältigt, wenn sie schon von klein auf eine gesunde Erziehung genossen haben.
Leider kümmern sich die meisten Eltern und Taufpaten nicht um die religiöse Erziehung ihrer Kinder oder Patenkinder, weil sie selbst keine religiösen Menschen sind. Das ist eine echte Tragödie, mit unberechenbaren Folgen für die Zukunft der Kinder und der Familie. Häufig treffen wir auf Eltern oder Paten, die auf die Einladung der Priester zur Beichte und einer minimalen religiösen Vorbereitung auf das Sakrament der Heiligen Taufe nicht antworten. Dasselbe gilt auch für das Sakrament der Trauung. Die Vorbereitung auf die Taufe und die Trauung sollte bei allen Mitgliedern der Familie mit Fasten und Beten erfolgen, damit die ganze Fülle der Gnade Gottes auf die herabkomme, die diese heiligen Sakramente empfangen, und sie ihr ganzes Leben begleite. Statt der Vorbereitung gibt es häufig nur eine „Nachbereitung“ in Form der Familienparty nach dem Gottesdienst. Dies ist schmerzlich und eine schwere Missachtung der Heiligen Sakramente! Daher müssen wir heute die religiöse Erziehung mit der Erziehung der Eltern beginnen, damit diese ihrerseits ihre Kinder erziehen können. Doch wie sollen wir die Eltern erziehen, wenn sie nicht zur Kirche kommen und an den heiligen Gottesdiensten teilnehmen? Wie schwer ist für einen Priester der Dienst, der sich die Seelsorge an seinen Gemeindegliedern wirklich zu Herzen nimmt, während diese in ihrer großen Mehrheit seine Einladung zurückweisen, die die Einladung Jesu Selbst ist! Es gibt keinen größeren Schmerz als diesen!
Trotzdem geben wir die Hoffnung nicht auf. Der Erlöser Selbst ermutigt uns, wenn Er sagt: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn es hat eurem Vater wohlgefallen, euch das Reich zu geben.“ (Lukas 12, 32). Diejenigen, die Sonntag für Sonntag zur Kirche kommen, sind wahrlich eine kleine Herde. Unsere Freude ist groß über jeden Gläubigen, der die Kirchenschwelle übertritt. Wir freuen uns vor allem über Eltern, die mit ihren Kindern zur Göttlichen Liturgie kommen. Wir versuchen, für diese Kinder in jeder Pfarrei eine „Sonntagsschule“ abzuhalten, bei der die Kinder eine christliche Elementarunterweisung erhalten sowie kirchliche Gebete und Gesänge lernen. Für die Jugendlichen organisieren wir in vielen Pfarreien Treffen mit religiösem Inhalt, aber auch zu Themen der Kultur und der Geselschaft. Immer mehr Pfarreien organisieren für ihre Gläubigen „Geistliche Abende“, bei denen die Gläubige diese Fragen zur christlichen Lehre und ihrer praktischen Anwendung stellen können. Auch Wallfahrtsreisen zu den heiligen Stätten und zu Klöstern in Rumänien erweisen sich als sehr nützlich für das geistliche Reifen der Gläubigen. Unsere Pflicht als geistliche Väter ist es freilich, auch jene nicht zu vergessen, die nicht zur Kirche kommen. Wir beten für sie, dass Gott in ihren Herzen die Sehnsucht nach Seiner Kirche entfachen möge. „Wie lieb sind mir deine Wohnungen, Herr Zebaoth! Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn, betet der Psalmist (Psalm 84,1-2). Und wir versuchen, zumindest telefonisch mit so vielen Gläubigen wie möglich aus dem Verbreitungsgebiet unserer Pfarrei in Verbindung zu stehen. In dieser Hinsicht können Sie, die Sie der Kirche nahestehen, eine sehr große Mission erfüllen, indem Sie alle, die Sie kennen, ermuntern, am Sonntag in die Göttliche Liturgie zu kommen. Der heilige Apostel Paulus sagt: „Wer einen Sünder bekehrt hat von seinem Irrweg, der wird seine Seele vom Tode erretten und wird bedecken die Menge der Sünden“ (Jakobus 5,20).
Geliebte Gläubige,
die Verheißung des Erlösers Jesus Christus, dass Er alle Tage bis an der Welt Ende bei denen sein wird, die an Ihn glauben, erfüllt sich darin, dass Er uns bewahrt, uns inspiriert, uns erleuchtet und uns bei allem hilft, was wir tun, wenn wir uns darum bemühen, nach Seinem Willen zu leben. Wenn wir aber wie Ungläubige leben und ohne Reue sündigen, dann entzieht Gott der Herr uns Seine Gnade und Seinen Schutz. Die Gegenwart des Erlösers Christus in unserem Leben spüren wir allerdings besonders dann, wenn wir beten, vor allem in der Kirche bei der Göttlichen Liturgie, wo das Gebet die größte Kraft hat. Wenn uns eine Prüfung durch eine Krankheit oder einen Unglücksfall trifft, dann ist das Erste, das wir tun sollten, zu beten, von Herzen und in Reue Gott um Hilfe zu rufen. Und wir sollen nicht mutlos werden, wenn Gott unser Gebet nicht sogleich und nach unserem Willen erfüllt, sondern wir sollen unablässig beten und unser Leben nach Seinen Geboten auszurichten.
Gott belohnt jeden von uns nach dem Glauben, den er hat, und nach dem Bemühen, nach Seinem Willen zu leben. Das Wichtigste beim Beten ist es, dass unsere Aufmerksamkeit auf das Gebet konzentriert ist, damit der Verstand in das Herz hinabsteigen kann und eins wird mit dem Herzen. Nur dann beten wir wirklich, wenn sich unser Verstand sich mit dem Herzen vereint und die Wärme der Gnade spürt, die im Herzen wohnt. Daher sind die Gebete und Gottesdienste unserer Kirche mystisch, sie richten sich an das Herz, weil das Herz die Mitte des menschlichen Lebens ist und sich dort wie in einem Fokus unsere psychischen und physischen Kräfte rekapitulieren und wo die Gnade des Heiligen Geistes seit unserer Taufe wohnt.
Die Schule der Kirche ist die Schule des Gebets. Nur wer wahrhaft betet, fühlt Gott nahe und fühlt sich eins mit Ihm! Wir brauchen nichts mehr im Leben als das Gebet. Wir sollen viel beten und das Gebet wird uns alles lehren!
Ich bete zum Erlöser Christus, Dem am dritten Tage Auferstandenen, dass Sie die heiligen Feiertage in Frieden und mit Freude begehen, er möge Sie segnen und Ihnen Gesundheit und alles zur Erlösung Nötige schenken.
Christus ist auferstanden!
† Metropolit Serafim von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa
(Übersetzung: Pfarrer Dr. Jürgen Henkel, Selb-Erkersreuth)