Pastoralbrief zum Weihnachten 2023

Der pädagogische Sinn des Leidens

Hochwürdige und ehrwürdige Väter,

nachdem wir uns 40 Tage lang mit Fasten und Gebet, aber auch durch das Bekennen unserer Sünden bei unserem Beichtvater vorbereitet haben, erfreuen wir uns heute des Hochfestes der Geburt des Herrn in der Höhle von Bethlehem. Wir haben uns schon während der Fastenzeit an unseren traditionellen schönen rumänischen Weihnachtsliedern – den Colinde – erfreut und werden uns an ihnen auch an diesen Feiertagen erfreuen. Diese haben einen bezaubernden Charme und öffnen unser Herz dafür, dass wir das Christuskind darin aufnehmen und gutherzig werden wie Er selbst. Wer ist nicht gerührt, wenn er die Colinde hört: „O ce veste minunata” (Übersetzungen im Anhang), „Astazi S-a născut Hristos…” („Heute ist Christus geboren”) oder „Trei crai de la răsărit…” („Drei Könige aus dem Morgenland”) und viele andere. Die meisten sind einfache Volksdichtungen, beschreiben aber das Wunder von Bethlehem in einfachen und begnadeten Worten.

In seiner grenzenlosen Liebe zum Menschengeschlecht hat es Gott dem Herrn gefallen, selbst Mensch zu werden, um die Menschen von der Knechtschaft der Sünde und ihren Konsequenzen zu befreien: dem Leiden, Krankheiten und menschlicher Schwächen allerlei Art, die im Tod gipfeln. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass Er Seinen Eingeborenen Sohn hingab, auf dass alle, die an Ihn glauben, nicht zugrunde gehen, sondern das ewige Leben haben” (Johannes 3,16). Und der Erlöser selbst sagt: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben” (Johannes 10,10).

Das Leben kommt nur von Gott, und wir können uns daran nur erfreuen, wenn wir stets in Verbindung mit Ihm stehen – durch unseren Glauben, durch unser Gebet und gute Werke. Leider haben die meisten Menschen nur einen vagen, theoretischen oder intellektuellen Glauben, der sie in ihrem Alltagsleben zu nichts verpflichtet. Sie sagen, sie wären gläubig, verhalten sich aber wie Ungläubige: sie beten nicht, sie fasten nicht, sie ehren  den Sonntag nicht durch Teilnahme an der Göttlichen Liturgie und haben sich so sehr an die Sünde gewöhnt, dass ihr Gewissen sie nicht mehr tadelt, wenn sie sündigen. Ja mehr noch: der moderne Mensch, der Gott aus seiner Seele und aus dem Leben der Gesellschaft verbannt hat, will von der Sünde gar nichts mehr wissen, denn es erscheint ihm, dass ihm alles erlaubt ist und er alles tun und machen kann ohne jede Einschränkung. Trotzdem hat Gott in Seine Schöpfung und in die Natur des Menschen, der die Krone der Schöpfung ist, Gesetze eingezeichnet, damit in allem Harmonie herrsche. Das Wort „Kosmos”  bedeutet auf griechisch „Harmonie”. Im Kosmos herrscht Harmonie, weil die Sterne die in ihre Natur eingezeichneten Gesetze Gottes respektieren: „Er stellte sie hin für immer und ewig, Er gab ihnen ein Gesetz, das sie nicht übertrete” (Psalm 148,6). Nur der Mensch übertritt die Gesetze Gottes und deswegen gibt es keine Harmonie in seiner Seele und keinen Frieden zwischen den Menschen.

Die Gesetze und Gebote Gottes sind vergleichbar mit den Verkehrsregeln, die gemacht wurden, um das Leben der Menschen zu schützen. Wenn wir die Gebote Gottes respektieren, dann schützen wir unser Leben und können uns an Frieden und Harmonie erfreuen. Gott der Herr hat in das Wesen des Menschen das Streben nach dem Guten und nach der reinen Liebe zu Ihm und zu seinen Nächsten eingepflanzt. Wer sich nicht selbst zwingt, immer das Gute zu tun, wer Gott und seinen Nächsten nicht liebt, wer die Sünden seiner Nächsten nicht vergibt, der schadet sich selbst und wird niemals Frieden in seiner Seele haben. Die Sünde bedeutet gerade ein unserem von Gott gut erschaffenen Wesen entgegengesetztes Leben. Wir erkranken, wir leiden, wir haben keinen Frieden in der Seele, weil wir uns von Gott entfremdet haben und sündigen. Und Gott der Herr liebt uns trotzdem so, wie wir sind, weil wir Seine Kinder sind. Er „hat kein Gefallen am Tode des Schuldigen, sondern daran, dass er auf seinem Weg umkehrt und am Leben bleibt” (Hesekiel 33,11). Er will, dass wir uns am Leben erfreuen, dass wir gesund sind und „lange leben auf Erden” (vgl. Exodus 20,12). Deshalb ruft uns Gott dazu auf, Seine Gebote zu erfüllen, die sich in einem Gebot zusammenfassen lassen: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken – und deinen Nächsten wie dich selbst (vgl. Matthäus 22,38-40). Wenn wir alle auch viele Versuchungen, Prüfungen und Leid zu bestehen haben, dann sollen wir darüber nicht verzweifeln und die Hoffnung nicht aufgeben, sondern alles Böse, an dem wir leiden, auf unsere Sünden zurückführen, noch mehr beten und unsere Sünden im Sakrament der Beichte bekennen. Das Leiden ist keine Strafe Gottes, sondern eine wesentliche Folge unserer Sünden, und es hat immer einen pädagogischen Sinn; denn wenn wir leiden, dann geben wir uns Rechenschaft über unsere ontologische Unzulänglichkeit, werden demütig und kehren um zu Gott.  

Geliebte Gläubige,

die Heilige Synode der Rumänischen Orthodoxen Kirche hat das Jahr 2024 zum „Ehrenjahr der Seelsorge und Pflege der Kranken” erklärt. Die Orthodoxe Kirche hat in ihrem Kultus sehr viele Gebete, in denen wir Gott um Vergebung unserer Sünden und seelische und körperliche Heilung bitten. Das wichtigste Gebet für Kranke ist das Sakrament der Heiligen Krankensalbung mit einem reichen Ritual an biblischen Lesungen und Gebeten um Vergebung der Sünden und Gesundheit. In allen unseren Pfarrgemeinden wird die Heilige Krankensalbung in den Fastenzeiten des Jahres oder auch öfter vollzogen, manchmal sogar wöchentlich. Sehr viele Gläubige nehmen andächtig daran teil und werden dadurch an Leib und Seele gestärkt. Die Kirche empfiehlt uns, mit der nötigen Vorbereitung am Sakrament der Heiligen Krankensalbung teilzunehmen, um die Hilfe Gottes zu empfangen, d.h. dass wir beichten und mit unseren Nächsten im Reinen sein sollen.

Auch wenn wir nicht sofort geheilt werden, wie wir vielleicht wünschen, so empfangen wir doch durch das Gebet bei der Heiligen Krankensalbung und der Salbung mit dem Salböl Mut und Kraft, um das Kreuz unserer Leiden und Lebensbeschwernisse leichter ertragen zu können. So lege ich Euch ans Herz, das Sakrament der Krankemnsalbung so oft als möglich zu empfangen. Wobei es aber ein großer Fehler ist, am Sakrament der Krankensalbung teilzunehmen und die Teilnahme an der Göttlichen Liturgie zu vernachlässigen, die das wichtigste Sakrament der Kirche ist, ohne dem die Kirche nicht existiert. Denn aus der Göttlichen Liturgie entspringen alle anderen Sakramente!

Der Erlöser Jesus Christus ruft uns alle dazu auf, dass wir Sorge tragen für alle Kranken und Bedürftigen. Er identifiziert Sich mit jedem Menschen, vor allem aber mit denen, die unserer Hilfe bedürfen: „Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen” (Matthäus 25, 35-36). Wir können sicher sein, dass wir alles Gute, das wir unseren Nächsten tun, dem Erlöser Jesus Christus tun, Der uns das in dieser Welt und im künftigen Leben vergelten wird. Die Mission der Kirche beschränkt sich nicht auf die Feier der Göttlichen Liturgie und der anderen Gottesdienste, sondern erstreckt sich auch auf das Leben der Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Der heilige Johannes Chrysostomos sagt, dass „auf das Sakrament des Altars” das „Sakrament des Bruders” folgt. Wir alle sind aufgerufen, den Dienst in der Kirche im Dienst an den Nächsten – sie sind unsere Brüder in Christus – fortzuführen, indem wir ihnen Gutes tun. Jeder Mensch ist ein Geheimnis und ein göttliches Wunder, denn jeder trägt Gott in seinem Herzen. Die geistlichen Väter sagen: „Nach Gott behandle jeden Menschen wie Gott selbst.” Daher haben auch unsere Pfarrgemeinden Sozialprogramme und kümmern sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten um Bedürftige, vor allem in Rumänien. Die Kranken sind freilich die Ersten, die unsere Fürbitte, unseren Trost und unsere Hilfe brauchen. So mögen wir allen Leidenden nahe sein und eins werden mit ihnen!

Ich erinnere Sie alle an unser Programm „Stipendien für arme Kinder in der Moldau”, mit dem wir aus Spenden der Gläubigen 850 Kinder aus kinderreichen Familien der Kreise Vaslui und Botoșani helfen. Jede Hilfe ist willkommen auf das entsprechende Sonderkonto der Metropolie, das wir speziell für dieses Programm eingerichtet haben. Gott der Grundgütige möge Ihr Opfer vergelten!

In der Hoffnung, dass Sie sich diese geistlichen Weisungen zu Herzen nehmen und nach Ihren Möglichkeiten auch befolgen werden, umarme ich Sie alle in Christus dem Herrn, Dem in der Höhle von Bethlehem Geborenen, Der in die Welt gekommen ist, um das Feuer der Liebe Christi auf die Erde zu bringen (vgl. Lukas 12,49).

Ich wünsche Ihnen allen: Frohe Weihnachten in Frieden und Freude! und

Auf viele Jahre! Ad multos annos!

† Metropolit Serafim

  

[Übersetzung: Pfarrer Dr. Jürgen Henkel, Selb]

 Oh, welch wunderbare Kunde (rumänisch „O ce veste minunată)

Oh, welch wunderbare Kunde

Kommt aus Bethlehem zur Stunde

Aus der Ewigkeit

Kam in uns‘re Zeit

Der die Welt erlösen wird!

 

Nach Propheten Wort von alters her

War der Weg Mariens so weit und schwer.

Klein die Krippe war,

die Jungfrau gebar

Christus, unsern Herrn und Gott. 

 

Gottes Sohn in Seinem Namen

Kam auf Erden sich zu erbarmen:

Ward als Mensch gebor’n

Für uns auserkor‘n

Uns das Heil zu bringen.

(Übertragung ins Deutsche: Dr. Jürgen Henkel)