Der Frieden zwischen den christlichen Kirchen und meine Erfahrungen anläßlich der von der Gemeinschaft Sant’Egidio organisierten interreligiösen Treffen ( Hamburg, 01.06.2000)

  Hamburg, am 01.06.2000

1. Frieden bedeutet nicht nur die Abwesenheit von Kriegen und äußerlich sichtbaren Konflikten. Er ist zuallererst ein Zustand des Menschen, der durch den Glauben, das Gebet und die Askese seine innere Einheit wiederfindet, die sich in seinem Herzen konzentriert. Die äußerlichen Konflikte sind der Ausdruck der inneren Konflikte. Wenn der Mensch durch die Sünde seine innere Einheit verliert und in viele Namen zerfällt, – die dann „Legion“ sind, wie es der Besessene im Evangelium ausdrückt (Markus 5, 9) – projiziert er seinen Zustand der Auflösung auf die anderen. So entstehen Konflikte und Kriege. Niemals kann ein Mensch, der den Frieden im Herzen trägt, zur Quelle des Konfliktes werden. Ganz im Gegenteil, er ist eine nie versiegende Quelle des Friedens und der Friedensstiftung für seine Umgebung. „Finde den Frieden deines Herzens und Tausende von Personen um dich herum werden das Heil finden“, sagt ein großer russischer Heiliger (Serafim von Sarow, 19. Jh.).

 

Das Christentum ist die Religion der Liebe und des Friedens par excellence. Der Sohn Gottes ist deswegen in die Welt gekommen, um den Menschen mit Gott zu versöhnen, um den Menschen mit sich selbst zu versöhnen und um die Menschen untereinander zu versöhnen. Die Art und Weise, in der er diese Versöhnung verwirklicht hat, ist beispiellos für das menschliche Begriffsvermögen, denn es handelt sich dabei um die Inkarnation Gottes selbst in der Person seines Sohnes, seines freiwilligen Todes am Kreuz und seiner Auferstehung, durch die er den Tod, diesen letzten Feind des Menschen, und damit auch die Macht des Bösen und des Satans, besiegt hat. Der Mensch in Christus ist frei von der Sünde und dem Bösen; er ist sogar vom Tod befreit. Der Tod wird für ihn zum Ostern, das heißt zum „Übergang“ in die Ewigkeit der Kommunion, die die Liebe ist. Denn „Gott ist die Liebe“, sagt Johannes der Evangelist. Und der Mensch, der nach seinem Angesicht und seinem Bilde geschaffen ist, ist ebenfalls die Liebe. Eine Liebe, die nichts anderes als Kommunion bedeutet. Das Christentum ist kein System und auch keine Ideologie. Das Christentum ist Jemand, es ist Christus, dessen eigene Person Wahrheit ist und Liebe, Kommunion und Frieden.

 Das Verhältnis mit dem Christus, der uns denn inneren Frieden gibt, ist jedoch unerbittlich. Es setzt eine unablässige Anstrengung zur Läuterung des spirituellen Herzens durch das Gebet und die Askese voraus. Denn alles geschieht auf der Ebene des Herzens. „Denn aus dem Herzen kommen böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, falsche Zeugenaussagen und Verleumdungen“ (Matthäus 15, 19). Also Konflikte und Kriege.

Der Mensch faßt sich in seinem Herzen zusammen, welches der zentralste Punkt seines Wesens ist. Es ist Ausgangspunkt und Ziel aller spirituellen und physischen Kräfte des menschlichen Wesens. Der erste Sündenfall hat die innere Einheit des Herzens zerbrochen. Und seit damals verschlimmert sich der Zusammenbruch des Herzens mit jeder bewußt oder unbewußt begangenen Sünde. Seines Zentrums – eben dieses Herzens – beraubt, verzettelt sich der Verstand in oberflächlichen und äußerlichen Dingen. Und dieses ist das Unglück des Menschen. Der Verstand muß zum Herzen zurückkehren. Er ist übrigens eine Kraft des Herzens. Das Mittel, durch das der Verstand hinabsinkt und sich aufs Neue mit dem Herzen vereint, ist das Gebet. Ein Gebet, welches nicht im Kopf bleibt, sondern ins Herz sinkt. Und so vereint die Kraft des Gebetes, die der Geist Gottes ist, der in uns selbst betet, das Herz aufs Neue und schenkt ihm den Frieden. In diesem Augenblick erfüllt die Liebe Gottes das Herz und der Mensch macht die Erfahrung der ontologischen Einheit der gesamten Schöpfung. Alles lebt in Ihm, Er trägt die ganze Welt in Sich. Allein aufgrund dieser Tatsache ist der Mensch reinen Herzens tolerant.

Unglücklicherweise haben die Christen ihren Glauben nicht immer im ursprünglichen Sinne gelebt. Oft haben sie den Glauben auf eine Doktrin, auf ein System reduziert. Sie haben ihn auch für politische und nationalistische Zwecke benutzt und sich gegenseitig bekriegt. Ebenso haben sie Gläubige anderer Religionen verfolgt. Das Ergebnis war die Trennung untereinander, die sich bis auf den heutigen Tag vertieft, und das Gegenzeugnis, welches sie gegenüber den Gläubigen anderer Religionen und den Nichtgläubigen ablegen.

 Meiner Überzeugung nach steht das Bestreben, dem Menschen den Seelenfrieden, den Herzensfrieden zu geben, im Mittelpunkt jeder Religion. Dadurch erfolgt auch eine große Öffnung den anderen gegenüber. Dieses müßte in besonderem Maße für die monotheistischen Religionen zutreffen, die sich auf die Bibel beziehen. Prinzipiell sind die Religionen demzufolge ein Faktor des Friedens und der Stabilität in der Welt. Dennoch kennt die ältere und neuere Geschichte so viele religiöse Konflikte sowie Konflikte anderer Natur, bei denen die Religion als Beiwerk dient, um die Leidenschaften eher anzustacheln als abzukühlen.

 Die Unnachgiebigkeit der Konfessionen und Religionen im Verhältnis zueinander rührt zweifellos von der Tatsache, daß man die Religion in eine Ideologie umwandelt. Jede Konfession, jede Religion glaubt, die ganze Wahrheit für sich in Anspruch nehmen zu können. Die anderen befinden sich im Irrtum. Daher der religiöse Starrsinn und der Proselitismus. Oft sind wir nicht imstande, bei den anderen, deren eigene Art an Gott zu glauben und auf ihn zuzugehen zu entdecken und zu respektieren. Und das, obwohl die wahre Mission doch beim Respekt vor dem anderen beginnt. Sie ist eher ein Lebenszeugnis als die Lehre einer Doktrin.

 2. Glücklicherweise werden sich die Christen der Sünde und des Skandals ihrer Trennung zunehmend bewußt. Sie erkennen auch die schlimmen Fehler der Vergangenheit und bitten um Vergebung. Schon Ende des 14. Jahrhunderts gibt es erste Versuche der ökumenischen Annäherung. Diese Versuche gipfeln im Jahre 1948 in der Schaffung des Ökumenischen Rates der Kirchen, dessen Mitglieder die Evangelischen Kirchen und die Orthodoxen Kirchen sind. Auch die Katholische Kirche öffnet sich für die Ökumene, besonders nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Zahllose Initiativen der theologischen Annäherung und des gegenseitigen Kennenlernens werden ins Leben gerufen. Seit zwanzig Jahren weitet sich der ökumenische Dialog zwischen den Christen auch in Richtung der anderen Religionen aus und wird zum interreligiösen Dialog. Dieser Dialog wird durch das im Jahre 1986 auf Initiative von Papst Johannes Paul II einberufene Treffen von Assisi außerordentlich ermutigt. Seither macht sich die Gemeinschaft Sant’Egidio jedes Jahr die Mühe, solche interreligiöse Treffen für den Frieden zu organisieren.

 Die Teilnahme an jenen Zusammenkünften, die Vertreter aller großen Weltreligionen vereinen, ist eine wahre Freude und ein wahrer Segen, da sie das gegenseitige Kennenlernen und einen sehr fruchtbaren Dialog ermöglichen. Oft haben wir schlimme Vorurteile gegenüber anderen Konfessionen oder Religionen. Nur eine Kenntnis des Inhaltes durch das Zusammentreffen und die persönlichen Zeugnisse ihrer Vertreter können diese Vorurteile zu Fall bringen.

 Als regelmäßiger Teilnehmer an diesen interreligiösen Treffen seit 1994 habe ich viel über die religiöse Praktik bei den anderen gelernt. So habe ich viele Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Religionen entdeckt, die zu ebenso vielen Wegen der Suche nach Einheit im Glauben an Gott, dem Schöpfer von Himmel und Erde, werden können. Die Annäherung zwischen den Religionen darf nicht die Erfindung einer neuen, synkretistischen Religion zum Ziel haben, sondern die Kenntnis und die Anbetung des wahren Gottes. Wie bei allen zwischenmenschlichen Begegnungen, so sind auch bei den interkonfessionellen oder interreligiösen Begegnungen die Akzeptanz des anderen in seiner Verschiedenheit und der Respekt ihm gegenüber grundlegend. Während der von der Gemeinschaft Sant’Egidio organisierten Treffen sind wir in einer Schule des gegenseitigen Verstehens und des Akzeptierens unserer Unterschiede. Und vor allem beten wir, jeder nach seiner eigenen Tradition, für den Frieden in der Welt, für die Erhaltung der Schöpfung.

 Ein besonderes Zeugnis möchte ich ablegen vom Treffen „Menschen und Religionen“, welches 1998 von der Gemeinschaft Sant’Egidio in Bukarest, der Hauptstadt Rumäniens, organisiert wurde. Rumänien ist ein beinahe vollständig christliches Land. Es gibt aber auch eine kleine jüdische und eine etwas zahlreichere moslemische Gemeinschaft. Von den Christen sind 86,8% orthodox, 5,0 % römisch – katholisch, 1,0 % griechisch – katholisch und 3,8% evangelisch. Die historischen christlichen Konfessionen und die drei Religionen verstehen sich gut, ich würde sogar sagen sehr gut. Dennoch gibt es Spannungen zwischen den Orthodoxen und den Griechisch – Katholischen, die als Kirche zwischen 1948 und 1989 vom kommunistischen Regime unterdrückt wurden. Diese Spannungen haben das religiöse Klima in einem sehr toleranten Land sehr vergiftet. Sie machten den so sehr herbeigesehnten Besuch des Papstes in Rumänien unmöglich. Und so organisierte die Gemeinschaft Sant’Egidio 1998 unter Mitwirkung des Rumänisch – Orthodoxen Patriarchats und des Präsidialamtes der Republik ihr zwölftes Treffen „Menschen und Religionen“ in Bukarest. Die orthodoxen Kirchen der ganzen Welt sind dort auf höchster Ebene vertreten gewesen (6 Patriarchen und zahlreiche Bischöfe), ebenso die Katholische Kirche mit 6 Kardinälen und vielen Bischöfen, die auf die Reformation zurückgehenden Kirchen, die islamische und mosaische Religion sowie andere große Religionen der Welt.

 Die Atmosphäre war so schön, daß hunderttausende Gläubige aus Bukarest und aus dem ganzen Land die Veranstaltungen verfolgt haben. Dieses Treffen hatte die Gabe, viele Spannungen zwischen Orthodoxen und Griechisch – Katholischen zu entschärfen Diese erklärten sich einverstanden, am Gesprächstisch Platz zu nehmen um über die Streitpunkte zu diskutieren.

 Auf diese Weise konnte der Besuch von Papst Johannes Paul II. im Mai 1999 stattfinden. Dieser historische Besuch, der erste in einem mehrheitlich orthodoxen Land, wurde als Segen für Rumänien und das rumänische Volk wahrgenommen. Drei Tage der Begegnungen, besonders zwischen Papst Johannes Paul II. und dem Patriarchen Teoctist und dessen Synode, drei Tage auch des Gebetes, sind dem religiösen Klima in Rumänien sehr zugute gekommen. Der spontane Ruf des Volkes Gottes während der liturgischen Zeremonien „Einheit, Einheit“ muß stets wie ein göttliches Imperativ in den Herzen aller religiösen Verantwortlichen widerhallen. Denn nur die Einheit sichert das Verständnis und den Frieden.

 Ich danke der Gemeinschaft Sant’Egidio aus ganzem Herzen für die immense Mühe, die sie für die Sache der Einheit der Christenheit, für das Verständnis unter den Religionen, für den Frieden in der Welt auf sich nimmt. Die Jugendlichen der Gemeinschaft – denn es handelt sich um eine sehr junge Gemeinschaft – wissen, daß der Erfolg jedes menschlichen Unterfangens seinen Ausgang im Gebet und dem demutsvollen Dienst an den Armen hat. Deswegen beten diese Jugendlichen jeden Abend gemeinsam und kümmern sich um die Armen. Das ist ein schönes Beispiel für uns alle!

Metropolit Serafim