Das Licht Christi verwandelt die Welt!

Wort des Metropoliten Serafim am 1. Januar 2008, erschienen im Südostpress

Liebe Schwestern und Brüder, es ist für mich eine Freude und Ehre zugleich, heute zum Neujahrstag des Jahres 2008 das Wort an die Christen hier in Nürnberg zu richten.

Nach unserer orthodoxen Lehre vom Bischofsamt ist jeder Bischof ein Bischof der universalen Kirche, auch wenn sein Jurisdiktionsgebiet sich auf ein begrenztes Territorium erstreckt. Damit möchte ich sagen, daß ich mich als Bischof der orthodoxen Rumänen in Deutschland, Zentral- und Nordeuropa vor Gott auch für alle anderen Christen, unabhängig der Konfession, verantwortlich fühle. Ich bete für alle und versuche, ihnen allen nach meinen Kräften zu dienen. Ich wurde gebeten, heute eine Andacht vorzutragen über das Licht Christi, das die Welt verwandelt, also darüber eine Predigt zu halten.

Wie wir wissen, spielt die Predigt in den Gottesdiensten aller christlichen Kirchen eine große Rolle. Sie soll die Zuhörer auf den lebendigen Gott weisen, der im Leben der Menschen stets gegenwärtig und wirksam ist. „Mein Vater wirkst bis auf diesen Tag, und ich wirke auch“, sagt unser Heiland (Johannes 5, 17). Das Wort des Predigers muß „voller Gnade und Wahrheit“ sein (Johannes 1,14), inspiriert vom Glaubensleben seiner Gemeinde und seinen persönlichen Gebets- und Gotteserfahrungen. So kann er die Herzen der Menschen erwärmen und für ein Leben in immer größerer Nähe zu Gott begeistern. Mit zunehmendem Alter beobachte ich sowohl bei mir als auch bei anderen Predigern, daß die Predigt leider immer mehr zu theoretischen Vorträgen und abstrakten Theologievorlesungen oder in einen vordergründigen Moralismus abdriftet und die Herzen der Menschen nicht mehr erreicht. So rauscht manche Predigt über die Köpfe der Zuhörer hinweg und mancher wird nach dem Gottesdienst sagen: „Der Pfarrer hat schön gesprochen, aber ich habe nicht viel verstanden.“ Ich hoffe, daß dies jetzt nicht der Fall sein wird.

Gerade deshalb braucht der Prediger die Hilfe Gottes zu einer „Predigt mit Vollmacht“ (Lukas 4, 32). Die Gläubigen wiederum müssen mit weit geöffnetem Herzen zuhören, um das Wort recht zu empfangen.

Liebe Schwestern und Brüder, 

Das Thema des Lichts, über das wir heute Abend sprechen, ist ein zentrales biblisches Thema, sowohl im Alten wie auch im Neuen Testament. Es ist ein so umfassendes Thema, das es im Rahmen einer Predigt gar nicht umfassend behandelt werden kann, sondern es kann nur ansatzweise skizziert werden.

Wir wissen alle, daß Gott am ersten Tag der Schöpfung das Licht geschaffen hat. „Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht!“ (Genesis 1,3) Hier ist nicht die Rede vom Licht, das von der Sonne kommt, denn die Sterne und Himmelskörper wurden erst am vierten Tag erschaffen, sondern vom Licht als positive Energie und Abglanz der Herrlichkeit Gottes, die am Anfang der ganzen geistigen und materiellen Schöpfung steht. Wissenschaftliche Forschungen belegen heute, daß nicht nur der Geist, sondern auch die Materie in ihrem innersten Kern aus Lichtenergie besteht. Licht ist ein Wesenszug, ein Attribut Gottes. „Gott ist das Licht“, sagt der heilige Apostel Johannes. Auch der Heiland sagt über sich: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Johannes 8, 12) Derselbe Apostel sagt: „Christus war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.“ (Johannes 1, 9) Und der Psalmist David sagt, daß das Gesetz Gottes und Sein Wort „meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege ist“ (vgl. Psalm 119).

Aus diesen biblischen Texten wie aus unzählig vielen anderen, die über das Licht sprechen, können wir verstehen, daß das Licht in der Heiligen Schrift auch geistlich und moralisch verstanden wird. Das Licht ist gleichbedeutend mit dem Guten, der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Tugend. Und der nach dem Bild Gottes geschaffene Mensch ist gerufen, alle diese Tugenden und Werte, die ihn Gott ähnlich machen, im eigenen Leben fortlaufend umzusetzen und zu leben.

Die Christen sind besonders berufen, das Licht der Welt zu sein, weil sie durch die Taufe von Christus her schon erleuchtet sind: „Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein.“ (Matthäus 5, 14) Der „neue Himmel“ und die „neue Erde“ (Apokalypse 21, 1), auf die die Schöpfung in ihrer Dynamik zur Vollendung hin zustrebt, bedeutet nichts anderes als die Verwandlung der Welt in Christus.

Wir befinden uns in der Weihnachtszeit und sind noch ganz geprägt von der Atmosphäre des Christfestes, des Festes der Geburt unseres Herrn. Heute, am achten Tag nach der Geburt, empfängt das Christuskind den Namen Joschua – also Jesus. Dieser Name bedeutet Erlöser und Retter, denn Er wird die Welt aus der Knechtschaft der Sünde und des Todes befreien, die die Knechtschaft der Finsternis bedeutet. Durch die Menschwerdung Gottes in der Person Seines Sohnes„hat das Volk, das in Finsternis saß, ein großes Licht gesehen; und denen, die saßen am Ort und im Schatten des Todes, ist ein  Licht aufgegangen“, wie es im Matthäus-Evangelium heißt(Matthäus 4, 16).

Das Licht, das Christus in die Welt gebracht hat, ist in erster Linie das Licht der Erkenntnis Gottes. Dieses Licht der Erkenntnis ist die Liebe, die ewige Gemeinschaft der Liebe zwischen Gott – Vater, Sohn und Heiligem Geist, der „Einen und Ungeteilten Dreifaltigkeit“, wie es in der Liturgie des heiligen Johannes Chrysostomos heißt. Gotteserkenntnis aber bedeutet in dem Sinne, den die Heilige Schrift diesem Wort „Erkenntnis“ beimißt, die Vereinigung mit Gott, die Teilhabe am göttlichen Leben durch Jesus Christus, der der Mittler zwischen Gott und Menschen ist.

Doch wie können wir diese unsere Teilhabe am göttlichen Leben konkret verwirklichen?

Zuallererst und vor allem anderen im gemeinsamen Gebet oder dem Gebet in der gottesdienstlichen Gemeinschaft an den Sonntagen und Feiertagen, sowie durch das persönliche Gebet zu Hause und an allen Orten und zu allen Zeiten. Der Heiland hält uns an, unablässig zu beten und im Gebet nie nachzulassen (vgl. Lukas 18, 1). Auch der heilige Apostel Paulus sagt: „Betet ohne Unterlaß!“ (1. Thessalonicher 5, 17) 

Wer nicht im Gebet beharrlich bleibt, das heißt nicht fortwährend betet und sich darum bemüht, daß sein Gebet immer tiefer wird, damit es nicht zu einem kühlen, formelhaften und rituellen Abspulen von Gebetstexten wird, der kann Gott nicht wirklich erkennen. Denn Gott offenbart sich nur dem, der Ihn in seinem Herzen mit großer Inbrunst sucht. Denn der „Ort“ par excellence, an dem Gott in uns Wohnung nimmt, ist das Herz des Menschen. Unser Herz ist der heiligste Altar. Wir sind alle gerufen, Gott auf ihm unsere geistlichen Opfer darzubringen, das heißt unser Leben selbst. In den orthodoxen Fürbittgebeten in jedem Gottesdienst sagen wir: „Uns selbst und einander und unser ganzes Leben wollen wir Christus unserem Herrn schenken“.

Durch das reine Gebet bringen wir uns selbst als Opfer dar. Dies ist das persönlichste Opfer, das wir Gott darbringen können. Denn das wahre Gebet beansprucht unser ganzes Leben, all unsere seelischen und leiblichen Kräfte, die im Herzen wie in einem Fokus konzentriert sind. Der Geist, die sinnliche Wahrnehmung, der Wille – all das geht vom Herzen aus, all das sind Energien des Herzens. Wenn ein Mensch wahrhaft betet, das heißt mit im Herzen konzentrierter höchster Aufmerksamkeit und ohne fremde ablenkende Gedanken, die das Gebet  trüben, dann begegnet er im Herzen wirklich Christus. Und Christus antwortet, indem er uns den „Frieden des Herzens“ schenkt – wozu man im Deutschen auch „Seelenfrieden“ sagt –, der unseren Geist über alle Maßen erfüllt (vgl. Philipper 4, 7). Hiermit ist das Gleichgewicht und die Harmonie der Seele gemeint, die dem Gläubigen die Milde, Güte und Sanftmut Christi selbst verleihen. Denn der Betende identifiziert sich dann auf eine vollkommene Weise mit Christus. „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“, sagt der Apostel Paulus (Gal. 2, 20). Und gemeinsam mit Christus leben in seinem Herzen dann alle seine Nächsten, die ganze Menschheit und die ganze Schöpfung.

Genau hier, ausdem mit Christus erfüllten Herzen des Menschen, beginnt die Erneuerung der Welt, ihre Verwandlung. Christus kann nur durch die Herzen von Menschen, die sich selbst von Seiner Gegenwart verwandeln lassen, die Welt verwandeln. Denn wenn wir Christus wirklich in unserem Herzen haben, dann wird alles um uns herum durch den Frieden, die Milde und die Güte verwandelt, die wir ausstrahlen, wie auch durch unser vorbehaltloses Engagement für unsere Nächsten und den Schutz der Schöpfung.

Um jedoch zum reinen Gebet zu gelangen, das uns wahrhaft mit Christus und unseren Nächsten vereint, brauchen wir auch die Askese, das heißt die Enthaltsamkeit und den Verzicht auf alles, was uns bindet, unfrei macht und versklavt. Das sind die weltlichen Lustbarkeiten ohne Maß und materielle Dinge, die uns daran hindern, dem Beispiel Christi zu folgen und ein gottgefälliges Leben zu führen. Denn der christliche Weg ist schmal, der zur Freiheit der Kinder Gottes führt, und Leidenserfahrungen gehören dazu (vgl. Matthäus 7, 14). Das Tragen des eigenen Kreuzes bedeutet zuerst die Erfüllung der Gebote Gottes, deren inneres Wesen Christus Selbst ist. „Christus ist in Seinen Geboten verborgen“, sagen die heiligen Kirchenväter. Und das größte Gebot ist die Liebe. Wer wahrhaft liebt, der führt immer ein bescheidenes Leben, betet viel und engagiert sich im Dienst für den Nächsten. Und genau dadurch trägt er bei zur Erneuerung der Welt im Sinne und nach dem Willen Christi. So hängt die Verwandlung der Welt von uns ab, von unserem Glauben, von unserem Gebet, von unserer Liebe.

Dazu helfe uns Gott!

Ich wünsche Ihnen allen ein Gesegnetes Neues Jahr und viel Erfüllung, Freude und Erfolg im persönlichen Leben, in der Familie und in der Gesellschaft!

Ad multos annos! Auf viele Jahre!

 Übersetzung: Pfarrer Dr. Jürgen Henkel (www.Suedostpress.de)