Fastenbrief der orthodoxen Bischöfe Deutschlands 2015

Liebe orthodoxe Christen in Deutschland !

»Die Liebe soll unsere Speise sein, lasst uns durch Enthaltsamkeit, ihr Gläubigen, die Leidenschaften besiegen. Lasst eifrig uns streben, nach Gottes Gefallen zu leben, der sich aus Liebe zu uns am Kreuz erhöhen ließ.

Am Baum (des Paradieses) haben wir einst den Tod gefunden, nun aber finden wir wieder das Leben durch den Baum des Kreuzes. Lasst uns abtöten die Triebe der Leidenschaft, Gläubige, lasst uns beten zum Wohltäter aller, lasst uns erstrahlen in heiligen Werken und leuchten durch Tugenden, lasst uns den Retter unserer Seelen preisen und so die heilige Auferstehung schauen.“ (Stichera des Joseph am Dienstag abend der 5. Fastenwoche)

Die heilige Auferstehung schauen – das ist das Ziel auch unserer diesjährigen Großen und Heiligen Fastenzeit, an deren Beginn wir, die orthodoxen Bischöfe Deutschlands, die orthodoxen Geistlichen und Laien unseres Landes in Liebe grüßen. 

Am Beginn unseres Fastenbriefs steht dieser Hymnus unserer Kirche, denn in wenigen Worten bringt er all das zum Ausdruck, was wir für unseren geistlichen Weg zur Großen Woche und zum Osterfest benötigen. Es ist zunächst die Rede vom Abtöten der Leidenschaften, d.h. vom Beseitigen all jener Dinge, die uns in unserem Alltag von Christus trennen oder gar entfernen. Gemeint sind damit unsere diversen Abhängigkeiten, die uns immer wieder zu Sklaven machen und unsere Freiheit in Christus vergessen lassen. Leidenschaften sind also jene negativen Eigenschaften, die wir durch die leuchtenden Tugenden ersetzen müssen. Das ist ja der Sinn gerade auch des leiblichen Fastens, das wir erneut die Tugend der Enthaltsamkeit und des Verzichts einüben können. Dieser Hymnus ruft uns auf, in heiligen Werken zu erstrahlen, d.h. Licht in diese Welt zu tragen, in dem wir nicht nur auf Schlechtes verzichten, sondern eben Gutes tun. Doch gute Taten reichen nicht. Sie müssen begleitet sein vom „Gebet zum Wohltäter aller“. Dies aber setzt voraus, dass wir unseren Herrn und Gott als unseren Wohltäter und Retter erkennen. Dann können wir zu Ihm beten und Ihn preisen.

Auch das Fasten selbst hat man als eine Art des Gebets bezeichnet, als „Gebet des ganzen Körpers“. Denn unsere Fastenzeit ist ja keine „Frühlingsdiät“ oder eine Einübung in Körperbeherrschung. In den Vätersprüchen lesen wir, dass ein Mönch einen Altvater fragt, wozu man eigentlich faste. Der Altvater antwortet: „Fasten lässt unsere Seele demütig werden.“ In der Tat besteht ein enger Zusammenhang zwischen unserem körperlichen Verhalten und unserer seelischen Einstellung. Denn das Fasten bedeutet Armwerden. Es ist jene Art der Armut, mit der wir den Geist der Umkehr zu Gott pflegen, welche diese Zeit vor Ostern prägt. Sie hilft es uns, zu jenen Armen zu gehören, die der Herr seligpreist: Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.“ (Mt 5,3)

Und noch etwas gehört nach orthodoxer Auffassung zu dieser Zeit der Vorbereitung auf Ostern. Unser Hymnus bezeichnet es als die „heiligen Werke“, die Kirchenväter nennen es Barmherzigkeit. Man könnte es so erklären: es geht in der Fastenzeit nicht nur darum, die Beziehung zu unserem Herrn und Erlöser Jesus Christus von allen störenden Faktoren zu bereinigen,  sondern auch die Beziehung zu unseren Mitmenschen zu korrigieren. Die Barmherzigkeit, die von uns gefordert wird, betrifft  zunächst die materielle Hilfe unserer Geschwister, die in Not sind. Beispiele, wo unsere Hilfe gefragt ist, kennt ein jeder von uns. Barmherzigkeit bedeutet aber noch viel mehr: Sie bedeutet eine andere Einstellung zu unseren Mitmenschen. Es bedeutet sie anzuhören, ihnen Aufmerksamkeit zu schenken, sie als lebendige Bilder der Güte Gottes in unserem Leben zu erkennen. Als orthodoxe Christen wissen wir, mit den Bildern, nämlich den Ikonen, umzugehen. Nur dann ist unsere Fastenzeit „willkommen und Zeit der Umkehr“ (Apostichon des Vespergottesdienstes des Montags in der ersten Fastenwoche), wenn unser Umgang mit den anderen Menschen von diesem Respekt und dieser Heiligkeit durchdrungen ist. Wenn wir für jene beten „die uns hassen und die uns lieben, und die uns Unwürdigen aufgetragen haben, für sie zu beten“.  Welchen Sinn sollte es sonst haben, dass wir zu Beginn der großen und heiligen Fastenzeit gegenseitig um Vergebung bitten?

So sind es also vor allem diese drei Aufgaben, die wir auf unserem Weg der 40 Tage zur Großen Woche hin aufbekommen haben: das  Fasten, das Gebet und die Barmherzigkeit indem soeben geschilderten Sinn. Wir ermutigen euch alle, liebe orthodoxe Christen in Deutschland, diese Aufgaben nach Kräften zu erfüllen „und so die heilige Auferstehung schauen.“

 

† Metropolit Augoustinos von Deutschland, Exarch von Zentraleuropa

Vorsitzender

und die übrigen Mitglieder

der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland

Sonntag der Orthodoxie 2015