Religionen – Friedensstörer? Friedensstifter? (9.09.2000)

Wohin steuert die Vielfalt der Kulturen im 21. Jahrhundert? Kommt es zu einem verstärkten Dialog oder zur Konfrontation der Kulturkreise?

Vortrag gehalten an der Tagung „Brücken zwischen den Religionen bauen – Begegnung der Weltreligionen in Hildesheim” des Vereins zur Förderung der Begegnung der Weltreligionen und des interkulturellen Gesprächs, in Hildesheim, 8-12 September 2000.

 Der Mensch ist per definitionem ein soziales Wesen, ein Wesen der Gemeinschaft oder der Beziehung. Diese Beziehung erfüllt sich besonders in der Religion, das heißt: in der Gemeinschaft mit Gott, der selbst der Prototyp des Menschen (des Menschlichen) ist, (des Menschen, der nach dem Bild Gottes geschaffen wurde und Gott ähnlich ist).

Deshalb spricht Mircea Eliade, der große Religionshistoriker (Religionswissenschaftler) von dem Menschen als „homo religiosus“, die Religion gehört also zum Wesen des Menschen.

 Nach Mircea Eliade haben sich die menschlichen Gesellschaften immer um einen Altar, einen Tempel, eine Kirche gebildet. In der Beziehung mit Gott befinden sich die Menschen auch gleichzeitig in einer Beziehung zueinander. Die Beziehung zu Gott ist also die Grundlage jeder anderen Beziehung. Der Kult, der Gott dargebracht wird, kultiviert den Menschen in seiner Beziehung zu seinem Schöpfer und zu seinen Brüdern und Schwestern, den anderen Menschen.Der Kultus erhebt den Menschen, reinigt (befreit) ihn von seinem Egoismus und macht ihn immer offener für andere.

Der Kult macht die Beziehung immer vollkommener und bringt auch den Menschen selbst der Vollkommenheit näher und damit auch die Gesellschaft, die nichts anderes ist als ein Gewebe menschlicher Beziehungen. Aus dieser Sicht erscheint die Religion als die Kultur par excellence. In der Tat kann nichts den Menschen so sehr bilden wie die Religion, das heisst: nichts kann den Menschen mehr als sie dazu bringen, ein beziehungsfähiges Wesen zu werden. 

Es versteht sich von selbst, dass Kultur im ursprünglichen Sinn nicht einfach „Ansammlung von Wissen“ bedeutet, sondern in erste Linie „Vervollkommnung des menschlichen Wesens“ durch die Beziehung.  In diesem Sinne sagt der zeitgenössische Philosoph Christos Yannaras: „Der (orthodoxe) Kultus, vor allem die Heilige Liturgie ist der höchste Ausdruck der menschlichen Kultur“.

Es ist klar, dass eine echt mit Gott und den Menschen gelebte Religion eine nicht versiegende Quelle der Liebe und des Friedens ist. Religiöse Fundamentalisten verbiegen die Religion und verkehren sie in Anti-Religion. Eine solche pervertierte Religion ist nicht mehr Quelle des Friedens sondern wird zur Quelle von Kriegen.

Eine Kultur, die sich von der Religion entfernt, verliert ihre Kraft zur Veränderung. Sie ist dann schliesslich keine Kultur mehr im ursprünglichen Sinne des Wortes, denn sie bildet nicht die Seele, sie ist nicht imstande, die Seele bereit zu machen für die Beziehung.

Eine Kultur, die sich gegen die Religion stellt, ist überhaupt keine Kultur mehr. Sie ist eine Sub-Kultur oder vielmehr eine Anti-Kultur.

Alle modernen Schein-Kultur-Erzeugnisse, pornographische Bilder, Rockmusik, Filme oder Literatur, die die menschliche Seele vergiften, gehören natürlich zu dieser Kategorie einer Subkultur oder Antikultur.

Kultur ist oft an ein Volk oder eine Nation gebunden. Jede menschliche Person ist einzig; auch jedes Volk; so ist es vom Schöpfer gewollt. Jeder hat die ihm eigene Art, Beziehung, Religion, Kultur zu leben. Das Universelle drückt sich immer im Einzelnen aus, und dieses gibt ihm seine genaue Form. Ohne das Einzelne (die Person, die Nation) existiert das Universelle nicht, denn es kann sich nicht ausdrücken. Das Universelle und das Besondere sind reziprok aufeinander bezogen. Wenn eins von beiden bedroht ist, kommt es zum Konflikt.

Das moderne Phänomen der Globalisierung kann, wenn es nicht auf den wirtschaftlichen Bereich beschränkt bleibt, den spirituellen und kulturellen Austausch der Menschen fördern. Allerdings nur unter der Bedingung, dass dieser das Besondere, die Person, die Nation, achtet. De Respekt vor der Religion und der Kultur des anderen ist die Bedingung dafür, dass jede Religion und jede Kultur Faktoren des Friedens werden.

Metropolit Serafim