Ökumenische Ikonographie in der Kathedrale von Nürnberg

Von Jürgen Henkel (Bukarest/Hermannstadt)

Seit 1993 gibt es auf Beschluß der Heiligen Synode eine eigene Metropolie der Rumänischen Orthodoxen Kirche für Deutschland und Zentraleuropa mit Sitz in Bayern. Deren Jurisdiktionsgebiet erstreckte sich zunächst auf Deutschland, Österreich, Luxemburg, Dänemark, Schweden und Norwegen. Nachdem auch noch Finnland hinzu kam, lautet der Name der Metropolie nun „Rumänische Orthodoxe Metropolie für Deutschland, Zentral- und Nordeuropa“. Die Metropolie kam auf ausdrücklichen Wunsch der Gläubigen in Deutschland zustande, meist Exilrumänen aus der Zeit vor 1989. Sie baten in einem Brief nach der Wende um die Gründung eines eigenen Bistums. Rein kirchenrechtlich hatten die mit Bukarest in Kircheneinheit stehenden Gläubigen vorher zum Erzbistum von Paris gehört. Nachdem aber zum Beispiel in München, Nürnberg oder Düsseldorf sehr viele Rumänen leben, kam der Wunsch nach eigenen kirchlichen Strukturen in Deutschland auf. Einige rumänische orthodoxe Christen hatten sich aus Protest gegen den zu regimefreundlichen Kurs ihrer Kirche zu kommunistischen Zeiten zudem der Griechischen Orthodoxen Kirche angeschlossen.

1994 entsandte das Patriarchat den Weihbischof der Metropolie von Siebenbürgen, des Kreischgebietes und der Marmarosch, Dr. Serafim Joanta, als Metropoliten nach Deutschland. Er trägt offiziell den Titel Erzbischof von Berlin und Metropolit für Deutschland, Zentral- und Nordeuropa. Seine Hauptaufgabe ist der Gemeindeaufbau. Bei seinem Amtsantritt fand der Metropolit in Deutschland nur neun Gemeinden vor. Heute sind es rund 40. In den anderen Ländern ist ein ähnlicher geistlicher Aufbruch festzustellen. Das liegt auch in der charismatischen Art des Hierarchen begründet, der ein Anhänger der Gebetsbewegung des Hesychasmus und ein begnadeter Prediger ist. Insgesamt zählt die Metropolie heute 52 rumänische orthodoxe Gemeinden.

Anfangs hatte die junge Metropolie ihren Sitz am katholischen Ostkirchlichen Institut des Bistums Regensburg. 1999 kaufte die Metropolie von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern die Epiphanias-Kirche und das dazugehörige Anwesen in Nürnberg, die nach einem Neubau nicht mehr genutzt wurden. Im Jahr 2000 wurden die Kirche zur Kathedrale und das Anwesen zum Sitz der Metropolie umgebaut. Anschließend begannen die Bemalungen mit Fresken im byzantinischen Stil. Insgesamt kosteten der Kauf, der Umbau und die Bemalung der Kirche und des Gebäudekomplexes rund zwei Millionen Euro. Im vergangenen Jahr hatte die Metropolie schließlich doppelten Grund zu feiern: Patriarch Teoctist und Metropolit Serafim konnten mit zahlreichen anderen Metropoliten, Erzbischöfen und Hierarchen im Mai 2006 die Kathedrale einweihen. Und das Bayerische Kultusministerium hatte kurz vorher im April der Metropolie die Rechte einer Körperschaft des Öffentlichen Rechts verliehen. Damit gilt die Kirche als staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft und steht rechtlich und protokollarisch auf gleicher Augenhöhe etwa mit der katholischen Kirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Im Zuge des Umbaus wurde die Kirche verlängert und baulich aufgestockt. Die Seitenemporen wurden entfernt und eine Kuppel neu errichtet. Dem orthodoxen Kirchenbau entsprechende Gestaltungsmerkmale besonders im Blick auf die Raumaufteilung wurden eingezogen, um die Kreuzform byzantinischer Kirchen zu erhalten. Die Kirche hat nun tatsächlich den Charakter einer orthodoxen Kirche. Dazu kommen die Innenbemalungen im Stile der orthodoxen Ikonographie. Als Ikonenmaler verpflichtete der Metropolit den berühmten rumänischen Künstler Professor Grigore Popescu aus Bukarest. Er lehrt an der Orthodoxen Fakultät in Bukarest Kunstgeschichte und ist der Leiter der Kommission der orthodoxen Kirchenmaler des Patriarchats der Rumänischen Orthodoxen Kirche. Die 2006 fertiggestellte Ikonenbemalung gleicht nun im Grunde den orthodoxen Vorgaben. Gleichzeitig aber hat die neue Kathedrale eine Reihe von Besonderheiten. Ein aufmerksamer Blick auf manches Detail lohnt und verspricht ungewöhnliche Einblicke.

So findet sich ein Register mit großen Fresken, das verschiedene Wunder aus den Evangelien zeigt. Jesus Christus tritt hier als der Messias der Tat in Erscheinung, der dem ganzen Menschen das Heil bringen will und sich nicht nur an die gläubige Seele richtet. Ein ganzheitlicher Ansatz, den die orthodoxe Spiritualität und Theologie immer vertreten hat. Die dargestellten Wunder sind die Hochzeit zu Kana, die Auferweckung des Jünglings zu Nain, die Heilung eines Blinden, die Heilung der blutflüssigen Frau, die Auferweckung der Tochter des Jairus, die Heilung des von Geburt an Blinden, die Auferweckung des Lazarus, die Heilung der Aussätzigen, das Wandeln auf dem See und die wundersame Brotvermehrung. Die Symbolik der hier ausgewählten Wunder Christi erschließt sich dem Betrachter als eine Art Symbiose des Wirkens des irdischen Christus: er bringt Licht, Brot und Leben, er ist Herr über die Elemente und die Krankheiten, die er heilt, und er gibt den Menschen Freude in Fülle. Christus erscheint hier als der Heiland, der den Menschen das Leben schenkt oder neu ermöglicht. Das letzte Fresko dieses Registers zeigt jedoch den Undank der Menschen: die Verhaftung und die Kreuzigung. Die Menschen verwerfen gerade den, der das Heil bringt und Leben schenkt.

Traditionell ist die Darstellung des Himmels und der Himmlischen Liturgie in der Kuppel. Dort tauchen als Gruppen die Patriarchen und die Propheten des Alten Testaments, die Apostel, Jünger und Märtyrer sowie die Hierarchen, Mönche und Heiligen der Kirche auf. Ein eher katholisches Motiv stellt die Darstellung der Gottesmutter mit ausgebreitetem Schutzmantel dar. Man denke an das katholische Lied „Maria breit den Mantel aus“.

An der Nordseite der Kathedrale sehen wir einen „ökumenischen Lebensbaum“, der nun wirklich die manchmal engen Grenzen der orthodoxen Ikonographie sprengt. Da begegnen sich Orthodoxie, fränkisches Lokalkolorit und die europäische Ökumene. Hier sind die Kathedralen von Nôtre Dame in Paris und Ravenna ebenso zu sehen wie die Hagia Sophia in Konstantinopel und ein Klosterbild vom heiligen Berg Athos. Daneben typische rumänische orthodoxe Kirchen aus Siebenbürgen, der Moldau und der Walachei. Aus der Verkündigung des Evangeliums sind die verschiedenen Kirchen erwachsen. Sie alle haben Christus zur Wurzel. Deutlich wird dies auch daran, dass hier noch Missionare und bedeutende Heilige verschiedener Völker abgebildet sind. Dazu zählen der heilige Apostel und Märtyrer Andreas, der in der Dobrudscha (Scytia Minor) auf dem Gebiet des heutigen Rumänien missioniert hat, aber auch Gregor der Erleuchter als Missionar der Armenier (4. Jh.), Benedikt von Nursia und Franz von Assisi, der deutsche Missionar Bonifatius (8. Jh.) und der russische Großfürst Vladimir (10. Jh.). Die Abbildung des heiligen Sebaldus als Schutzpatron von Nürnberg und ein mittelalterliches Stadtbild von Nürnberg verorten die neue rumänische orthodoxe Kathedrale in ihrer Stadt und Region. Das alles will dem Betrachter zeigen, dass das Wort Christi die ganze Welt erreicht hat. Das soll auch die Ökumene symbolisieren. Die Verbundenheit mit der Kirche zu allen Zeiten als den zeitübergreifenden Aspekt zeigen die Bilder von europäischen Heiligen und Hierarchen aus der Neuzeit. So sind Märtyrer und Heilige unter anderem aus Russland, Bulgarien, Polen Serbien und Böhmen zu sehen, etwa Patriarch Tihon von Russland († 1925), Metropolit Nikolai Velimirovic († 1956) oder Bischof Goran Pavlick († 1942), ein Opfer des Naziregimes.

An der Westseite finden sich ebenfalls ungewöhnliche Bilderkombinationen, die die Verbundenheit der rumänischen Orthodoxie mit den anderen Kirchen zum Ausdruck bringen wollen. So gibt es eine Darstellung der „Bekenner des 20. Jahrhunderts“. Hier sind europäische Märtyrer aus verschiedenen Kirchen zu sehen. Dazu zählen unter anderem die evangelischen Pfarrer Dietrich Bonhoeffer († 1945) und Paul Schneider († 1939), die Katholiken Pater Maximilian Kolbe († 1941), Schwester Edith Stein († 1942) und Franz Jägerstetter († 1943). Daneben sind natürlich viele rumänische orthodoxe Märtyrer der kommunistischen Zeit oder Opfer des Kommunismus abgebildet. Dazu zählen Theologen und Laienchristen, die in kommunistischen Lagern ums Leben kamen wie Valeriu Gafencu († 1952), Galaction Munteanu und Ilarion Felea (beide † 1961) oder der Einsiedlermönch Daniel Sandu Tudor († 1962). Aber auch Priester, die viele Jahre in kommunistischer Haft verbrachten, sind hier im Bild festgehalten. So Zosim Oancea († 2005), der 16 Jahre in Haft war, und Dimitrie Bejan († 1995), der 28 Jahre im kommunistischen Kerker litt. Bejan wurde 1941 noch als Militärpriester im Feld von der Roten Armee verhaftet. Anschließend litt er sieben Jahre in sowjetischer Haft, bevor er nach Rumänien überstellt wurde und dort weiter in Haft blieb. In den letzten Jahren bis 1989 stand er in Bukarest unter Hausarrest. Zeitgenossen wie Metropolit Serafim, die ihn noch persönlich erlebt haben, berichten von seiner Güte und einem strahlenden Gesicht wie bei Stephanus dem Märtyrer. Als ihn die Revolutionäre 1989 befreiten, wollten sie seine Wächter lynchen. Jene suchten Schutz bei dem Mann, den sie jahrelang an der Freiheit gehindert und drangsaliert hatten, und kamen mit dem Leben davon. Auch Bischöfe, die sich offen gegen den Kommunismus und die Diktatur wandten, sind zu sehen. Dazu zählt Bischof Nicolae Popovici († 1960). Er hat sich 1948 der Abschaffung des Religionsunterrichts widersetzt und wurde deswegen abgesetzt und in einem Kloster unter Hausarrest gestellt. Oder Metropolit Visarion Puiu († 1964). Er war Metropolit von Kischinew und protestierte in einem Brief an den Diktator Stalin gegen die gewaltsame Auflösung der rumänischen Metropolie von Bessarabien durch die Sowjets nach der Eroberung Bessarabiens durch die Rote Armee und die zwangsweise Eingliederung in die UdSSR als „Sowjetische Sowjetrepublik Moldawien“. Dafür wurde er wegen Widerstands gegen das kommunistische System zum Tode verurteilt, konnte aber nach Paris fliehen. Auch standhafte Laienchristen, die sich dem Kommunismus entschieden widersetzten und dafür langjährige politische Haft oder sogar den Tod in Kauf nahmen, sind hier zu sehen. Dazu zählen der Bauer Silvestru Bolfea aus dem Kreis Alba Iulia, den die Kommunisten 1949 ermordeten, und Elisabeta Rizea († 2003), die viele Jahre in Haft litt. Stellvertretend für das Leid aller Pfarrfrauen, deren Männer oft über Jahrzehnte im kommunistischen Kerker verbringen mussten, ist Maria Staniloae zu sehen († 1993), die Ehegattin des bedeutendsten rumänischen Theologen des 20. Jahrhunderts, Dumitru Staniloae († 1993).

All die hier abgebildeten Christen sind über die Kirchen- und Landesgrenzen hinweg als „Bekenner Christi“ leuchtende Beispiele des Glaubens und der Bereitschaft zum Märtyrium, wahre Heilige des 20. Jahrhunderts. Metropolit Serafim spricht in diesem Zusammenhang von der „Ökumene der Märtyrer und des Leidens für Christen“, die angesichts der Diktaturen des 20. Jahrhunderts besonderes Gewicht für das Zusammenleben der Christen besitze. Das Leiden und Sterben dieser Märtyrer für Christus eint über die Lehrunterschiede und das unterschiedliche Amts- und Kirchenverständnis hinaus die Christen im 20. Jahrhundert. Diese Bildkomposition in Nürnberg führt uns das sinnbildlich vor Augen.

Eine weitere Bildkomposition mit besonders zeitgenössischem Bezug stellt schließlich die Komposition „Die großen geistlichen Väter“ dar, die ebenfalls an der Westseite, neben der Bekenner-Darstellung, zu sehen ist. Dieses Fresko würdigt die besonders charismatischen geistlichen Väter der Rumänischen Orthodoxen Kirche im 20. Jahrhundert. Das sind große Prediger und Mönchsväter, die auch besonders als Seelsorger im Kommunismus wirkmächtig waren und die Kirche auch mit ihrer Verkündigung und ihren Gebeten durch diese Zeit hindurchgetragen haben. Dazu zählen Ilie Cleopa vom Kloster Sihastria († 1998). Er hat rund zehn Jahre im Untergrund gelebt und zählte vor und nach 1989 zu den Mönchsvätern mit größter geistlicher Ausstrahlung in die rumänische Theologie wie in die Laienkreise und Gemeinden hinein. Dieser Einfluß ist nicht immer unproblematisch, finden sich doch im Schrifttum von Mönchsvätern wie Cleopa auch ausgesprochen radikale antieuropäische, antiökumenische und antiwestliche Haltungen wieder. Diese sind allerdings auch eine Reaktion auf manche Säkularisierungserscheinungen in den westlichen Gesellschaften und Kirchen und den neuen katholischen Imperialismus nach 1989 im Osten. Doch die Rolle solcher Mönchsväter als moralische Autoritäten der Gesellschaft schon zu Zeiten des Kommunismus steht außer Zweifel, zumal etliche auch viele in kommunistischer Hat litten. Hierzu zählen auch die Mönchsväter Arsenie Boca († 1989, auf dessen Grab im Kloster Prislop auch im kältesten Winter Blumen blühen), der Exorzist Hilarion Argatu und Archimandrit Sofian Boghiu aus Bukarest (beide † 2003), aber auch Priester wie Constantin Galeriu († 2003) und der große rumänische Theologe Dumitru Staniloae (1903-1993), der ebenfalls mehrere Jahre in Haft litt (1958-1963). Diese und die anderen abgebildeten Charismatiker zeigen, dass die Rumänische Orthodoxe Kirche bis heute bewusst in der Tradition der Väter der Alten Kirche steht.

Die Kathedrale der Rumänischen Orthodoxen Metropolie für Deutschland, Zentral- und Nordeuropa führt dem Betrachter also nicht nur die traditionelle ostkirchliche Ikonographie vor Augen. Sondern sie ergänzt diese klassische Darstellungen um Fresken mit ganz eigener theologischer Aussage (das Register mit den Wundern) sowie zeitgeschichtliche und ökumenische Bezüge und Referenzen. Es ist zu wünschen, dass die hier sichtbar demonstrierte Offenheit im Blick auf die Vergangenheitsbewältigung und die Ökumene auch in anderen Kontexten spürbar wird. Für die Kultur der Ökumene und die gemeinsame Spiritualität der Christen ist diese Kathedrale jedenfalls ein Meilenstein.

Zum Autor: Dr. Jürgen Henkel ist Pfarrer der Evang.-Luth. Kirche in Bayern und Publizist. Er wurde von seiner Kirche als Akademieleiter der Evangelischen Akademie Siebenbürgen (EAS) nach Rumänien entsandt und betreut zusätzlich sieben Kirchengemeinden (Seiden/Kleine Kokel) im Kirchenbezirk Mühlbach.