„Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie Du gesagt hast.“ (Lukas 1,38) (Erkersreuth – 8.22.2014)
S.E. Metropolit Serafim von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa, Nürnberg – Predigt zur Weihung der Ikone der Gottesgebärerin, Selb-Erkersreuth – 8. Dezember 2014
Zunächst möchte ich Pfarrer Dr. Jürgen Henkel für die Einladung nach Erkersreuth danken, um diese wunderschöne Ikone der Gottesmutter zu weihen, die von der evangelischen Kirchengemeinde der katholischen Pfarrei als Zeichen des Dankes für die Gastfreundschaft übergeben wird, dass die evangelische Kirche hier in der Zeit der Renovierung in der katholischen Kirche ihre Gottesdienste feiern durfte. Dies ist ein wunderbares Zeichen der gegenseitigen christlichen Unterstützung, die auch wir rumänische orthodoxe Christen täglich in der Mehrzahl unserer Pfarreien in Deutschland erfahren dürfen, die auch keine eigene Kirche zum Feiern der Gottesdienste haben. So sind auch wir fast überall Gäste der Katholischen Kirche oder der Evangelischen Kirche, denen wir nicht genug danken können.
Ich bin sehr gerne hierher nach Erkersreuth gekommen, in erster Linie wegen der Freundschaft, die mich seit über 20 Jahren mit Familie Henkel verbindet. Pfarrer Jürgen Henkel ist Berater unserer Metropolie – der Rumänischen Orthodoxen Metropolie von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa – in wirtschaftlichen Angelegenheiten und staatskirchenrechtlichen Fragen sowie offizieller Übersetzer der Metropolie. Ohne seine wesentliche Unterstützung hätte die Metropolie nie den höchsten möglichen rechtlichen Status als Körperschaft des Öffentlichen Rechts erlangen können und sich so rasch so gut entwickeln können.
Wir haben nun das Evangelium von Lukas gehört, das wir Orthodoxen besonders bei den Hochfesten lesen, die der Gottesmutter gewidmet sind. Und dies sind gar nicht wenige im Kirchenjahr, denn die Orthodoxe Kirche verehrt die Gottesmutter wie die Katholische Kirche auf besondere Weise. Heute haben wir im orthodoxen wie auch im katholischen Kirchenjahr das Marienfest der Empfängnis der Gottesmutter durch die heilige Anna.
Im reichen Schatz der orthodoxen Gesänge sagt der beliebteste Lobhymnus für die Gottesmutter:
„Die Du geehrter bist als die Cherubim und unvergleichlich herrlicher als die Seraphim, Die Du unversehrt Gott, das Wort, geboren hast, wahrhafte Gottesgebärerin, dich preisen wir hoch“.
Die Jungfrau Maria wird mehr verehrt als die ganze sichtbare und unsichtbare Schöpfung, weil sie auserwählt wurde, den Sohn Gottes das Leben zu schenken und zur „Gottesgebärerin“ zu werden – auf Griechisch „Theotokos“ – wie es die Konzilsväter der Dritten Ökumenischen Synode von 431 festgehalten haben. Mit dem Namen der „Gottesgebärerin“ greifen die Väter das Lukasevangelium auf (Kapitel 1,43), wo Elisabeth, die Mutter des heiligen Johannes des Täufers, Maria „die Mutter meines Herrn“ nennt.
Die Jungfrau Maria ist wahrhaftig die „Mutter des Herrn“ oder die „Gottesgebärerin“, denn nach der Verkündigung durch den Erzengel Gabriel „wird der Heilige Geist über Dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden“ (Lukas 1,35). Wenn Maria den Sohn Gottes geboren hat, der „wahrer Gott vom wahren Gott“ ist, wie wir es im Glaubensbekenntnis von Nizäa und Konstantinopel bekennen, dann ist sie die „Gottesmutter“ oder „Gottesgebärerin“.
Einige haben Scheu, Maria „Gottesmutter“ oder „Gottesgebärerin“ zu nennen, damit das nicht so verstanden wird, als hätte Gott vor Seiner Geburt als Mensch nicht existiert. Doch die Heilige Schrift und die Tradition der Kirche sind von Anfang an hier völlig klar: Gott, der Ewig-Existente wird Mensch, „als die Zeit erfüllt war“ (Galater 4,4), er wird also als Mensch von der Jungfrau Maria geboren. Die Person, die von der Jungfrau Maria geboren wird, ist die zweite Person der Heiligen Trinität, des Sohnes Gottes, der den menschlichen Leib aus dem Leib der Gottesmutter empfängt. So wird der Sohn Gottes auch zum Menschensohn, eine einzige Person mit zwei Naturen: der göttlichen und der menschlichen. Dies ist das grundlegende Geheimnis unseres Glaubens. Wir glauben an den Einen Gott, der aber nicht etwas abstraktes Absolutes darstellt, sondern eine Gemeinschaft von Personen: des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, die in Liebe vereint sind.
Wir glauben auch, dass Jesus Christus, der Erlöser der Welt, wahrer Gott und wahrer Mensch ist. Und wir Menschen sind aufgerufen, die von Christus in Seinem Tod und Seiner Auferstehung verwirklichte Erlösung anzunehmen. Und wir nehmen die Erlösung in dem Maße an, in dem wir auf Gott hören und auf Seine Entscheidung für uns wie die Mutter Gottes mit unserem „Fiat voluntas Tua“ antworten, also: „so geschehe es, Gott“, „Dein Wille geschehe“, nicht unser Wille!
Wie die Gottesmutter so sind wir alle durch die Taufe Auserwählte Gottes. Bei der Taufe hat Gott uns erwählt und angenommen und wir haben auf Seine Wahl geantwortet, indem wir dem Satan abgesagt und uns mit Christus vereint haben. Das Leben nach der Taufe ist eine kontinuierliche Erneuerung der Taufe. Dies in dem Sinne, dass wir als Menschen viele Schwächen haben und zur Sünde neigen und oft unsere bei der Taufe gemachten Versprechungen brechen und nicht nach den Geboten Gottes leben, sondern mehr den Willen dessen erfüllen, von dem wir uns losgesagt haben. Aber wir kehren immer wieder auch um, tun Buße und fangen mit Gott neu an. So gibt es in unserem ganzen Leben immer wieder Fall und Schuld, aber auch neue Umkehr und Hinwendung zu Gott, bis in uns die Kraft der Gnade siegt, die uns die Gewissheit der Erlösung schenkt.
In der Orthodoxen Kirche hat für die unablässige Bekehrung zu Christus das Sakrament der Einzelbeichte vor dem Priester und Seelsorger große Bedeutung, der nicht nur die Sündenvergebung in der von Christus empfangenen Vollmacht zuspricht (nach Johannes 20,22-23), sondern uns auch anleitet auf dem geistlichen Weg. Ich weiß, dass auch in der Katholischen Kirche die Beichte die gleiche wichtige Rolle spielt wie in der Orthodoxen Kirche. Und ich habe mich gefreut, als ich kürzlich von einigen lutherischen Brüdern im Bischofsamt vernommen habe, dass auch in der Evangelischen Kirche wieder stärker die Einzelbeichte empfohlen wird.
Auf unserem geistlichen Weg brauchen wir alle lebendige Beispiele, Menschen, denen es gelungen ist, die Sünde zu überwinden und in Liebe und Gehorsam zu Gott zu leben. Dies sind die Heiligen, die die Kirche uns als Lebensbeispiele empfiehlt. Die Kirche selbst ist die „Gemeinschaft der Heiligen“, also der Gläubigen, die zur Heiligung gerufen sind. Im Alten Testament sagt Gott zu den Menschen: „Seid heilig, wie ich, euer Gott, heilig bin!“ (Levitikus 19,2). Jesus Christus greift das in der Bergpredigt wieder auf (Matthäus 5,48).
Auch wenn alle Christen „ein auserwähltes Volk, ein heiliges Volk und eine königliche Priesterschaft“ sind nach 1. Petrus 2,9, so sind es trotzdem nur wenige, die dies auch durch ihr Leben bezeugen.
Für uns alle ist die Gottesmutter das höchste Modell des Gehorsams gegenüber Gott und der Demut. Dank ihres Gehorsams, dank ihres „Fiat voluntas tua“ – „Dein Wille geschehe!“ – ausgesprochen auf die Verkündigung des Erzengels Gabriel hin – konnte Gott Mensch werden, um das menschliche Geschlecht zu erlösen. Und wegen ihrer Demut konnte sie auserwählt werden, um das Instrument zu sein für Sein Kommen in die Welt. Sie selbst sagt: „Denn er hat die Niedrigkeit Seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich seligpreisen alle Kindeskinder“ (Lukas 1,48). Der Erzengel Gabriel war der erste, der sie „seliggepriesen“ hat, also die Jungfrau Maria mit dem Hymnus gepriesen hat: „Gegrüßet seist Du, Du Begnadete! Der Herr ist mit Dir! Gebenedeit bist Du unter den Frauen!“ (Lukas 1,28) Und wir, die Kindeskinder, die das Licht des Evangeliums empfangen haben, wiederholen täglich diesen Hymnus des Erzengels. Der Rosenkranz zu Ehren der Gottesmutter ist eine schöne katholische Tradition. Auch wir Orthodoxen haben eine Vielzahl an Hymnen und Gesängen, die der Gottesmutter gewidmet sind.
Aber wir verehren die Gottesmutter und die Heiligen nicht nur, sondern wir rufen sie auch zu Hilfe, wenn wir sie um ihre Fürbitte bei Gott für uns bitten. Wenn wir füreinander beten nach dem Beispiel der Apostel, die für jene beteten, die sie zu Christus bekehrten, diese aber auch um ihre Fürbitte baten, dann können auch wir zu den Heiligen beten. Das Gebet der einen für die anderen ist ein Ausdruck der Liebe, die uns alle in Christus vereint. In Christus sind wir alle lebendig, sowohl die in dieser Welt Lebenden, als auch die Entschlafenen, die in der anderen Welt leben. Gott ist ein Gott der Lebenden und nicht der Toten! Daher beten wir für die Lebenden und die Verstorbenen, und daher beten wir zu den Heiligen und die Heiligen beten für uns.
In der Orthodoxen Tradition geschieht die Verehrung der Heiligen auch durch die Verehrung der Ikonen. Wir glauben dass wir, wenn wir eine Ikone küssen, wir der abgebildeten Person noch näher sind und dadurch in eine geistliche Gemeinschaft mit der dargestellten Person eintreten. So wie eine Mutter aus Liebe das Foto eines Kindes küsst, das in weiter Ferne ist, so küssen auch wir die Ikonen unseren lieben Heiligen. Die Ikone ist kein Götzenbild, weil sie nicht angebetet wird, denn Anbetung gebührt nur Gott, sondern die Ikone wird nur verehrt.
Ich freue mich, dass wir nun diese Ikone der Gottesmutter nach der orthodoxen Tradition weihen und dass diese nun hier in der katholischen Marienkirche bleibt als Symbol für die Verbrüderung zwischen katholischen, evangelischen und orthodoxen Christen. Gott segne Sie alle! Amen.
(Übersetzung: Pfr. Dr. Jürgen Henkel, Selb)