Der Kampf mit den Versuchungen – Weihnachten 2007
„Weg mit dir, Satan…“ (Matthäus 4, 10)
Wohlehrwürdige Väter und geliebte Gläubige,
Unsere Orthodoxe Kirche bereitet ihre Gläubigen auf das Große Hochfest des heutigen Tages, die Geburt des Herrn, 40 Tage lang mit dem Fasten zum Advent, den Heiligen Sakramenten der Beichte und der Kommunion, sowie ihren kirchlichen Gesängen speziell für diese Zeit vor. Es ist eine Periode der Zurüstung und des Wartens auf das größte Ereignis in der Geschichte der Menschheit: die Menschwerdung Gottes. Schon seit dem Hochfest der Einführung der Gottesmutter in den Tempel (21. November) hören wir bei der Utrenie (Morgengottesdienst) die sogenannten „Weihnachts-Katavasien“ (hymnische Gesänge in der Liturgie), die folgendermaßen beginnen: „Christus wird geboren, rühmet Ihn,/ Christus kommt von den Himmeln, geht Ihm entgegen,/ Christus ist auf Erden, erhebt Euch zu Ihm,/ der ganze Erdkreis singe dem Herrn/ und mit Freude sollen Ihn alle Völker loben, denn er hat sich verherrlicht“. Auch unsere traditionellen Weihnachtslieder, die unseren Gläubigen so teuer sind, haben uns an die geheimnisvolle Atmosphäre des Weihnachtsfestes herangeführt.
Heute freuen wir uns alle über die Geburt des Herrn, der Frieden und Wohlgefallen in die Welt gebracht hat, und wir versuchen, allen Streit zu vergessen, den wir in der Familie, auf der Arbeit oder sogar in der Kirchengemeinde erlebt haben, wie auch all das Böse, das sich in unseren Seelen gesammelt hat. Denn nur wenn wir uns dieser seelischen Lasten entsorgen, können wir am Segen Gottes teilhaben, der den Gläubigen in diesen Feiertagen geschenkt wird.
Die Feiertage im Zusammenhang mit der Geburt des Herrn dauern bis zum Neuen Jahr, wenn wir die Beschneidung und die Namensgebung des Herrn feiern, und sogar bis Epiphanias, wenn der Erlöser von Johannes im Wasser des Jordan die Taufe empfängt. Sofort nach der Taufe, zieht Er sich in die Wüste bei Jericho zurück, wo er 40 Tage fastet und betet ohne zu essen und zu trinken, um sich auf die große Mission vorzubereiten, die er vom Vater aufgetragen bekommen hat, nämlich die Welt durch die Verkündigung der Frohen Botschaft des Friedens und der Liebe zu erlösen, und die in der Passion, Seinem Tod und Seiner Auferstehung gipfelten.
In der Wüste wird der Erlöser vom Teufel versucht, der Christus dazu bringen will, auf Seine Mission zu verzichten, um sich nur um die Dinge dieser Welt zu kümmern, als da sind Essen und Trinken, Reichtum und Ehre. Auch versucht der Teufel, Christus dazu bringen, Gott selbst zu versuchen, wenn er zu Ihm sagt: „Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben: ‚Er wird Seinen Engeln Deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.’“ (Matthäus 4, 6). Gott zu versuchen bedeutet entweder, Ihm nicht zu gehorchen, um zu sehen, wie weit Seine Geduld reicht, oder Seine Güte auf eine böse, egoistische, von Stolz inspirierte Weise auszunutzen. Doch wir dürfen die Güte Gottes nicht missbrauchen, indem wir von Ihm unnütze oder sogar absurde Dinge erbeten, wie es hier bei dieser Versuchung der Fall ist.
Gestärkt durch Fasten und Gebet wird der Herr und Erlöser – in allem Mensch wie wir, doch ohne Sünde – die Kraft haben, all diese Versuchungen zurückzuweisen und dem Satan zu gebieten: „Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben:‚Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und Ihm allein dienen.’“ (Matthäus 4, 10)Im heiligen Evangelium nach Lukas wird die Episode der Versuchung des Herrn in der Wüste mit den Worten schließen: „Und als der Teufel alle Versuchungen vollendet hatte, wich er von ihm eine Zeitlang.“ (Lukas 4, 13) Denn der Urfeind des Menschen hat mehrfach in das Leben des Herrn eingegriffen und Ihn versucht, vor allem indem er die Führer des Tempels, die Schriftgelehrten und Pharisäer und zuletzt die johlende Menge über Ihn gesetzt hat, die Seine Verurteilung zum Tod gefordert hat mit dem Ruf an Pilatus: „Kreuzige Ihn, kreuzige Ihn!“
Geliebte Gläubige,
So wie der Teufel den Herrn und Erlöser in der Wüste und dann Sein ganzes Leben lang versucht hat, so versucht er jeden Menschen, unabhängig davon, welchen Status oder welche Stellung jemand in der Gesellschaft oder in der Kirche hat. Die Versuchungen für die Diener der Kirche sind sogar vielfältiger und größer als die der Gläubigen.
Und genauso wie der Herr die Versuchungen des Teufels durch Fasten und Gebet sowie Gehorsam gegenüber Gott dem Vater überstanden hat, genauso können auch wir mit Seiner Hilfe bestehen, wenn wir dem Beispiel Seines Lebens folgen.
Die Heilige Schrift sagt, dass der Teufel „umherschleicht wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge“ (1. Petr. 5, 8). Er sendet unaufhörlich die Giftpfeile der Versuchung, d. h. „die bösen Geister unter dem Himmel“ (Eph 6, 12), um uns vom Weg Gottes abzubringen, der der Weg der Wahrheit, der Liebe, der Gerechtigkeit und der anderen Tugenden ist, um uns zu Sklaven der Sünde und der Leidenschaften zu machen.
Diese unreinen Geister entfalten ihre Wirkung besonders in drei Richtungen:
- Sie wollen uns geldgierig machen, damit wir möglichst viel Geld und irdisches Gut anhäufen, denn der Teufel weiß, dass „Geldgier die Wurzel allen Übels ist“ (1. Timotheus 6, 10). Wer nur materiellen Gewinn sucht, vergisst Gott schnell. Und damit beginnen alle anderen Leidenschaften und Sünden.
- Sie wollen uns eitel machen, damit wir das Lob der Menschen suchen, stolz werden auf unsere Begabungen und hohe berufliche Führungspositionen suchen, um über andere Menschen zu herrschen. Dabei wissen wir, dass die Teufel vor Gott gerade wegen ihrer Hybris gefallen sind, so wie Gott sein zu wollen und sich sogar an Gottes Stelle zu setzen. Genauso wollten auch die ersten Menschen Adam und Eva, vom Teufel versucht, wie Gott sein, aber nicht in Gemeinschaft mit Ihm, sondern alleine, ohne Gott, um „autonom“ oder „frei“ zu sein, wie wir heute sagen würden. Doch wenn wir Gott aus unserem Leben ausschließen, führt das zur Knechtschaft der Sünde und der Laster, zum Besessensein von unreinen Geistern. Der Stolz ist eine der größten seelischen Krankheiten, die den Menschen dazu bringt, nur noch seine Qualitäten, nicht aber mehr seine Unvollkommenheiten zu sehen, und zu glauben, er habe nur Rechte, nicht auch Pflichten. Der stolze Mensch ist immer undankbar; er rechtfertigt sich laufend selbst, kritisiert und verurteilt nur andere und glaubt, nur er habe recht.
- Sie wollen uns verleiten, auf jede Art leibliche Freuden zu suchen, die in uns das uns ureigene Streben nach Gott erstickt und uns in Knechte des Leibes verwandeln. Über die leibliche Begierde sagt der heilige Apostel Paulus: „Fleischlich gesinnt sein ist der Tod, und geistlich gesinnt sein ist Leben und Friede. Denn fleischlich gesinnt sein ist Feindschaft gegen Gott“ (Römer 8, 6-7).
Der Leib wurde von Gott als Tempel der Seele erschaffen, die der Lebensodem Gottes in jedem Menschen darstellt. Deshalb nennt die Heilige Schrift den Leib des Menschen „Haus Gottes“ und „Tempel des Heiligen Geistes“. Der Sinn des Leibes ist es, mit der Seele geheiligt zu werden, mit der er eine unzerstörbare Einheit bildet, indem er die Gebote Gottes erfüllt. Und das erste Gebot Gottes für die Menschen ist gerade die leibliche Vereinigung zur Vermehrung des menschlichen Geschlechts: „Seid fruchtbar und mehret euch und macht euch die Erde untertan!“ (Genesis 1,28). Der Sinn der Vereinigung von Mann und Frau ist die Geburt von Kindern. Der heilige Apostel Paulus sagt sogar, dass „die Frau selig wird dadurch, dass sie Kinder zur Welt bringt“ (1. Timotheus 2, 15). Nur das Vergnügen in der körperlichen Vereinigung zu suchen und den Sinn der Geburt von Kindern auszuklammern, ist eine Sünde gegen die Natur, die sich früher oder später durch alle möglichen Krankheiten und Leiden rächen wird. Und die begrenzte Kinderzahl oder sogar der Verzicht auf Kinder, wie auch Christen dies praktizieren, reduziert auf eine drastische Weise die Zahl der Christen zugunsten der Anhänger anderer Religionen, die mehr Respekt vor dem Gebot der Vermehrung haben.
Von den anderen heute so verbreiteten Sünden zu sprechen, verbietet uns die Scham. Wobei das Gefühl der Scham längst abhanden gekommen ist und die Welt sich wieder auf Sodom und Gomorra hinbewegt.
Die Geldgier, der Stolz und die körperlichen Sünden sind folglich die drei größten Versuchungen des Teufels, die sich ausnahmslos an alle Menschen richten. Leider lassen sich die meisten von ihnen besiegen, weil sie nicht einmal mehr glauben, dass es einen geistlichen Kampf gibt, in dem sie kämpfen und bestehen müssen. Doch ohne Kampf gibt es keinen Sieg. Für uns Christen gehören folgende Mittel zur täglichen Waffenrüstung im Kampf gegen den Teufel: das Gebet und das häufige Sich-Bekreuzigen, das Sich-Benetzen mit Weihwasser, das Knien vor Gott, Fasten und vor allem die Beichte und das Empfangen der Heiligen Sakramente. Wir wissen, dass der Teufel seinen Kampf immer mit bösen Gedanken beginnt, die wir von Anfang an abwehren müssen. Denn sonst wird aus dem bösen Gedanken eine böse Tat, aus der bösen Tat aber wird, wenn sie sich wiederholt, eine Leidenschaft oder ein Laster, von dem wir nicht mehr so schnell loskommen.
Die Heiligen sagen außerdem, dass allein die Demut alle Versuchungen überwinden kann. Doch wer hat schon die Demut Christi!
Dieselben Heiligen lehren uns, dass diese drei teuflischen Versuchungen – die Geldgier, der Stolz und die leiblichen Sünden – eine Anleitung zur Beichte bereitstellen können. Wenn wir beichten, dann ist es sehr gut, dass wir unser Gewissen im Blick auf diese Versuchungen erforschen, um zu sehen, welche mehr an uns wirkt oder welche uns schon besiegt hat.
Geliebte Gläubige,
Wie Ihr alle wisst, hat es Gott dem Herrn gefallen, Ende Juli 2007 unseren Patriarchen Teoctist, den Patriarchen der Rumänischen Orthodoxen Kirche, zu Sich zu rufen. Er stand unserer Metropolie sehr nahe. Seine Seligkeit hat uns zwei Mal besucht: 2003 anläßlich der Weihe des Weihbischofs unserer Metropolie, S.E. Sofian Braşoveanul, der seinen Sitz in München hat, und 2006 zur Weihe unserer Metropolitankathedrale. Unser Vater Patriarch Teoctist bleibt mit seinem strahlenden Antlitz, seiner Güte und Milde im Herzen aller, die ihn gekannt haben, eingeprägt. Wir alle sind gerufen, ihn in unser Fürbittengebet für die Verstorbenen unserer Familien mit einzureihen.
Gott, unser gnädiger Herr, hat an Stelle von Patriarch Teoctist Seine Seligkeit Patriarch Daniel Ciobotea, seit 1990 Metropolit der Moldau und Bukowina, gesetzt. Er hat uns im Auftrag der Heiligen Synode der Rumänischen Orthodoxen Kirche 1994 in München zum Metropoliten von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa eingesetzt. 2003 hat er Patriarch Teoctist auf seiner Visite in Deutschland begleitet. Für Seine Seligkeit sind die Rumänen in der Diaspora ein besonderes Anliegen. Dies wird auch daran deutlich, dass die Heilige Synode in der ersten vom ihm geleiteten Sitzung zur Verbesserung der geistlichen Betreuung der Rumänen in der Diaspora die Einrichtung von vier neuen rumänischen Bistümern in der Diaspora beschlossen hat, und zwar das Bistum Italien,das Bistum Spanien, das Bistum Nordeuropa und das Bistum Australien und Neuseeland. UnsereMetropolie wird künftig auf ihrem kanonischen Gebiet das Bistum Nordeuropa mit Sitz in Stockholm als Suffraganbistum haben. Bitten wir den gnädigen Herrn, dass er den Rumänen in Skandinavien einen missionarischen, betenden und geduldigen Bischof geben möge, der sie zur Erlösung leiten möge, der ihnen helfen möge, ihre orthodoxe und rumänische Identität zu bewahren und sie in allen Schwierigkeiten des Lebens stärken möge.
Ich lege Euch diese Worte der Lehre in der Hoffnung ans Herz, dass sie Euch hilfreich sein mögen im geistlichen Kampf zur Erlösung und Euch Gott näher bringen mögen. Ich umarme Euch alle mit der heiligen Umarmung in Christus dem Herrn, Dem in der Höhle von Bethlehem Geborenen, ich segne Euch in Seinem Namen und wünsche Euch von Herzen Gesundheit und Alles Gute:
Frohe Weihnachten und ein Gesegnetes Neues Jahr!
Euer Euch allzeit Gutes wünschender und zu Gott betender
† Metropolit Serafim