Wie kann man christliche Mission in Europa heute verstehen? (Amersfort, 27.10.1999)
Konferenz des Ökumenischen Rates der Kirchen, Amersfort, den 27. Oktober 1999
Liebe Freunde,
erlauben Sie mir zuerst, dass ich den Organisatoren dieses Treffens herzlich für ihre liebenswürdige Einladung danke und für das Vertrauen, das sie zum Ausdruck brachten, indem sie mich baten, über dieses Thema großer Aktualität und Wichtigkeit zu sprechen.
Ich möchte meine Ausführungen folgendermaßen gliedern:
1. Der aktuelle Kontext der Mission
2. Christus der Auferstandene – Subjekt unserer Mission
3. Die Persönlichkeit des Missionars
4. Das Arbeitsfeld unserer Mission
1. Der aktuelle Kontext der Mission
Wir leben in einem Europa, das oft „nach-christlich“ genannt wird. Zum einen wegen des Phänomens der Säkularisierung, das sich vor allem als religiöser Indifferentismus zeigt und nicht als Opposition gegen den Glauben; zum anderen wegen des Entstehens von „neuen Spiritualitäten“, vor allem fernöstlichen Ursprungs.
An der Schwelle des dritten Jahrtausends erlebt das Christentum ohne Zweifel die größte Krise in seiner Geschichte. Vielfältige Faktoren haben zu dieser Krise geführt: der Materialismus und der Individualismus einer industriellen Gesellschaft auf dem Weg zu Globalisierung. Der Verlust des Sündenbewußtseins, die „liberale Moral“, die vom Liberalismus bis zur Permissivität geht, usw. Die Spaltung der Christen ist auch nicht wenig verantwortlich für diese allgemeine Krise.
Unsere Welt verarmt geistigerweise in dem Maße, in dem sich Technik und Wissenschaft entwickeln. Das Wirtschaftssystem unserer planetisierten Zivilisation basiert, das weiss man, auf dem Egoismus. Er inspiriert das außerordentliche Instrument der Image-Werbung.
Gefangen vom Image verliert der moderne Mensch, wenn er von den lebendigen Erfahrungsgründen des Lebens in Christus beraubt ist, nicht nur den Sinn für das Gute und Böse, sondern auch den Sinn für die Sünde, d.h. das Bewußtsein der Verantwortung für Gott. Das universal triumphierende Böse, die Versklavung an die Illusionen der umgebenden Kultur, der Nihilismus können in der Seele das Bewußtsein zerstören für das, was Gott gefällt. Die Permissivität der Gesellschaft und gewisser christlicher Gemeinschaften, die vom Geist der Welt beeinflußt sind, entmutigt den geistlichen Kampf.
Trotzdem bemerken wir oft bei unseren Brüdern und Schwestern denen wir begegnen, das „Bedürfnis nach Religion“, besonders, wenn sie sich in Schwierigkeiten befinden. Wahrscheinlich ist es so, dass vor allem in der Prüfung der Mensch Gott sucht und die Erfahrung der göttlichen Liebe für ihn macht. Denn Gott befreit und tröstet all die, die ihr Vertrauen in ihn setzen. „Keiner von denen, die dem Herrn vertrauen, wird enttäuscht“ (Ps 25,3) sagt der Psalmist.
Wir begegnen oft auch den „Samen der Auferstehung“, vielleicht mehr bei den Jungen, als bei den älteren Personen. Ich glaube, man kann sogar von einer „geistlichen Renaissance“ unter den heutigen Jugendlichen sprechen, egal, ob sie orthodox, katholisch oder protestantisch sind.
In meinen zahlreichen Begegnungen mit Jugendlichen in Rumänien und auch in Frankreich, in Italien oder in Deutschland, konnte ich eine bemerkenswerte geistliche Qualität dieser Jugendlichen, die oft nur eine ganz geringe religiöse Erziehung haben, feststellen und lernte sie mit Bewunderung schätzen.
Hier ein Beispiel von vielen: am 8. September 1995, am Fest der Geburt der Muttergottes, habe ich an einer großen internationalen Begegnung von einigen 1000 Jugendlichen im Stadion von Ancona (Italien) teilgenommen. Ich habe über das eheliche Leben gesprochen dessen Ziel die Liebe ist und als Frucht der Liebe die Geburt von Kindern. Die Jugendlichen haben gern mein Wort aufgenommen und es öfters durch Applaus unterbrochen. Aber sie haben mir besonders applaudiert, als ich die Abweichungen vom ehelichen Leben verurteilte: die egoistische Suche des Vergnügens, die Ehescheidung, die Abtreibung…ich war sehr beeindruckt von dieser spontanen Zustimmung der Jugendlichen bei einem so delikaten Thema.
Ich habe auch das Interesse der Jugendlichen für das Gebet festgestellt. In Rumänien, möchte ich sagen, geht das von selbst. Aber auch im Westen.
Noch ein Beispiel: im Oktober 1995 mußte ich in Florenz (Italien) über „Das hesychastische Gebet – Quelle des Friedens“ im Rahmen einer internationalen Treffen, organisiert durch die Komunität von S. Egidio von Rom, sprechen. Am selben Tag und zur selben Stunde waren verschiedene Persönlichkeiten für verschiedene Themen vorgesehen: wie Lech Walesa, damals Präsident von Polen, Cori Aquino, Ex- Präsidentin der Philippinen und noch 4 oder 5 Redner. Die mehrere Hundert Personen, die an dem Treffen teilnahmen, konnten das Thema wählen, das sie am meisten interessierte. Ich sagte mir: niemand wird kommen, um mich über das Gebet sprechen zu hören. Doch war der große Saal (mehr als 300 Plätze), der uns aufnahm, überfüllt vor allem von jungen Leuten. Jugendliche, die vom Gebet begeistert sind, und die nicht aufhören wollten, mich über die praktischen Modalitäten des heysichastischen Gebetes, d.h. des Gebetes, das man mit „Verstand im Herzen“ verrichtet, auszufragen,. Die Jugendlichen interessierten sich also mehr für das Gebet, als für die Politik! Und das ist sehr ermutigend.
Icn denke z.B. auch an die Kinder in Rumänien, die Religionsunterricht in der Schule erhalten und oft Lehrer ihrer Eltern werden, die von Religion nichts wissen.
Ich frage mich, wer treibt diese jungen Menschen ein authentisches Leben in Christus zu suchen? Sicherlich der Heilige Geist, der immer am Wirken ist und der in die reinen Herzen die Forderungen des Lebens nach dem Evangelium eingibt
Aber man darf nicht die Versuchungen der Welt ignorieren. Wenn das Wirken des Geistes nicht immer gestützt und ermutigt wird durch persönliches Engagement im Glauben, kann es sich leicht verlieren. Der Heilige Geist zieht sich (unendlicher Respekt vor der Person) bei dem geringsten Widerstand delikat zurück, ob es sich um Missachtung des geistlichen Lebens handelt oder um irgendeine Sünde. Darum muss jeder Christ geistlich geführt und begleitet werden. Es handelt sich um die „geistliche Vaterschaft“, die im frühen Christentum so geschätzt wurde und in der orthodoxen Kirche bis heute geschätzt wird.
Der moderne Mensch hat Gott, seinen Vater getötet, oder wenigstens vergessen. Darum fühlt er sich allein und desorientiert. In seinem Unglück braucht er die Liebe des Vaters, den er getötet hat. Der Missionar ist gerade der, der die Liebe des Vaters zu allen Menschen offenbart. Das heißt, nur durch die Liebe kann die Welt Gott (wieder) finden, der „so sehr die Welt geliebt hat, dass er seinen einzigen Sohn hingegeben hat, damit jeder, der an ihn glaubt nicht verloren geht, sondern das ewige Leben habe“ (Joh 3,16)
2. Christus der Auferstandene – Subjekt unserer Mission
An Christus glauben heißt an die Liebe des Vaters zu seiner Schöpfung glauben, deren Krone der Mensch ist. Eine „verrückte Liebe“, die alles Verstehen übersteigt, und sich gegen alles menschliche Überlegen stellt, das nicht durch den Glauben verwandelt ist. Denn die Liebe schenkt sich ohne Bedingungen, ohne jede Berechnung, bis zur Hingabe des Lebens (vgl. Mt 10,39). An Christus glauben heißt zu dieser Liebe, die stärker ist als der Tod, (Röm 8,38) Ja zu sagen; heißt Ja zu sagen zum Leben, Ja sagen zum Triumph des Guten über alles Böse, das die Welt kreuzigt. „Es ist das Feuer (der Liebe), das auf die Erde zu bringen ich gekommen bin und wie möchte ich nicht, dass es brennt!“, sagt Christus (Lk 9,49).
Warum ist es uns ein Bedürfnis zu lieben und geliebt zu werden? Weil „Gott die Liebe ist“ und weil der Mensch, geschaffen „nach seinem Bild und Gleichnis“ auch Liebe ist. Im Tiefsten unseres Selbst sind wir Liebe. Aber was ist wirkliche Liebe? Wir müssen diese Frage stellen, wie oft das, was wir für Liebe halten nur ein Gegenbild der Liebe ist. Nach dem Fall Adams hört der Mensch nicht auf, die Liebe zu verfälschen oder zu verletzen. Alle Sünde, welche sie auch immer sei, in Wort, in Tat und selbst in Gedanken ist letztlich eine der Liebe zugefügte Verwundung.
Der Mensch hätte niemals die wahre Liebe erkannt, wenn Gott nicht seine Liebe in Jesus Christus unserem Herren, geoffenbart hätte. Die Fleischwerdung des Sohnes Gottes und sein Tod am Holz der Kreuzes sind der äußerste Ausdruck der göttlichen Liebe zur Menschheit. „Niemand hat eine größere Liebe als der, der sein Leben hingibt für seine Freunde“ (Joh 15,13) gerade darin liegt das Fundament und die Norm der brüderlichen Liebe. „Das ist mein Gebot, liebet einander wie ich euch geliebt habe.“ (Joh 15,12) sagt Christus.
Doch ist der Tod Christi nicht der Tod eines einfachen Menschen. Ein Tod, der also die Folge der Sünde wäre.(Gen 2,17) oder „der Sold der Sünde“ (Röm 6,23), wie der hl. Paulus sagt. Nein. Denn Christus ist nicht bloß Mensch, er ist auch Gott. Und in soweit er vollkommener Mensch ist, ist Christus ohne Sünde. Deshalb hätte er nicht sterben müssen. Wenn er es auf sich genommen hat, zu sterben, dann war es, um den Tod in seinem innersten Prinzip zu vernichten, das die Trennung von Gott ist. „Christus ist auferstanden von den Toten. Durch den Tod hat er den Tod besiegt und denen, die in den Gräbern sind, hat er das Leben gebracht,“ singt die orthodoxe Kirche zu Ostern.
Nach der Auferstehung des Herrn gibt es keinen Tod mehr als Trennung von Gott für diejenigen, die an Christus glauben. Der biologische Tod wandelt sich in Pascha, d.h. er ist Übergang und Schwelle zum ewigen Leben. Der Tod Christi ist ein heilbringender Tod für jeden Menschen und die Menschheit insgesamt. Denn Christus als Mensch, ohne Sünde, war kein Individuum getrennt von den anderen, wie es jeder Mensch ist, der der Sünde unterworfen ist, sondern der universale Mensch, der totale Adam, der in sich die ganze Menschheit, den ganzen Kosmos umfasst.
Hier müssen wir gut unterscheiden zwischen Person und Individuum. Die menschliche Person, geschaffen nach „dem Bild und Gleichnis“ der göttlichen Personen ist ein Wesen der Beziehung (der Comunio) für das die anderen ontologisch Teil der eigenen Identität sind. Dagegen ist das Individuum ein isoliertes Wesen, in sich selbst geschlossen, dessen Aufgabe die egoistische Suche nach individuellem Wohlergehen ist, zum Schaden der anderen. „Das Individuum ist die Person auf der tiefsten Stufe der Existenz“, sagt der Theologe Vladimir Lossky. Um Person zu werden muss man den Egoismus besiegen und die Liebe erwerben. Die Person ist nur Liebe und nichts anderes!
Die Auferstehung Christi ist also die radikale Antwort auf das fundamentale Problem des Menschen, nämlich das des Todes. Jeder Mensch fürchtet den Tod, denn er ist nicht natürlich; jeder Mensch möchte ewig leben, denn er ist geschaffen für das Leben und nicht für den Tod. Und das ist nur in Christus möglich.
Darum hat die apostolische Predigt die Person Christi zum Zentrum, sein Wort und seine Heilstaten, die ihren Höhepunkt in seinem Tod und in seiner Auferstehung haben. Die Apostel sind Zeugen Christi, besonders Zeugen seiner Auferstehung, der für die Menschheit unerschöpflichen Quelle des ewigen Lebens, das die Liebesgemeinschaft ist mit dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist. Die Apostel sprechen nur von dem, was sie gesehen, gehört und berührt haben: vom Wort des Lebens. D.h. sie sprechen von einer sehr konkreten Erfahrung, die sie in Beziehung gebracht hat mit dem Vater durch seinen Sohn Jesus Christus im Heiligen Geist (vgl. 1 Joh 1,1-3) und das Ziel ihrer Predigt ist gerade diese trinitarische Beziehung der Liebe, die alles was in sie durch den Glauben eintritt ewig lebendig macht.
Auch heute wird wie in den Zeiten der Apostel die Auferstehung den Menschen verkündet, die sie ablehnen oder aufnehmen können im Glauben. „Einige schlossen sich Paulus an und wurden gläubig“ sagt die Apostelgeschichte. So baut sich die Kirche auf. Einige schlossen sich den Aposteln und ihren Nachfolgern an und wurden gläubig. Die Theologie entwickelt sich aus diesem Glaubensakt heraus. Die menschliche Intelligenz, erleuchtet durch den Glauben, verlängert all die Zusammenhänge, die sich aus der Tatsache der Auferstehung ergeben, hinein in die persönliche Existenz und für den ganzen Kosmos.
Es ist also der Primat des Glaubens an das Wort der Kirche, der in einer ganz neuen Weise die Auferstehung zum Strahlen bringt. Jeder von uns ist vor dem Auferstandenen so, wie es Martha, Maria, Lazarus und so viele andere waren. „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Glaubst du?“ fragt Christus täglich jeden Menschen. Diese Faktum übersteigt unsere persönliche Kultur und alle unsere menschlichen Fähigkeiten. Und über alle menschliche Situation, über alle Freude, über alles Leid, über alle Niederlagen, über alle Hölle inspiriert uns der Heilige Geist, das wir als Heilmittel, als Hilfe und Trost die Botschaft setzen: „Christus ist auferstanden!“ Es soll aber niemand sagen, dass es zu leicht ist, oder eine Art Missachtung der menschlichen Voraussetzungen.
Tatsächlich liegt die Wahrheit darin, dass die Auferstehung stärker ist als die Hölle, dass die Liebe stärker ist als der Hass, und dass der Glaube Wunder vollbringt. Der Mangel an Glaube ist es, der das Christentum alt werden lässt. Aber dort, wo der Mensch Gott und seinen Jüngern auf ihr Wort hin glaubt, dort, wo der Mensch glaubt, dass alles, was das Evangelium erzählt möglich und wahr ist, dort ist die ewige Jugend der Kirche.
3. Die Persönlichkeit des Missionars
der Missionar, d.h. prinzipiell jeder Christ, ist vor allem ein Mensch des Glaubens. Ein Mensch des Glauben ist nicht einfach ein Mensch, der Glauben hat, oder der an Gott glaubt, auf intellektuelle Weise. Ein Mensch des Glaubens ist der Mensch, der Gott kennt, ausgehend von einer persönlichen, vertiefen Erfahrung des Glaubens. Wir müssen mit dem heiligen Siluan (gestorben 1938) anerkennen: „Glauben an Gott ist eine Sache und ihn durch den heiligen Geist erkennen ist eine andere.“ Anerkennen oder verstandesmäßig bekennen, dass Gott existiert ist eine leichte Sache. Dies vollzieht die Mehrheit der Menschen heute wie schon immer. Aber außergewöhnlich klein an Zahl sind die, die, berührt von der Gnade, ihren Glauben als persönliche Begegnung mit Christus leben und die sich von ihm umgestalten lassen. Mit Schmerz müssen wir feststellen, dass selbst im Leben unserer Kirchen „engagierte“ Christen – darin eingeschlossen die Priester – , wenig sind, die eine vertiefte Glaubenserfahrung haben. Die Mehrzahl ist mit der äußeren Erfüllung der „Pflichten“ des Glaubens oder ihres Dienstes zufrieden. Selbst das Gebet verliert sich häufig im Foralismus oder reduziert sich auf den Intellekt ohne das Herz einzubeziehen. Wir sind noch in vielen Dingen „Sklaven des Gesetzes“ , weil wir noch „Sklaven der Sünde“ sind. Was uns hindert den Herrn durch seinen Heiligen Geist zu erkennen.
Nach dem heiligen Serafim von Sarov (gestorben 1833) ist die Aufgabe des christlichen Lebens der Erwerb des Heiligen Geistes. Sicherlich empfängt jeder Christ den Heiligen Geist im Sakrament der Taufe und der Salbung (Firmung), das – nach dem orthodoxen Ritual -ein persönliches Pfingsten ist und auch ein „Siegel des Heiligen Geistes“ ist.
Doch man empfängt den Heiligen Geist nicht ein für alle mal. Das christliche Leben ist „Freiheit im Heiligen Geist“. Wenn nämlich unsere Freiheit nicht in Übereinstimmung ist mit der Freiheit des Hl. Geistes, dann zieht er sich aus Respekt vor der Person zurück, auch wenn sein „Siegel“ in uns eine unauslöschliche Realität bleibt. Darum beten wir immer: „Komm Hl. Geist und nimm deine Wohnung ins uns“ und wir bemühen uns die Freiheit des Hl. Geistes zu erwerben. So wird der Hl Geist durch das Gebet und durch das persönliche Bemühen um Reinigung von der Sünde durch Heiligung erworben. (vgl. 1 Thess 4,3) Der hl Paulus ermahnt uns: „ihr habt noch nicht bis aufs Blut widerstanden in eurem Kampf gegen die Sünde“ (Hebr. 12,4). Ein asketisches Wort sagt: „Gib dein Leben, um den Hl Geist zu empfangen.“
Das Gebiet des geistlichen Kampfes ist das Herz. Nach der Bibel und der asketischer Tradition der Kirche, ist das Herz der Zentralpunkt der Person, „die Wurzel aller aktiven Fähigkeiten des Verstandes und des Willens, der Ort, aus dem das ganze geistliche Leben entspringt und zu dem es zurückkehrt (Vladimir Lossky).“ es ist bedeutsam, dass in der Septuaginta (dem griechischen AT) das Wort „Intelligenz“ (dianoia) oft die Übersetzung eines hebräischen Wortes (lev) ist, das ‚Herz‘ bedeutet. (Gen 8,21; Ex 35,26). Man geht also vom Hebräischen aufs Griechische über, indem man Herz und Intelligenz identifiziert. Die Bibel kennt nicht eine Intelligenz im Kopf; die Intelligenz ist im Herzen und nirgends anderswo!
Die Sünde zerstört die Einheit der menschlichen Natur, deren Zentrum das Herz ist. Sie trennt den Verstand vom Herzen und verstreut ihn in eine ihr äußerliche Welt, während die ihr eigene innere Welt ihr mehr und mehr fremd wird. So verliert der Mensch die innere Einheit: er ist in sich gespalten, wird vielfältig: „Mein Name ist Legion“, antwortet der Besessene von Gerasa.
Das Heilmittel gegen diesen unnatürlichen und konfliktbeladenen Zustand – vergessen wir nicht, dass die Sünde gegen die Natur ist und eine dauernde Quelle von inneren Konflikten, wie auch von Konflikten mit der umgebenden Welt – ist die Wiederherstellung des inneren Gleichgewichts oder des „inneren Menschen“ durch „Rückkehr“ des Verstandes in das Herz.
Das ganze christliche Leben ist in der Tat eine „Reise zum Ort des Herzens“, eine dauernde Rückkehr zum „Haus“ (zum Herzen), eine dauernde Verinnerlichung, die uns zu den Quellen der Gnade zurückbringt. Ein noch so breites Wissen, eingeschlossen das religiöse Wissen, taugt nichts, wenn es nicht das Herz pflegt, wenn es nicht der Verinnerlichung dient. „Das Wissen bläht auf, die Liebe aber baut auf“ (Röm 8,1). Im biblischen Sinn ist das Wissen immer Einheit und Liebe.
Die Vereinigung des Verstandes (intelligence) mit dem Herzen verwirklicht sich vor allem durch die Bemühung um das „reine Gebet“, unterstützt von der Askese, in der Atmosphäre der Kirche. Mit „reinem Gebet“ bezeichnen unsere Väter im Glauben das Gebet, das „mit dem Intellekt (intelligence) im Herzen“ geschieht. Das reine Gebet lässt den Verstand „absteigen“ zu seinem Ursprungsort und so wird der Mensch wieder eins und mit sich versöhnt. Eine Wärme zieht dann ins Herz ein und breitet sich in der Brust und im ganzen Körper aus. Es ist die Gnade, die sich bemerkbar macht, denn das „Erdreich“ des Herzen beginnt aufzutauen. Und „sein Herz fühlen, heißt Gott fühlen“, sagt der heilige Isaak der Syrer
Die Wärme des Herzens ist begleitet von der Liebe zu den Menschen, den Tieren, den Pflanzen und zur ganzen Schöpfung. Das geheilte, geeinte und befriedete Herz findet so seine ursprüngliche Qualität als Zentrum der Schöpfung oder des „Mikrokosmos“ wieder. Es fasst in sich, wie Christus, die Menschheit und den Kosmos zusammen. Das ist der „universale Mensch“, der „totale Adam“, der nicht mehr von irgend jemand und von irgend etwas getrennt ist: alles lebt in ihm, denn er ist nichts als Liebe! Liebe, die sich als Mitleid zu den Menschen und zur ganzen Schöpfung offenbart, selbst zu den Dämonen, wie der heilige Isaak der Syrer sagt.
Der Missionar ist ein solcher Mensch des Glaubens und der Liebe. Er identifiziert sich total mit Christus; er hat das Denken Christi, die Gefühle Christi, die Liebe Christi. „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20). Das Wort eines solchen Missionars wird ein Wort mit Autorität sein (vgl. Mt 7,28), denn es ist erfüllt von Liebe und von Mitleid zu den Menschen. „Als er die Menge sah, da wurde Jesus von Mitleid gerührt, denn sie waren zerstreut wie Schafe, die keinen Hirten haben“ (Mt 9,36). Und „er verkündete überall die Frohe Botschaft vom Reich und heilte alle Krankheit und Schwächen beim Volk“ (Mt 4,23)
4. Das Arbeitsfeld unserer Mission
Das Arbeitsfeld unserer christlichen Mission ist die Welt, für die wir Verantwortung haben vor Gott und die im Grunde als Schöpfung Gottes gut ist, auch wenn sie sich als Hölle offenbaren kann wegen der Sünde und des Bösen, die in ihr herrschen. Der Missionar steigt in diese Hölle der Welt ab, um dem konkreten Meschen zu begegnen, dort wo er sich findet: im Haus, bei der Arbeit, auf der Straße; unseren Bruder mit seinen Freuden und seinen Problemen, mit seinen Sünden, deren er sich vielleicht gar nicht bewusst ist und seinen Leiden, deren Sinn er nicht erkennen kann. Und er bringt dorthin das Licht Christi, das Licht der Auferstehung das alles verändern und verklären kann, wenn es im Glauben und in der Hoffnnung aufgenommen wird.
Für unser altes christliches Europa heisst Mission heute Re-Evangelisierung, Bekehrung zu Christus und Rückkehr zu den christlichen Quellen, damit es seine christliche Seele wiederfinde. „Europa eine Seele geben“ und einen Sinn des Lebens, rufen heute selbst die Politiker, die sich bewusst sind, dass eine vereintes Europa sich nicht nur auf Wirtschaft und Geld aufbauen kann.
Sicherlich, die Evangelisierung und die Bekehrung zu Christus sind ein fortwährender Prozess, der das ganze Leben dauert und vor allem die Getauften betrifft, von denen die Mehrzahl heute nur nominelle Christen sind. Es geht also um eine interne Mission unter den Gemeinschaften und Kirchen. Sie richtet sich sowohl an diejenigen, die häufig an den Gottesdiensten teilnehmen, um sie „zu stärken und zu ermutigen in ihrem Glauben“ (1 Thess 3,2-3), als auch an diejenigen, die keinerlei Glaubenspraxis zeigen. Oft weigern sich die Leute, die Kirche zu besuchen, weil sie dort keine einladende und warme Atmosphäre finden. Sie gehen dann lieber zu den Sekten, wo sie sich angenommen und geliebt fühlen. Der Mangel an wirklich brüderlichen Gemeinschaften ist es also, was viele Getaufte von der Kirche fernhält. Da hat unsere Mission ein wichtiges Feld.
Andere sind unzufrieden mit der Art, wie man in der Kirche betet. Für die einen sind die Gottesdienste zu lang und zu kompliziert – das gilt vor allem bei den orthodoxen Gottesdiensten der Fall – für die anderen sind sie zu intellektuell und sie kommen nicht aus dem Herzen. Auch da müssen wir handeln: nicht indem wir die Gottesdienste dem Geschmack eines jeden angleichen, sondern indem wir immer mehr die Qualität unseres liturgischen Gebets verbessern, damit jeder in der Kirche die Erfahrung einer persönlichen Begegnung mit Christus auf der Ebene des Herzens machen kann. Viele skandalisieren sich auch am schlechten Beispiel, das praktizierende Christen den nicht Praktizierenden geben. Oft unterschieden sie sich in nichts von den anderen. Man kann sich dann fragen: wozu dient der Glaube, warum geht ihr in die Kirche? Die missionarische Arbeit muß auf das Zeugnis der Christen als eines „neuen Menschen“ insistieren: auferweckt in Christus, das heißt, Sieger über die Sünde und das Böse, erfüllt von Freude und Liebe; ein von Grund auf guter Mensch, der fähig ist, auch seinen Feinden zu verzeihen und sie zu lieben; ein Mensch, der Mut macht, zu leben und für den Sieg des Guten zu kämpfen.
Aber sicherlich ist der größte Skandal für die heutige Welt die Uneinheit der Christen und die internen Kämpfe, um viele Proselyten zu machen. Die Welt kann das mit Recht nicht verstehen: warum die Spaltung und warum die Konkurrenz unter den Konfessionen? Warum soll man nicht die konfessionelle Identität eines jeden respektieren, wenn man schon eine hat, und warum soll man nicht lieber einander helfen, zu leben und in die eigene Kirche tiefer hineinzuwachsen? Der Proselytismus ist sicherlich das größte Gegenzeugnis gegen die Liebe Christi, der die Freiheit eines jeden unendlich respektiert und keinen Druck ausübt, damit man glaubt oder ihm nachfolgt. Nur eine uneigennützige Liebe, ohne irgendein Interesse, auch nicht das Interesse Christi, ermöglicht es uns, unsere Brüder für Christus zu gewinnen.
Als in der Mission engagierte Christen, müssen wir uns dauernd vor der Versuchung hüten, den Glauben zu instrumentalisieren, ihn in eine Doktrin oder Ideologie zu verwandeln und uns wegen der Dogmen zu streiten … Sicherlich braucht die Kirche Dogmen, um sich vor der Häresie zu schützen. Aber man muss auch wissen, dass die alte Kirche sich weigerte, die Dogmen zu vermehren, in dem Bewusstsein, dass jede Definition auch eine Einschränkung des Mysteriums ist und dass eine Definition verschieden interpretiert werden kann, und so Möglichkeiten des Streites liefert. Darum wurden die Dogmen sofort in Form von Hymnen in den Kult eingeführt, um so Lobpreis zu werden und nicht Streitobjekte. Nach dem hl. Gregor von Nyssa „können die Dogmen selbst zu Idolen werden“, wenn man sie auf intellektuelle Formeln reduziert und man sie benützt, um andere zu verwirren. „Jedem Wort kann ein anderes Wort widersprechen. Aber welches Wort kann dem Leben widersprechen?“ fragt sich auch der heilige Gregorius Palamas (14. Jahrhundert).
Wir müssen heute eine Theologie korrigieren, die ihre lebendigen Quellen vergessen hat: die Liturgie, das mystische Gebet, den geistlichen Kampf … und die uns an eine rein intellektuelle Ausübung des Glaubens gewöhnt hat, mit Ausdrücken und Systemen, die das Leben konzeptualisieren wollen und auf einen Rationalismus reduzieren. Diese scholastische Theologie, die noch in unseren Schulen präsent ist, ist zu großem Teil schuld an unseren Spaltungen und an der geistlichen Krise der modernen Welt.
Der heutige Mensch, der gesättigt ist von Informationen und abstrakten Kenntnissen, braucht ein lebendiges und liebendes Wort, das sein Herz berühren kann. Er braucht Beispiele, die wirklich die Liebe Gottes in ihrem Leben verkörpern sowie auch brüderliche Gemeinschaften, die ihn stützen können in seinem geistlichen Suchen. Die fähig sind, alle Spaltungen zu übersteigen, um wirklich Sauerteig der Einheit der Welt zu werden. Wie wichtig wäre in diesem Sinn eine gemeinsame Mission der Christen der verschiedenen Konfessionen in einer jeden unserer Kirchen, um Schritt für Schritt das Mißtrauen oder gar den Hass abzubauen, der sich im Lauf der Jahrhunderte aufgebaut hat.
Amersfort, den 27. Oktober 1999
Metropolit Serafim