Pastoralbrief zum Weihnachten, 2019

Die christliche Erziehung

  „Deine Geburt, Christus, unser Gott, ließ erstrahlen der Welt das Licht der Erkenntnis.” (Tropar zur Geburt des Herrn)

Serafim
Rumänischer Orthodoxer Erzbischof von Deutschland, Österreich und Luxemburg und Metropolit von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa

 Hochwürdige Väter und geliebte Gläubige,

Wir erfreuen uns heute gemeinsam mit allen Christen auf der ganzen Welt am Hochfest der Geburt des Herrn, auf das wir uns 40 Tage lang mit Gebet und Fasten vorbereitet haben. Wir werden heute für unser Bemühen beim Fasten durch die gnadenvolle und warme Atmosphäre in unseren Kirchen belohnt, die von den Gesängen der heiligen Gottesdienste und unseren traditionellen Weihnachtsliedern erzeugt wird, die uns Bethlehem und das Christkind ins Herz bringen: „Heute ist Christus geboren/der Messias voll des Lichts/Jauchzet, frohlocket und freuet euch!” – „Himmel und Erde sind voll des Lobpreises/Engel und Menschen singen gemeinsam!” Wie sollten wir da nicht – wenigstens für ein paar wenige Stunden – die Sorgen und Nöte unseres Lebens vergessen, damit die Freude über die Geburt des Herrn unsere Herzen überwältigen möge.

So sollten wir uns freilich über jeden Feiertag freuen, denn alle Feiertage sind ein Anlass zu geistlichen Freuden, die unsere Seelen nähren und unsere Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit überwinden. Wenn wir voller Glauben und Frömmigkeit an den Gottesdiensten der Göttlichen Liturgie teilnehmen, die das Jahr über an den Sonn- und Feiertagen gefeiert wird, dann werden wir spüren, wie unsere Seele aufatmtet und heiter wird, wie unser Verstand klar wird, indem wir immer stärker positiv statt negativ denken, und dass die Bürde der Sorgen und Nöte unseres Lebens für uns leichter wird, weil wir diese nicht mehr als Strafe Gottes empfangen, sondern als Anlass zur Rückkehr zu Ihm wahrnehmen. Die Apostel und die Heiligen waren froh in Not und Leid, denn „Bedrängnis bringt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung” (Römer 5, 3-4) Tatsächlich stärken uns im Glauben angenommene Leidenserfahrungen auf unserem Lebensweg im geistlichen Kampf  und machen uns zu gestärkten Menschen voller Mut.

Wir wissen, dass unmittelbar nach der Geburt des Herrn in Bethlehem die Jungfrau Maria gemeinsam mit dem Christuskind und dem seligen Josef nach Ägypten fliehen mussten aus Angst vor König Herodes, der den Neugeborenen töten wollte. Wobei das ganze irdische Leben des Erlösers von einer Vielzahl von Prüfungen und Leidenserfahrungen geprägt war bis hin zu Seinem Leiden am Kreuz. Doch in allen Prüfungen Seines Lebens bewahrte der Erlöser immer Sanftmut und Güte, Er ertrug Sein Leiden in Geduld ohne zu murren und war gehorsam bis zum Tode am Kreuz. Und so hat Er – gestärkt durch das Gebet (vgl. Lukas 5, 16) – alles Böse überwunden, selbst den Tod. Auf diese Weise wurde der Erlöser für uns Menschen zum Vorbild im Ertragen von Leid. Und „als einer, der selbst gelitten hat und versucht worden ist, kann Er helfen denen, die versucht werden” (Hebr. 2, 18). Aber die Hilfe in Versuchungen und Leid kommt uns nur von Christus zu, wenn wir einen unerschütterlichen Glauben haben, viel beten und dem Beispiel Seines Lebens folgen. Daher ermutigt uns der Herr auch mit den Worten: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.” (Johannes 16, 33) Und Er gibt uns den Rat: „Nehmt auf euch Mein Joch und lernt von Mir; denn Ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.” (Matthäus 11, 29)     

Geliebte Gläubige,

Tertullian, ein christlicher Philosoph und Schriftsteller aus dem 3. Jahrhundert hat gesagt, dass „die Seele des Menschen seiner Natur nach christlich ist”. In unseren Tagen sagte Vater Rafail Noica, der Sohn des großen Philosophen Constantin Noica, dass „die Orthodoxie die Natur des Menschen” sei. Dies bedeutet, dass in unserer Seele eine Sehnsucht nach dem Göttlichen existiert, die uns dazu bringt, zur Gemeinschaft mit Gott zu streben, für die wir erschaffen wurden. Nur in der vollen Gemeinschaft der Liebe mit Gott und mit unseren Nächsten verwirklichen wir uns als Personen, die nach dem Bild und Abbild des menschgewordenen Gottes geschaffen sind und auch berufen sind, Ihm in Liebe, im Vergeben und in der Güte gleich zu werden. Und nur wenn wir uns bemühen, „gut zu sein wie Gott”, wie es im Volksmund heißt, werden wir unseren Seelenfrieden und die Freude finden, nach denen wir alle streben.

„Du hast uns erschaffen auf Dich hin, und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in Dir”, sagte der selige Augustinus († 354) nach vielen Jahren der Verirrungen in Sünden und fern von Gott. Die Erfahrung der Verirrungen oder der Entfremdung von Gott machen wir vor allem in der Lebensphase der Jugend, wenn die großen Feinde des Menschen – der Teufel, der Leib und die Welt – uns in Versuchung führen und auf Abwege zu bringen versuchen, die viel Leid bringen. Und so kommen die Menschen vom rechten Weg ab, sie suchen ihr Glück in materiellen Dingen, im Essen und Trinken und in den leiblichen Gelüsten, dabei ist das doch alles „vergänglicher als ein Schatten und täuschender als alle Träume”.

Der Mensch gerät auf solche Abwege und verliert sich in der Sünde in dem Moment, in dem er seine Verbindung zur Kirche aufgibt und nicht mehr betet, ist doch das Gebet der stärkste Halt in allen Lebenslagen und hilft uns, diese zu bewältigen. Das Gebet bewahrt uns davor, in die Sünde zu fallen, und es hilft uns, von ihr wieder loszukommen. Das Gebet erleuchtet unseren Geist, damit wir die Geheimnisse des Lebens besser erkennen. Das unablässige Gebet verleiht uns Geduld und Trost in unseren Nöten und Sorgen und hilft uns, diese zu überwinden. Wer nicht betet, kennt Gott nicht und spürt Seine Gegenwart und Seine Hilfe nicht. Wer nicht betet, der ist seelisch tot! „Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot.” (Apokalpyse 3, 1) Um das Gebet recht verrichten zu können, müssen wir natürlich die „Schule des Gebets” durchlaufen, d. h. wir müssen schon von klein auf lernen zu beten, also in der Familie, gemeinsam mit den Eltern und Großeltern, wie auch in der Kirche mit anderen, die unseren Glauben teilen. Gleichzeitig müssen wir unseren Glauben, den wir bekennen, wirklich gut kennen, damit wir nicht in Aberglauben verfallen oder Praktiken anwenden, die unserem Glauben fremd sind.

Geliebte Gläubige,

Aus Sorge um die religiöse Erziehung der Gläubigen der Kirche, die sich immer inspirieren lässt vom Gebet, hat die Heilige Synode unserer Kirche beschlossen, dass das Jahr 2020 der Pastoral an Eltern und Kindern gewidmet sein wird. So sind alle Bischöfe der Kirche, alle Priester, Diakone und Gläubigen, die im Leben der Pfarrgemeinden eingebunden sind, aufgerufen, einen besonderen Akzent auf die christliche Erziehung der Familien zu legen, also auf ihre Formung im Geiste des Glaubens. Die Erziehung ist die Grundlage der Bildung des Menschen in jedem Bereich. Jeder Mensch bereitet sich durch eine Ausbildung auf sein Handwerk oder seinen Beruf vor, zu dem er neigt und womit er seinen Lebensunterhalt verdient. Die Bildung trägt außerdem auch zur Formung des moralischen Charakters bei, der den Menschen auszeichnet. Ein Mensch ohne einen moralischen Charakter wird sich niemals der Wertschätzung seiner Nächsten erfreuen, so intelligent er auch wäre. Und einen moralischen Charakter erlangen wir vor allem durch die religiöse Erziehung, die uns hilft, unseren Glauben und seine Geheimnisse zu vertiefen und Gott näher kennenzulernen.
Wenn wir uns darum bemühen, unseren Glauben immer besser kennenzulernen, dann werden wir ihn immer mehr lieben und uns immer stärker darum bemühen, uns mit seinen Anforderungen vertraut zu machen und mit unserem Leben diesen zu genügen. Dann werden wir zu tugendhaften, ehrlichen, fleißigen   Menschen, die Gott und ihre Mitmenschen lieben. Die Schönheit unseres Glaubens und seinen mystischen Schatz entdecken wir allmählich, wenn wir aufmerksam an den Gottesdiensten der Kirche teilnehmen, wenn wir uns einhüllen lassen vom Kirchengesang und dabei die Ikonen kontemplativ betrachten, wenn wir täglich einige Psalmen und Abschnitte aus der Heiligen Schrift lesen, wenn wir erbauliche geistliche Literatur lesen und auch an den katechetischen Programmen teilnehmen, die in den  Pfarreien organisiert und angeboten werden. Zu Hause wie auch unterwegs können wir außerdem auch die verschiedenen Radio- und Fernsehprogramme von Trinitas hören sowie die Programme aller anderen christlich-orthodoxen Radiosender, die es mittlerweile gibt und die überaus lehrreich sind.  

Geliebte Gläubige,

Wir danken dem Grundgütigen Gott für Sein Erbarmen, das Er über uns und die ganze Welt in diesem Jahr hat walten lassen. Und wir beten darum, dass Er uns auch im neuen Jahr und an allen Tagen unseres Lebens beistehen möge. Denn ohne Gottes Hilfe können wir nichts tun (vgl. Johannes 15, 5) Als Christen sind wir traurig über den Zustand der heutigen Welt, die in Unglauben versinkt, woraus alle Sünden und auch sozialen Ungerechtigkeiten hervorgehen: der Egoismus, die Jagd nach Reichtum, das Ausbeuten von Menschen durch Arbeit über ihre Kräfte hinaus, das erbarmlose Ausbeuten unserer Natur und ihrer Schätze und der Wälder, wodurch die schöne Schöpfung Gottes und unsere natürliche Umwelt als Lebensgrundlage gleichermaßen zerstört werden. Kriege wüten in vielen Ländern unserer Welt und bedrohen sogar Menschenleben auf unserem alten Kontinent. Gleichzeitig stellen wir schmerzlich fest, dass das Christentum heute die am meisten verfolgte Religion der Welt ist und die christlichen Werte des Evangeliums heute gerade in mehrheitlich christlich geprägten Ländern – mehr noch als in nicht-christlichen Ländern – geringgeschätzt werden! Angesichts dieser traurigen Wirklichkeit können wir nur zu Gott dem Herrn beten, dass Er Sich des Werks Seiner Hände erbarmen und alle Menschen zur Buße und zur Erkenntnis Seiner Wahrheit führen möge. Wir aber mögen uns darum bemühen, ein möglichst authentisches christliches Leben zu führen, um den Nicht-Christen ein gutes Beispiel zu geben.  
So lege ich Ihnen allen ans Herz, innerlich mit der Pfarrgemeinde stets verbunden zu sein, der Sie angehören, aktiv am Gemeindeleben teilzunehmen und Ihren Gemeindepriester und Geistlichen Vater in allen Aktionen zu unterstützen, die er organisiert. Vergesst darüber auch die Armen hier und in Rumänien nicht und lebt in Frieden untereinander und mit allen Menschen (vgl. Römer 12, 18).

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen in allen Tagen Eures Lebens!

Gesegnete Feiertage
und
ein Gnadenreiches Neues Jahr!

Euer Euch allezeit Gutes wünschender und zum in Bethlehem zu unserer Erlösung geborenen Jesuskind betender

Serafim

Erzbischof und Metropolit

(Übersetzung: Pfarrer Dr. Jürgen Henkel, Selb-Erkersreuth)