III. Die neue Auswanderung nach dem 2. Weltkrieg

Das Ende des letzten Weltkriegs überraschte im Westen Europas eine großen Zahl von Rumänen. Es waren Diplomaten, Studenten, Armeeangehörige, Arbeiter und Lehrlinge, die sich nicht mehr in die von der sowjetischen Armee besetzten Heimat trauten. Im Laufe der Jahre kamen zahlreiche Rumänen hinzu, die vor der Machtergreifung der Kommunisten flüchteten, oder durch Heirat in den Westen kamen. Die rumänische Diaspora nahm von Tag zu Tag einen betont politischen Charakter an. Unter der Mehrheit der Rumänen, die sich im Westteil Europas nach dem Krieg niederließ, waren auch Geistliche und sogar ein rumänisch-orthodoxer Hierarch.
Visarion Puiu[1], der ehemalige Metropolit des Buchenwaldes (1935-1940) und Metropolit von Transnistrien (1942-1944) mit Sitz in Odessa. Er wurde beim Einmarsch der Russen in Rumänien, außerhalb der Heimat überrascht. Als Gesandter des Patriarchen Nikodim nahm er am 15. August 1944 in Zagreb an der Weihe eines kroatisch-orthodoxen Bischofs (ein kurzlebiger und trügerischer Versuch während des 2. Weltkriegs) teil. Weil die Front nach Westen vorrückte, flüchtete Metropolit Visarion für eine Weile nach Wien. In der ehemaligen Hauptstadt der Habsburger versuchte er das kirchliche Leben der Rumänen zu organisieren, worüber er Patriarch Nikodim auch benachrichtigte. Als Konsequenz einiger Intrigen, die ihre Wurzeln in den damaligen rumänischen politischen Kreisen der Donau-Metropole hatten, musste Metropolit Visarion Wien verlassen. Sein Domizil wurde nach Kitzbühl in Tirol verlegt, wo ihm das Verlassen der Ortschaft wie auch jeder Briefwechsel verboten wurde. Es gelang ihm später nach Italien und dann in die Schweiz auszuwandern. 1949 kam Metropolit Visarion, auf Wunsch der Rumänen aus Paris, in die Seine-Metropole und setzte die Organisierung des christlichen Lebens der Rumänen, in einem Bistum für Westeuropa, fort.
Weil Visarion Puiu 1942-1944 Metropolit der Rumänen in den besetzten Gebieten, jenseits des Dnjestr (Transnistrien) war, wurde er nach der Machtübernahme der Kommunisten in Rumänien am 20. Februar 1946 vom Gerichtshof des Volkes zum Tode verurteilt. Die Kirche sah sich gezwungen, dem Beispiel des Staates zu folgen. Vier Jahre später wurde dem Metropoliten Visarion am 28. Februar 1950 „wegen subversiven Handelns gegen den rumänischen Staat“ von der Hl. Synode – kraft des 84. Apostolischen Kanons und des 18. Kanons des IV. ökumenischen Konzils – die Bischofswürde aberkannt. Nach der Rumänischen Revolution von 1989 hat die Synode der Rumänischen Orthodoxen Kirche am 25. September 1990 den Metropoliten Visarion posthum rehabilitiert. Die Verurteilung von 1950 wurde zum politischen Willkürakt erklärt. Aufschlussreich wäre eine Monographie über das Leben von Visarion Puiu, die uns wichtige Details über seine Tätigkeit in Westeuropa enthüllen könnte.
Der Metropolit Visarion hatte konkrete Pläne für die Organisation aller orthodoxen Rumänen fern der Heimat. Er wollte alle Rumänen in einer Metropolie mit einer autonomen Synode organisieren. Diese Pläne hat er teilweise auch dem Patriarchen Nikodim mitgeteilt. Sie konnten aber wegen der politisch rivalisierenden Gruppen von Rumänen und auf Grund des Missverständnisses anderer orthodoxer Kirchen nicht verwirklicht werden[2].
Visarion Puiu war das einzige Mitglied der Synode der Rumänischen Orthodoxen Kirche im Ausland und kraft seiner Bischofsweihe fühlte er sich für das Schicksal der rumänisch-orthodoxen Priester und Gläubigen, die außerhalb der sowjetischen Zone lebten, verantwortlich. Er verglich seinen Zustand mit der in den Kanonen dargestellten Lage:“ als Zeit der christlichen Verfolgung und Flucht vor den Barbaren“[3]. Er sah sehr schnell ein, dass die Hl. Synode der Rumänischen Orthodoxen Kirche Gefangene einer besonderen politischen Lage war. Mit dieser Überzeugung, wie auch dank der Tatsache, dass er kein ordentlicher Metropolit mehr war, versuchte Visarion, „in der Erwartung der Befreiung des rumänischen Volks und der Rumänischen Orthodoxen Kirche von der Besatzung und der Unterdrückung der Gottlosen“[4], das christliche Leben der Rumänen in Westeuropa, als deren geistlicher Leiter er sich betrachtete, zu organisieren. Den Grundstein legte er in seiner Wiener Zeit (Ende 1944-Anfang 1945). Aus einem Brief an den Patriarchen Nikodim (20. Mai 1946) erfahren wir, dass der Versuch der Organisierung eines rumänischen Bistums die Genehmigung der damaligen deutschen Behörden erhielt. Wir haben schon daran erinnert, dass aufgrund der politischen Intrigen einiger rumänischer Kreise Visarion Wien verlassen musste und auf diese Weise die normale Entwicklung eines rumänischen Bistums verhindert wurde.
Wichtig bleibt aber die Tatsache, dass Visarion die Wiener Zeit als Anfang seines Bistums in Westeuropa ansah. Auf seinem Siegel ist zu lesen: „Die Diözese der Rumänen im Ausland 1945“ und im erwähnten Grammata wird das Jahr 1954 als das zehnte Jahr „unseres Hirtendienstes“ gerechnet. Wenn wir diese Tatsachen in Betracht ziehen, dann ist die Tätigkeit des Metropoliten Visarion in Paris eine Fortsetzung seiner Anfänge in Wien.
In Wirklichkeit gelang es dem Metropoliten Visarion 1949 die Einrichtung eines Bistums für die Rumänen aus Westeuropa mit Sitz in Paris zu errichten. Zu dieser Diözese gehörten auch die rumänisch-orthodoxe Gemeinden in Deutschland, Schweden, der Schweiz, Belgien, England und Kanada an[5].
Weil die rumänische Kultusstätte in Paris vom rumänischen Staat gekauft wurde, versuchte die kommunistische Regierung aus Bukarest wiederholt die Kontrolle über die Kirche zu erlangen, wobei sogar Gerichtsverfahren stattfanden. Dem früher staatlich kontrollierten rumänischen Patriarchat waren manche Handlungen, die sich gegen die Gemeinde der französischen Hauptstadt richteten, nicht ganz fremd. Der wiederholte Umstand von versuchten Kirchenbesetzungen belastete die Beziehungen zwischen der Gemeinde in Paris und der Mutterkirche in Rumänien.
Die Kirche in Paris wurde zum Symbol eines hartnäckigen und tapferen Widerstands gegen die Tendenz einiger Funktionäre aus der rumänischen Botschaft, sich in das geistliche Leben der Rumänen einzumischen. Das friedliche Leben der Gemeinde war oft von kirchlich fremden Einflüssen gestört und führte manchmal zu Entscheidungen und Handlungen, die nicht immer kirchlich-kanonisch zu rechtfertigen waren[6]. Übrigens nicht nur in Paris, sondern auch an anderen Orten wurde das geistliche Leben der rumänischen Gemeinden im Ausland von „nichtkirchlichen“ Meinungen beeinflusst, die manchmal zu nichtkanonischen Entscheidungen führten. Auf diese Weise entstanden Stellungnahmen, die mit der kirchlichen Tradition und den kirchlichen Rechtsvorschriften nicht in Einklang zu bringen waren.
Als Weihbischof für die rumänische Diözese in Paris wurde Archimandrit Teofil Ionescu gewählt. Die Bischofsweihe fand am 26. Dezember 1954 in der St. Nikolaus Kirche in Versailles statt. Konsekratoren waren Metropolit Visarion, Erzbischof Johannes von Bruxelles und Bischof Nathanael von Kartagena und Tunesien. Die letzten zwei gehörten der russischen Synode im Ausland an[7]. Am 3. Januar 1955 erhielt Weihbischof Teofil die Vollmacht, die rumänisch-orthodoxen Gemeinden aus Deutschland und Österreich zu besuchen und sie kanonisch zu organisieren. Er wurde auch unter der Jurisdiktion über die rumänischen orthodoxen Gemeinden in den USA und Kanada anvertraut[8].
Visarion Puiu fiel einigen Intrigen zum Opfer und wurde 1958 gezwungen, sich aus dem aktiven kirchlichen Leben zurückzuziehen. Er ist am 10. August 1964 in Viels-Maisons bei Chateau-Theirry (Aisne) gestorben.
Sein Nachfolger wurde Weihbischof Teofil Ionescu, der sich um das geistliche Leben der Rumänen kümmerte. Er weihte Priester, unternahm Pastoralbesuche und beteiligte sich an ökumenischen Begegnungen. Trotz der Bemühungen ist es ihm nicht gelungen, die rumänische Diaspora geistlich zu vereinigen. Sie blieb weiter verschiedenen Jurisdiktionen unterstellt (dem Ökumenischen Patriarchat, der Rumänischen Orthodoxen Kirche oder der russischen Synode im Ausland).



[1]Für die Tätigkeit des Metropoliten Visarion nach dem 2. Weltkrieg siehe Jean-Paul Besse, L’Église orthodoxe roumaine de Paris, Paris 1994; G. Vasilescu, Das rumänisch-orthodoxe Bistum für Zentraleuropa (rumänisch), Ms. S.1-4.

[2]G. Vasilescu, a. a. O., S-2-4

[3]Grammata bei der Bischofsweihe des Bischofs Teofil Ionescu 1954. Das Archiv derrumänischenPatriarchie.

[4] A. a .O

[5] J.-P. Besse, a. a. O., S.159

[6]A. a. O. , S. 112-114.

[7]Grammata…

[8]Das Archiv des rumänischen Patriarchats